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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

zudeckte, wurde, mit den Kartoffeln des Mittagstisches und dann und wann einem Dreierdütchen des von ihm leidenschaftlich geliebten Schnupftabaks honorirt, Carl Theodor’s erster Lehrer, bis es durch Hülfe eines Oheims möglich wurde, ihn die Neustadt-Dresdener Bürgerschule besuchen zu lassen. Dem armen, in Elend verkümmerten Candidaten verdankte Carl Theodor seinen Respect vor classischem Wissen und die Keime seiner Kenntniß hierin.

Schon in der Schule galt er nicht allein für einen guten Kopf, sondern die Kraft seines sich rasch und im starken Anspannen gegen den Druck seiner Lage entwickelnden Charakters und sein frühreifes Talent, die Verhältnisse zu überschauen und zu beherrschen, machten ihn in allen Classen zum selbstverständlich gewählten Mittelpunkte der jugendlichen Bestrebungen, mochten sie nun auf eine organisirte Prügelei oder ein systematisches „Nachreiten“ vor den Examinibus gerichtet sein. Seine rührige Gefälligkeit eroberte ihm die Alten, und der Gewinn der Neigung des bejahrten Bibliothekar Daßdorf stellte die Schätze der königlichen Bibliothek zur Verfügung des geistvollen Knaben, dem eine trigonometrische Formel den Schlaf rauben konnte, der um ein physikalisches Experiment die schönsten Spiele im Stiche ließ und, auf einem Baume in seines Onkels Michaelis Garten sitzend, in Ludwig’s „Reichshistorie“ vertieft, oft umsonst zum Mittagsessen erwartet wurde. Noten copiren und Accisebücher verificiren mußte nebenher in den Nächten die Mittel zur Erwerbung des Confirmations-Rockes liefern.

Wen Mathematik, Physik, Geschichte und Geographie erfüllten, für den gab es damals nur einen Beruf, in dem er Talente und Lust zur Geltung bringen konnte. Es war der militärische. Carl Theodor, den geistige Richtung und körperliche Kraft gemeinschaftlich dafür eigneten, wurde seiner Prädestination inne, als die Neutralitätsdurchmärsche vor der Schlacht bei Jena und des Prinzen Louis Ferdinand glänzendes Feldherrnbild, das leider in den letzten Stunden von dessen Anwesenheit in Dresden durch den Eindruck seiner bis auf die Straße herab gespielten Bacchanale befleckt wurde, des Jünglings ehrbedürftige Seele mit lockenden Erscheinungen füllte.

Der Rath des alten trefflichen Generals Aster, dessen Familie den strebenden Knaben lieb gewonnen hatte, führte ihn vor dem Eintritte in das Corps der Ingenieur-Scholaren, den Carl Theodor’s Jugend und Armuth verhinderte, in die unentgeltlich unterrichtende Bauakademie. Nur sein immer regeres Interesse am technischen Wissen und die freundliche Forthülfe älterer Mitschüler ließen seinem organisatorischen Genius den systematischen Unterricht an dieser Anstalt, die ein Director Hölzer im Sinne seines Namens verwaltete, nicht unerträglich werden.

Als er seine Studien im Gefühle, nicht mehr weiter zu kommen, hier schloß, waren seine Verhältnisse dieselben geblieben, und die ihm so golden schimmernde Traube des „Corps der Ingenieurscholaren“ hing immer noch zu hoch.

Armuth zog überall die Schlagbäume vor die Pfade, auf denen der nun Siebzehnjährige ausschaute, Armuth hing als schweres Gewicht an seiner fleißigen, so gern gerührten Hand, Armuth deutete mit eisernem Finger auf die allerunterste Thür zur Staffelleiter seiner Wünsche. Es fand sich kein Protector für ihn. Carl Theodor hat immer Kopf und Arm, selten Gönner, fast niemals Glück gehabt.

Also Soldat! Aber nicht Ingenieur, sondern aus Gefälligkeit gegen Aster aufgenommener „übercompleter Unterkanonier“ in der Compagnie des Artillerie-Capitäns Tüllmann zu Frankenberg!

„Einzutreffen am 3. Oktober mit den Laufordonnanzen von Dresden!“ Ein Paar Hemden in einem alten Schulbücherranzen, die Stiefeln neu besohlt, einen Thaler Geld im Lederbeutelchen, wandert der erste deutsche Eisenbahn-Ingenieur mit Thränen in den Augen und schmerzenden Füßen hinaus in die große Weltschule, die an ihm einen ihrer ausgezeichnetsten Schüler ziehen sollte. Ein alter Oberkanonier, Schulze, nimmt sich des schüchternen Rekruten an, bei einem jungen Sergeant-Major Richter, einem verdrossenen Mann, den eine Liebesheirath um die Carriere gebracht, findet er billige Kost und ein hartes, im Winter durch die lockern Ziegel mit Schnee bestreutes Bett unterm Dach. Die Officiere der Compagnie, der finstre Tüllmann, der behagliche von Hanmann, der wackere von Schirnding und Knauth stoßen ihm zwar das dreieckige Hütchen, dessen richtiger Sitz niemals ergründet worden ist, Jeder nach seinem Gesichtspunkte correct auf den Kopf, werden aber bald des aufgeweckten „Stiftes“ froh, der spielend den Dienst lernt und dem auch das „verdammte Zeichnen und Studiren“, ja selbst die erste Liebe zum hübschen Kinde des Materialisten der Hauptwache, das ihm Rosinen und Aepfel und wohl auch Brod unter ihren Küssen zusteckt, nicht die „Attention“ beim Exerciren mit Commißgewehr und der alten achtpfündigen Uebungshaubitze verdirbt.

