Seite:Die Gartenlaube (1864) 526.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Dänen im Uebrigen gebildete und liebenswürdige Menschen. Namentlich sprach die mir gegenüber sitzende Dame sehr gut deutsch und kannte unsere Literatur besser, als mancher Deutsche. Sie war voll Achtung für deutsche Wissenschaft und Kunst. Wir standen im Ganzen, wenn auch nicht auf vertraulichem, so doch auf gutem Fuße mit einander, bis eines Tages eine Störung intrat.

Ich hatte – ich weiß nicht mehr, aus welchem Anlaß – erzählt, daß die Eingeborenen der Insel Borneo des festen Glaubens sind, die großen Affen, welche dort gedeihen und den Namen Schimpanse oder Schin-Panse führen, seien Menschen so gut, wie wir Andern auch, und könnten auch sprechen, und auf die Frage, warum sie denn uns gegenüber von der Gabe der Sprache keinen Gebrauch machten, pflegten die Eingeborenen zu antworten: Der Schimpanse sei ein Schlauberger, er stelle sich, als wenn er nicht sprechen könne, damit es ihm nicht gehe, wie den weniger vorsichtigen Malayen, die von den Holländern zur Arbeit angehalten würden.“

Mein Nachbar rechts, ein alter Herr der selbst lange in Indien war, glaubte nicht zurückbleiben zu dürfen. Er erzählte Folgendes:

„Wie Sie wissen, giebt es in Java noch zwei Sultane, einen in Surakarta und einen in Dschukdschukkarta. Sie sind beide durch die Holländer, wie man es hier zu Lande nennt, mediatisirt. Dabei beziehen sie jedoch eine bedeutende Civilliste und unterhalten damit den ganzen Luxus eines asiatischen Hofstaates. Hierzu gehört nach dortigen Begriffen – ebenso nothwendig, wie nach hiesigen z. B. ein Marstall, oder die Hofjagden und das Hoftheater – eine große Menagerie. Sie ist ein Hauptstolz des Fürsten. Zur Zeit, als ich in Indien war, fungirte einer meiner Freunde als Resident oder Botschafter des Königs der Niederlande bei Seiner rhabarberbraunen Hoheit von Surakarta. Ich besuchte denselben auf der Rückkehr von einer anstrengenden Jagdcampagne in den Urwäldern, die sich am Fuße schneebedeckter Vulcane hinziehen. Gleichzeitig traf ein Amsterdamer Professor der Zoologie dort ein, den die holländische Regierung mit einer wissenschaftlichen Mission in ihre indischen Colonien geschickt hatte. Der sultanische Menagerie-Oberintendant zeigte dem holländischen Professor die Thiere. Der Resident und ich begleiteten sie. Plötzlich nahm ein ungemein großer und ebenso häßlicher Affe die Aufmerksamkeit des Professors ganz in Anspruch. Er hatte ein solches Thier noch nie gesehen und wußte nicht, in welches Schubfach seiner Wissenschaft er es unterbringen sollte. Er fragte den Residenten. Der wußte auch nichts. Er fragte den Menagerie-Intendanten. Allein dieser war Malaye und verstand kein Holländisch. Glücklicher Weise verstand der Resident malayisch und wiederholte dem Intendanten die Frage in dieser seiner Muttersprache. Der Malaye erwiderte mit jener würdevollen Höflichkeit, die dieser Race eigenthümlich ist, er glaube die Frage besser beantworten zu können, wenn ihm vorher eine Gegenfrage gestattet werde. Als der Resident dies bereitwillig erlaubt hatte, fragte der Malaye, auf den Zoologen deutend, wie sich denn dieser nenne. Der Resident antwortete auf Malayisch: ‚Professor-hollanda‘ (holländischer Professor). Der Malaye stellte darauf uns seinen großen und häßlichen Affen vor mit den Worten: ‚Professor-Borneo.‘ Er glaubte, beide, der Affe und der Naturforscher, gehörten derselben Species an, wozu das Aussehen des Holländers einige Ursache gab.“

Wir lachten Alle herzlich über diese nette Geschichte, die noch nicht im Meidinger stand.

Die dänische Dame, von der ich gesprochen, schien auch etwas erzählen zu wollen. Ich fragte sie, warum sie damit zurückhalte.

„Weil Sie sonst böse werden,“ erwiderte sie, „oder wenigstens sich ärgern.“

„Das Erstere wird nicht geschehen, und der Aerger, mäßig genossen, bekommt dem Menschen so gut, wie den Pferden kleine Dosen von Arsenik. Erzählen Sie!“

„Also darf ich?“

„Ganz gewiß!“

Sie erzählte nun eine Geschichte aus Kopenhagen, die nicht recht verständlich ist, wenn man nicht vorher weiß, daß die Dänen eine landläufige Redensart gebrauchen, welche lautet: „Was thut der Deutsche nicht für’s Geld!“ Das Ganze lief darauf hinaus, daß ein Thierbändiger einen großen Affen auf den Plätzen der dänischen Hauptstadt sehen ließ und daß der gut dressirte und schön costümirte Affe so sehr sich menschenähnlich gebehrdete und so künstliche Verrichtungen vornahm, daß die Straßenjugend glaubte, es sei wirklich ein Mensch, und verwundert in die ihnen geläufigen Worte ausbrach: „Was thut der Deutsche nicht für’s Geld!“

