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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Die Gegend war menschenleer. Häuser standen nicht da. Der Abend war nahe, und am Sonnabende hatten die Arbeiter in Feld und Wald früh Feierabend gemacht, um noch im Hause Alles für die morgende Sonntagsruhe bestellen zu können.

Der Mönch setzte seinen Weg fort. Er durchschnitt die Landstraße und ging in tiefem Nachdenken in den Wald hinein. Er dachte wohl an die Heimlichkeit der Fremden in dem deutschen Lande, die hier Herren und doch Feinde waren, weil sie wußten, daß sie selbst, gerade als Herren, die verhaßtesten Feinde waren. Was konnten sie da Gutes vorhaben? Er wurde in seinen Betrachtungen unterbrochen. Zur Seite im Gebüsche vernahm er einen leichten, behenden, raschen Schritt, der sich dem Wege näherte, den der Mönch verfolgte. Nach wenigen Augenblicken erschien hier ein Mann in ländlicher Tracht, mit einem langen Korbe, einer sogenannten Kiepe, auf dem Rücken. Er sah sich in dem Wege um, erblickte den Mönch und stutzte einen Moment; dann blieb er stehen, den Mönch zu erwarten, der zu ihm herankommen mußte.

„Guten Abend, Herr Pater,“ begrüßte ihn der Fremde.

„Guten Abend, und gelobt sei Jesus Christus.“

„Amen, Herr Pater. Aber ich bin lutherisch.“

„Der Herr Christus hat für uns Alle gelebt, ist für uns Alle gestorben.“

„Hm, ja –“

Der Mann wollte noch etwas hinzusetzen. Der Mönch sah ihn streng an. Der Mann schwieg, aber mit einem eigenthümlichen Lächeln des klugen Gesichtes und der fast lauernd forschenden Augen.

„Wir gehen einen Weg?“ fragte er dann.

„Ich weiß nicht, wohin Sie gehen,“ sagte der Mönch.

„Ich? Ich gehe nach Frankenfelde. Ich bin Lumpensammler, wie Sie hier in meiner Kiepe sehen können, und in Frankenfelde mache ich immer gute Geschäfte.“

Die Kiepe des Mannes war bis oben hin mit Lumpen gefüllt. Der Mönch antwortete ihm nicht. Er hatte sich die volle Kiepe angesehen und mochte wohl Vergleichungen anstellen über die Lumpen und über das kluge Gesicht und das leichte, gewisse Wesen des Mannes, der sie trug.

„Und wohin wollen Sie?“ fragte der Lumpensammler mit diesem dreisten Wesen.

„Ich gehe ebenfalls nach Frankenfelde,“ erwiderte der Mönch.

„Ah, Sie wollen da morgen den Gottesdienst halten?“

„Ja.“

„Lesen Sie jeden Sonntag die Messe dort?“

„Das Kloster schickt jeden Sonntag einen Pater hin.“

„So sind Sie wohl bekannt im Schlosse?“

„Ich bin heute zum ersten Male hingeschickt.“

„Potz Velten, Herr Pater, wie käme denn das? In Ihrem Kloster drüben – Heiligenkreuz heißt es ja wohl?“

„Heiligenkreuz heißt es.“

„Nun, da sind, so viel ich weiß, nur noch drei oder vier Paters?“

„Vier!“

„Also vier. Da müßte alle vier Wochen die Reihe an Sie kommen.“

„Ich bin erst seit drei Tagen im Kloster.“

„Potz Velten, und wie käme denn das? Das Kloster darf keine Mönche mehr annehmen. Es soll aussterben. Es ist ja schon todt.“

Der Mönch hatte schon lange den dreisten Frager mit scharfen Augen angesehen, aber nur anfangs mißtrauisch. Er antwortete ruhig und unbesorgt: „Ja, und darum bin ich da. Ich habe mit einem jüngeren Pater tauschen dürfen.“

„Und woher sind Sie gekommen?“ fragte der Lumpensammler, der in seiner Neugierde und in seinem Fragen unermüdlich war.

„Ich komme weit her,“ sagte der langmüthige Mönch.

„Aus – ?“

„Aus Polen.“

„Hm, das ist allerdings weit her. Aber Sie gehen so allein? Sie kennen die Wege?“

Der Lumpensammler sah den Mönch mißtrauisch von der Seite an. Der Mönch mußte es nicht bemerken.

