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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Tabaks und unserer Cigarren ist, daß sie trocken oder „abgelagert“ seien. Diese Eigenschaft hat der englisch-amerikanische Tabak mit dem sogen. türkischen gemein, welcher in irdenen oder Steinkrügen und mit den verschiedensten Mitteln von getränkten Schwämmen, Wurzel- oder Aepfelscheibchen kühl und feucht gehalten werden muß, um sein ganzes Aroma zu entwickeln. Doch besteht die große Verschiedenheit darin, daß dieser türkische Tabak ebenso leicht, als jener, der englische, schwer ist. Es scheint, als ob dieselbe Scala, wie bei der übrigen Diät, auch hier bewußt oder unbewußt eingehalten werde. Wie die Völker in den südlichen Klimaten sich von so leichten Speisen wie Reis und Früchten nähren und wenig dazu trinken, außer Wasser und verdünntem Wein, während die Völker des Nordens schwere Weine, starkes Bier und hitzige Getränke aller Art bevorzugen und schwerere Speisen genießen, je mehr man sich dem Pol nähert: so scheint auch die Länge der Pfeifen und die Stärke des Tabaks je nach den Breitegraden ab- oder zuzunehmen. Von dieser Regel machen auch die Virginia-Cigarren, welche in Italien geraucht werden, keine Ausnahme. Es sind lange, dünne und dürre Stengel mit der Spitze eines Strohhalmes und von einer solchen Hartnäckigkeit, daß sie erst minutenlang in oder über das Feuer gehalten werden müssen, ehe sie glimmen, und die, wenn sie glimmen, für den Ungeübten den Geruch und Geschmack von angesengtem Löschpapier haben.

An den beiden Endpunkten der europäischen Cultur, im Osten und im Westen, betheiligt sich auch das schöne Geschlecht an diesem Vergnügen. Für die Frauen der niedrigsten Classe in Irland ist ein Pfeifchen ganz so gewöhnlich, als für die der besten Gesellschaft in Polen, Rußland, der Walachei und Moldau die Cigarette. Die rauchenden Schönheiten des Ostens und Südens wissen diese kleinen, zierlichen Röllchen mit einer großen Eleganz und Geschwindigkeit, gleichsam im Handumdrehen, zu verfertigen, und sie dieselben rauchen zu sehen, in die Ecke eines Divans gelehnt, hat, wenn wir auch unsere Frauenideale uns anders denken, doch jedenfalls für das Auge mehr Anziehendes, als der Anblick eines jener armen irischen Weiber, welche in Lumpen gehüllt unter der Thür ihrer halbzerfallenen Hütte mit der schwarzen Pfeife sitzen, deren Dampf nicht selten das Einzige ist, was ihren Hunger auf Augenblicke zum Schweigen bringt. In England ist das Rauchen der Damen nicht Sitte, trotz der „Tabakspfeife der Königin“ in London, welche die größte Tabakspfeife auf der ganzen Welt ist und Jahr ein, Jahr aus, Tag und Nacht nicht kalt wird. Diese Tabakspfeife der Königin befindet sich in den Docks von London und ist, um die Wahrheit zu sagen, ein ungeheuerer Schornstein und Ofen, in welche aller geschmuggelte, schadhafte, verdorbene oder sonst zum Feuertod verurtheilte Tabak verbrannt wird.

Holland, einst so sehr das Land des Tabaks, daß man einem Mynheer weder auf Bildern noch in Romanen jemals ohne die lange Thonpfeife begegnet wäre, hat in dieser Beziehung gleichen Schritt mit der Zeit gehalten. Die Kohlenbecken auf den Tischen und die jedem Besucher offen stehenden Tabaksschalen finden sich nur noch in den Reisehandbüchern. In der Wirklichkeit hatte ich Mühe, nur so viel wie eine thönerne Pfeife im ganzen Haag aufzutreiben, und als ich mich in der Gesellschaft meiner Freunde eines Abends mit derselben vor die Wirthshausthüre setzte, da blieben die Leute stehen, um mich anzusehen.

Aber fürchte nicht, mein theurer Leser, daß die Gewohnheit selber aussterben werde! Nicht nur der letzte Dichter, auch der letzte Raucher wird erst mit dem letzten Menschen „aus dem alten Erdenhaus“ gehen. Welch’ ein zähes Leben muß doch in diesem Kraute sein, daß es die Anathemen päpstlicher Bullen, die zahlreichen Angriffe von Doctoren und Philosophen, die schweren Auflagen von Zöllen und Abgaben aller Art überdauern konnte! Es muß doch wohl Etwas von den Eigenschaften des Behaglichen, der Zufriedenheit und Geselligkeit, als deren Symbol wir den Rauch ansehen, dem Tabak selber innewohnen, in welcher Form wir ihn auch rauchen mögen. Und doch – sollte man’s glauben? – hat dieses unschuldige, harmlose Product, welches so viel zum Wohle der Menschheit und Genusse des Lebens beiträgt, noch immer seine Feinde. Ja, es giebt in England eine eigene Gesellschaft und ein eigenes Journal gegen das Rauchen, das „Anti-Tobacco-Journal“, von welchem mir kürzlich eine Nummer zu Händen gekommen ist. In diesem Journal ist Alles, was der Phantasie und Beredsamkeit zu Gebote steht, Vers und Prosa, die Novelle und die ernste Ermahnung, der Holzschnitt und der Steindruck, angewendet, um das Publicum vom Tabak abzubringen.