Ich fühlte, wie ich bei dieser Erzählung vor Aerger blaß und roth wurde. Mein Gegenüber sah mir das ohne Zweifel an und sagte: „Bitte, erinnern Sie sich Ihres Versprechens; fast wünschte ich, ich hätte die dumme Geschichte nicht erzählt.“

Ich erwiderte hastig: „Und da eine jede Geschichte auch ihre Moral haben muß, so erlauben Sie mir, dieselbe der Ihrigen hinzuzufügen.“

„Nun?“

„Die Moral ist: Die Affen sind eben so wenig Deutsche, wie die Deutschen Affen. Der süße Pöbel von Kopenhagen hat aber wieder einmal den Beweis geliefert, daß Shakespeare Recht hat, wenn er sagt: ,Ihr könnt den Dänen von Vernunft nicht reden.’“

Damit war ein Mißton in die bis dahin so heitere Unterhaltung gekommen. Die Dame blickte verlegen auf ihren Teller. Die Andern schwiegen. Mir selbst war es sehr unbehaglich zu Muthe. Ich hatte mein Versprechen gebrochen, war gegenüber einer Dame, die ich achtete, unhöflich und dabei leider auch mehr plump als witzig gewesen, welches Letztere ich wohl hatte sein wollen. Aber doch hatte ich den Ausfall nicht so ruhig hinnehmen können. Mein deutscher Nationalstolz, den ich besitze und den jeder Deutsche – trotz alledem und alledem! – besitzen muß, litt das nicht. Auch war ich es nicht, der den Waffenstillstand zuerst gebrochen hatte.

Ich stand mit einer höflichen Verbeugung auf und verließ den Saal, obgleich das Essen kaum begonnen hatte. Einige Tage lang blieb ich von der Mittagstafel weg, bis endlich der alte Herr, der die Geschichte von dem „Professor Borneo“ erzählt hatte, mich aufsuchte und mir eine Strafpredigt hielt, zu welcher er sich, wie er mir sagte, deshalb berechtigt glaubte, weil sein Vater ein deutscher Schweizer, seine Mutter eine italienische Schweizerin war, er in Indien in holländischen Diensten gewesen, im Winter in Paris wohnhaft, im Sommer bald da und bald dort und deshalb in Nationalitätsfragen ganz unparteiisch sei, indem er, wie Carl Vogt in Kirchensachen, „überhaupt gar keinen Standpunkt habe.“

„Hätten Sie nicht die dumme Affengeschichte erzählt,“ sagte er, „und ich nicht eine noch dümmere, so wäre ohne Zweifel einer so klugen und liebenswürdigen Frau eine solche Taktlosigkeit nicht passirt, und Sie würden nicht versucht haben, dieselbe mit einer Grobheit auszugleichen; folglich sind wir allesammt Sünder und müssen alle Buße thun in Sack und Asche und uns in Zukunft hüten, unsere schöne internationale Tafelrunde wieder solchen Störungen auszusetzen. Meine ganz unparteiische Ansicht ist die: Je mehr das nationale Princip erstarkt, – und es befindet sich in Europa auf dem besten Wege dazu – destomehr werden die Völker Respect vor einander bekommen und jene albernen Krähwinkler Spöttereien und Hänseleien verschwinden, mit welchen sich zu Hogarth’s und Swift’s Zeiten Franzosen und Engländer gegenseitig heimsuchten und womit sich gegenwärtig Deutsche und Dänen, Oesterreicher und Ungarn und im Innern Deutschlands Sachsen und Schwaben, Baiern und Franken, ja sogar die Berliner und Potsdamer, die Frankfurter ,Aeppelwein-Trinker’ und die Mainzer ,Sauerkrautesser’ unter einander aufziehen.“ - -

Nun war der Alte auf seinem Steckenpferd, nämlich dem kosmopolitischen Kampfe gegen internationale Vorurtheile; ich ließ ihn sich austoben und es gelang ihm, mich zu bekehren. Der Waffenstillstand mit den „Reichsfeinden“ wurde wieder hergestellt, ich erhielt vollständige Genugthuung wegen der in mir der deutschen Nation widerfahrenen Kränkung und erfuhr bei dieser Gelegenheit Mancherlei, das mich zu weiteren Nachforschungen veranlaßte und auf einen Gegenstand führte, den ich öffentlich zur Sprache zu bringen mich im Interesse der deutschen Nationalehre verpflichtet fühle.

Unsere Tischgenossen aus Dänemark erzählten uns nämlich, daß, abgesehen von den politischen und nationalen Renegaten, welche sich der dänischen Regierung gegen ihre eigenen Landsleute zur Verwendung im Civil- und im Militärdienste stellen und die leider meistens dem deutschen Adel angehören, ein anderer Umstand viel dazu beitrage, den mittleren und unteren Volksclassen Dänemarks, welche natürlich von deutscher Literatur und Kunst nichts wissen, einen übeln Begriff von den Deutschen beizubringen. Die

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_526.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)