Und dennoch war es eine schwere Zeit bei den Hungernachrichten von daheim und der Vereinsamung des Geistes, die Zeit des Gehorchenlernens! – jene bedeutungsvolle Periode in Carl Theodor’s Leben, die ihn so meisterlich befehlen lehrte. Kaum aus dem Rohstoffe des Menschen in der Glühhitze der Rekrutenzeit zum Soldaten geschmiedet, führt ihn der Donau-Marsch des Rheinbundcontingents und Napoleon’s kategorisches Breve: „Ersatzbataillone in aller Eile, gleichviel, aus welchen Leuten, zu bilden“, nach Dresden. Hessen, Braunschweiger, Oesterreicher rückten in Sachsen ein, der König floh nach Frankfurt und die Reservebataillone, -Schwadronen und -Batterien wurden à tout prix und unter Verwendung des Abhubs und Rostes alles Materials an Menschen und Waffen aus der Erde gestampft.

Die ältesten Officiere, Invaliden und unreife Knaben commandirten. Die Artillerie hatte fast keine Geschütze, die Infanterie miserable Gewehre, die Cavallerie nur zum Theil roh vom Acker geholte Pferde. Die traurige, vielgeplünderte Rückzugscolonne sammelte sich, von dem steinalten, täglich auf dem Pferde festgeschnallten General Niesemeuschel und dem schielenden Low geführt, bei Weißenfels.

Die Gelegenheit zum Avancement war gut; Carl Theodor aber hatte kein Glück! Die rath- und kopflosen Maßnahmen der alten Kriegsberather mit wackelnden Köpfen erregten oft höchst undisciplinarische Gelächter, zu denen Carl Theodor, dessen genialem Dispositionssinn bei aller seiner Unerfahrenheit die Komik der Situation nicht entging, oft genug das Signal gab. Das Talent kam bei der Anhäufung von „Kehricht“, dem der große Besen so nahe stand, zur Geltung. Der Oberkanonier Kunz hatte bei dem Oberstlieutenant v. Mosel die Funktionen von Stabssecretair, Adjutant und Instructor zugleich, Kenntniß von schriftlichem Dienst aus dem Vollen schöpfend.

Der Schluß der traurigen Affaire führte ihn 1810 als Corporal nach Dresden zurück, und die erregte Aufmerksamkeit bahnte ihm den Weg zur Artillerieschule. General Rouvroy theilt ihm mit, daß er Officier werden könne, wenn er im Stande sei, die Studien vor Mitte nächsten Jahres zu beenden. Er beschließt, das Unmögliche möglich zu machen! Um keinen Augenblick des Studiums zu missen, quartiert er sich nun in der Kaserne ein, und wir sehen ihn, zehn Monate lang, fast ununterbrochen über Reißbret und Buch gebeugt. Die Wache muß den auf seinen Papieren Entschlafenen wecken, die Arzte schütteln den Kopf und mahnen ihn, das Seelenfieber zu mäßigen; aber er eilt von der schlechten, am Arbeitstische eingenommenen Kost, die Unterrichtsstunden zu geben, die ihm den kargen Lebensunterhalt liefern, um rastlos zur Arbeit zurückzukehren, bis die physische Unmöglichkeit allem Weitern ein Ende macht. Erst dann gönnt er sich einige Stunden Ruhe.

Vom Studium augenkrank, mit Scropheln behaftet, zum starken Tabakschnupfer geworden, an Leib und Seele elend, besteht er das Officiersexamen glänzend, erhält die erste Censur – hält das Officierspatent und die ersehnten sechszehn Thaler Gage in Händen – da wird ein Graf Vitzthum, bis dahin Schüler des Gymnasiums zum Kreuz, ohne alle militärische Vorbereitung, in die Reihe der Ernannten eingeschoben, und Carl Theodor mit seiner auch der Zeit nach ersten Censur wird dadurch – aggregirter Lieutenant – ohne Gehalt!!

Also Officier und tiefer im Elend, als je zuvor!

Er verzagte nicht. Auf Wucherzinsen schießt ihm ein Hoflakai die nicht unbeträchtliche Summe zur Equipirung vor (die Epaulettes kosteten allein 45 Thaler), und Unterricht, zum bescheidensten Preise von zwei Groschen die Stunde gegeben, muß wieder nähren. Zur Armirung der mit unerhörter Eile verstärkten Festung Torgau war ein Pulvertransport hinabzubringen. Der jüngste Artillerie-Lieutenant muß doch für alt an Muth und Umsicht gegolten haben. Er erhielt das Commando der gefährlichen Sendung und landete seine Pulvertonnen nach drei Tagen unbehaglicher Fahrt vor der alten Festung. Hier wurde im Sturm gebaut und im Sturm gelebt. Es mangelte an Officieren für die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_521.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)