„Ich habe sie mir zeigen lassen,“ sagte er unbefangen. „Jetzt führen Sie mich ja.“

„Freilich! – Waren Sie lange in Polen, Herr Pater?“

„Manches Jahr.“

„Und was führte Sie nach Deutschland zurück? Sie sind doch ein Deutscher?“

„Man stirbt am liebsten im Heimathlande.“

„Unter den Seinigen, Herr Pater. Haben Sie die Ihrigen hier?“

„Ich habe keine Verwandten mehr.“

In dem alten Mönche schienen wehmüthige Erinnerungen aufzutauchen.

Der Lumpensammler begann ein anderes Gespräch.

„Sahen Sie vorhin die französischen Soldaten, Herr Pater?“

„Ich sah sie.“

„Tüchtige Soldaten, diese Franzosen! Der deutsche Soldat ist nichts gegen sie.“

„Es war doch einmal anders,“ fuhr der Mönch etwas auf.

„Wann wäre das gewesen?“ forschte der Lumpensammler.

„Bei Roßbach zum Beispiel.“

„Hm, da waren die Reichssoldaten eben so schlecht.“

„Die Führer!“

„An den Führern liegt es immer. Wenn Deutschland noch einmal einen alten Fritz bekommen könnte, so würde ihm die Welt gehören. Aber treiben wir keine Politik, Herr Pater. Es ist gefährlich jetzt. Französische Spione treiben sich überall umher –“

Der Lumpensammler schwieg plötzlich. Er war stehen geblieben und horchte in den Wald hinein. Hinter den beiden Fußwanderern hörte man den Galopp eines Pferdes näher kommen. Der Lumpensammler schien ängstlich geworden zu sein.

„Treten wir einen Augenblick in das Gebüsch, Herr Pater.“

„Warum?“

„Es ist ein Franzose; er darf uns nicht sehen.“

„Und warum nicht?“

„Nachher. Kommen Sie.“

Der Lumpensammler sprang hinter ein Gebüsch, das ihn verbarg. Der Mönch blieb ruhig im Wege und trat nur zur Seite, um von dem mitten im Wege heransprengenden Reiter nicht überritten zu werden. Der Reiter war ein französischer Kürassierofficier, ein noch ziemlich junger Mann mit einem hübschen, kecken, südlich geformten und südlich gebräunten Gesichte. Mit seinen großen, blitzenden Augen sah er im Vorübersprengen den Mönch zuerst neugierig, dann mit einem leisen Spotte an. Der Mönch sandte ihm einen nachdenklichen Blick nach. Der Lumpensammler kam wieder aus dem Gebüsche hervor.

„Haben Sie sich den Reiter angesehen, Herr Pater?“

„Ja.“

„Es war der Oberst des Regiments, von dem Sie die Schwadron sahen. Einer der jüngsten, aber auch der tüchtigsten Obersten in der Armee des Kaisers. Darum auch der Liebling seines Kaisers und – hm, Herr Pater – und aller schönen Frauen.“

„Warum verbargen Sie sich vor ihm?“ fragte der Mönch.

Der Lumpensammler ließ die Frage unbeantwortet.

„Ja, Herr Pater,“ fuhr er in seiner fast ebenso leichtfertigen, wie dreisten Weise fort, „solch ein hübscher und tapferer französischer Officier kann von den deutschen Frauen erzählen, und wenn Sie hier Beichtvater wären, auch in dem Schlosse da hinten, von dem wir nicht mehr weit sind, hm, Herr Pater, Sie würden noch mehr erzählen können. Das Beichtgeheimniß freilich macht Sie stumm?“

Er sprach die Worte fragend. Diesmal antwortete der Mönch nicht. Aber er hatte eine strenge Bemerkung.

„Sie sind ein Deutscher, und sprechen so von deutschen Frauen!“

„Pah!“ sagte der Lumpensammler, „ich bin kein Deutscher, ich bin ein Holländer. Aber wenn ich auch ein Deutscher wäre, sollte ich loben, was Schlechtes in meinem Vaterlande ist? Und man lobt manchmal auch, wenn man verschweigt. Aber da ich ein Holländer bin, so schweigen wir von der Sache. Sie werden im Schlosse Frankenfelde ohnehin genug erfahren, mehr, als einen so frommen Pater lieb sein kann. Aber noch eine Frage, Herr Pater. Sie hatten vorhin die Kürassiere früher gesehen, als ich. Da ich sie sah, kam ein einzelner Officier hinterher gesprengt; hatten auch Sie ihn bemerkt?“

„Ich hatte ihn bemerkt,“ antwortete der Mönch.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_546.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)