Ich übergehe den zur Warnung mitgetheilten Brief eines armen Mannes in Neu-Süd-Wales, obgleich sein Fall die meiste Aehnlichkeit mit dem meinigen in Schottland hat. Dieser Mann nämlich besitzt Nichts, um seinen Appetit zu stillen, als einen Pfeifenkopf, an welchen er zuweilen riecht, und er schließt die vorliegende Epistel an seinen Bruder in England mit der bescheidenen Bitte, daß man ihm ein Paar alte Stiefeln, die er zu Hause gelassen, nachschicken und mit Bristol-Tabak füllen möge. Das Hauptstück der Nummer ist eine Erzählung unter dem Titel: „Ein Leuchtthurm für junge Raucher und junge Mädchen.“ Der große Effect dieses „Leuchtthurms“ besteht darin, daß das junge Mädchen, welches von dem tabaksfeindlichen Verfasser mit Recht beklagt wird, einen Mann heirathet, der erst nach der Hochzeit anfängt zu rauchen. „Als sie heirathete, umgaben fröhliche Aussichten ihr Auge.“ Ihr Mann war ein Advocat. „Die erste Zeit war er erfolgreich in seinem Geschäft.“ Alles ging glücklich, bis er auf einmal, „gleich so vielen andern Unglücklichen, ein Opfer des Rauchens wurde.“ Gleich den andern „Opfern“ rauchte er, um das Elend, welches das Rauchen verursacht, zu lindern, und in demselben Maß, als sein Rauchen zunahm, nahmen natürlich auch seine Leiden zu. Zuletzt wurde er unfähig, seine Geschäfte zu besorgen, eine tiefe Melancholie bemächtigte sich seiner und „ihn verfolgte die Idee, daß er von einem tollen Hunde gebissen worden sei.“ Bis jetzt ist von einer solchen Folge des Rauchens noch nichts gehört worden, einerlei, ob der Raucher ein Advocat und verheiratheter Mann war, oder nicht. Indessen war es in diesem Falle die Folge; aber leider nicht die einzige. Der von der fixen Idee des tollen Hundes verfolgte Advocat verarmte und wanderte aus. Allein auch das versöhnte das Schicksal nicht, und erst „in einem australischen Grabe“ büßt der arme Mann die Schuld, geraucht zu haben! Was aus seiner armen Wittwe geworden, sagt die Novelle des Anti-Tabak-Journals nicht, obgleich das Loos der Unglücklichen doch unstreitig das bedauernswertheste gewesen. Denn da ihr Gemahl vor der Hochzeit nicht rauchte, wie konnte sie ahnen, daß er sich nach derselben dem Laster ergeben würde? Poetische Gerechtigkeit sollte doch in allen Novellen herrschen, diejenigen des Anti-Tabak-Journals nicht ausgenommen. Was aber bleibt die Moral, mögen wir nun das Thema wenden, wie wir wollen? Ach, schöne Leserin, nicht die tröstlichste! Denn wenn das Rauchen wirklich solche gräßliche Uebel im Gefolge hat, wie Kummer, fixe Ideen, Auswanderung, und wenn man für den besten Mann selbst im besten Falle nicht garantiren kann: dann, in der That, bleibt den jungen Mädchen nichts übrig, als – überhaupt nicht zu heirathen. Nach den traurigen Enthüllungen, welche das Organ der englischen Tabaksfeinde gemacht, haben sie fortan die Wahl, und sie werden nur sich selber verantwortlich machen können, wenn sie die Frauen von Rauchern und die unschuldigen Opfer des Rauchens geworden sind.

Aber siehe da! – über meinem Philosophiren ist es dunkel geworden und meine Cigarre ist zu Ende. Mir bleibt nichts mehr, als die Asche wegzuwerfen und dies Zwielichtgeplauder zu schließen.

Julius Rodenberg. 




Deutscher Menschenhandel der Neuzeit.
Aus der Mappe eines Wiesbadener Curgastes.
1.

Wegen eines Gichtleidens, mit welchem ich geplagt bin, besuche ich seit einer langen Reihe von Jahren in jedem Sommer die Thermen von Wiesbaden. Zum ersten Male war ich dort im Sommer 1850. In demselben Hôtel mit mir wohnte eine dänische Familie. Wir saßen bei der Table d’hôte lange Zeit neben einander und wurden dadurch bekannt. Freilich über die schleswig-holsteinsche Frage konnten wir uns nicht verständigen.

Abgesehen aber von ihren nationalen Vorurtheilen, waren diese

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_525.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)