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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

laut ein Wort der Bewunderung zugerufen! Und nun sollte die Schulzentochter mit ihrem plumpen Gesicht, ihren breiten Füßen, hübscher sein, als sie! o das war unerträglich und sie zankte sich eines Abends auch tüchtig mit Martin über diese Behauptung.

Um das Maß ihres Aergers voll zu machen, sah die Schulzentochter seit des jungen Hofbesitzers Annäherung die schöne Anne stark über die Schultern an und sagte ihr sogar eines Morgens: „Wenn Martin heirathet, wird Dich die neue Frau sicher nicht im Hause behalten.“ Weinend saß am Abend dieses Tages, einem milden schönen Abend gegen Ende des Frühlings, die schöne Anne am Saum des Eichenwäldchens, weinte über der hochmüthigen Schulzentochter Worte, die ihr in Aussicht stellten, den Hof der Muhme verlassen zu müssen, weinte auch weil Andreas lange nicht geschrieben, hauptsächlich aber flossen ihre Thränen doch dem Umstande, daß die Dorfleute erzählten, Martin würde bald freien. Wie sie so sinnend und grübelnd da saß, von fern den schönen Hof sah, dessen Herrin sie hätte sein können, da kam Martin eilig über den Fußpfad zwischen den Feldern daher.

„Ich gehe dem Boten entgegen!“ rief er Anne zu und wollte ohne weitere Erklärung an ihr vorüber.

„Bringt er Dir Etwas mit?“ fragte sie aufstehend und trat ihm näher.

„Da ist er! nun kannst Du es gleich mit ansehen!“ entgegnete Martin, ohne auf des Mädchens verweinte Augen zu achten, ohne anscheinend das freundliche Lächeln zu bemerken, mit dem sie zu ihm aufblickte. Er that als habe er nur Sinn und Augen für den Boten, der ihm mit grinsender Freundlichkeit und einem stechenden Blick auf Anne ein Kästchen übergab und dann sagte: „Der Goldschmied versicherte, so schöne Krallen habe er noch an keinen Bräutigam verkauft und die Schulzentochter könne sich arg freuen.“

Martin wandte sich ab. Der Bote ging, Anna stand mit klopfendem Herzen da.

„Bist Du versprochen, Martin?“ stieß sie plötzlich hervor.

Martin schien die Frage nicht gehört zu haben, er entnahm dem Kästchen eine Schnur der schönsten Bernsteinperlen und zeigte sie dem Mädchen. Bernsteinperlen, „Krallen“ wie sie heißen, sind in Westphalen auf dem Lande der übliche Schmuck für Bräute. Anne sah die herrlichen Perlen und konnte nicht zweifeln – Martin war versprochen! Gern hätte sie laut aufgeschrieen vor Aerger und auch vor Jammer, denn sie liebte jetzt den kalten, bedächtigen Martin seit Monaten mit einer Leidenschaft, wie sie solche nie für Andreas empfunden.

Der kluge, berechnende Erbe hatte sich dieses schwache Herz gezogen, bis es ihm in glühender Liebe anhing. Stolz und Scham brachten das Mädchen zwar dahin, all seine wild erregten Gefühle zu verbergen; sprach es aber auch mit ziemlicher Ruhe seinen Glückwunsch aus, bebte doch die Stimme und Thränen stiegen unwillkürlich in seinen Augen auf. Anne wandte sich zur Seite. Da fühlte sie plötzlich die Bernsteinperlen um ihren Hals gelegt, da umfaßten sie ein paar starke Arme, leis fragte eine Stimme: „liebst Du mich denn wirklich?“ und nun gab sich des Mädchens Entzücken in kurzem Aufschrei, in lebendig lautem Worte kund.

Der erste Kuß brannte auf ihren Lippen, sie hielten sich fest umschlungen. Plötzlich trat Jemand zwischen sie, schleuderte das Mädchen mit den Worten: „Treubrüchige! Verrätherin!“ zur Seite, und Martin bei der Brust packend, murmelte er mit erstickter Stimme: „Elender Bube!“

Es war der Freund und Spielgefährte des Andreas, Heinrich Kamphagen, im Dorfe kurzweg „Heinz“ genannt. Sohn eines ehemals begüterten Bauern, war er jetzt einfacher Knecht beim Schulzen. Mißwachs, dann ein Brand, hatten seinen vermögenden Vater sehr heruntergebracht, und nachdem dieser sich in allem Unglück noch dem Trunke ergeben, war’s mit der Familie und dem letzten Wohlstand völlig bergab gegangen. Als Heinz erwachsen, starb sein Vater, der Hof fiel in die Hände der Gläubiger, und der junge Bursch besaß Nichts, als ein redliches Herz, guten Willen und kräftigen Körper. Der Schulze des Dorfes nahm ihn in Dienst, und sein Fleiß, seine Treue und Zuverlässigkeit machten ihm bald einen guten Namen. Bei jenen Wechselfällen seines Geschicks war Andreas sein Freund geblieben, und während gar Mancher sich über den „armen Knecht“ voll Dünkel erhoben, zu denen auch Martin gehört, hatte Andreas sich immer fester und inniger an Den geschlossen, der mit so viel Kraft und Stärke sein hartes unverschuldetes Loos trug. Heinz hatte dies Benehmen dem Jugendfreunde nicht vergessen; er glaubte auch, es ihm schuldig zu sein, während Jener fern, über dem Mädchen zu wachen, das, wie ein Zufall ihm offenbart hatte, Andreas’ Braut war.

Mit finstern Augen, mit trotziger Miene hielt der arme Knecht den reichen Bauernsohn einige Secunden fest, dann mochte ihm wohl die Erkenntniß kommen, daß sein Freund für das meineidige Mädchen zu gut sei. Er ließ Martin los, indem er sagte: „Daß Ihr nur eine solche elende Dirne lieben mögt, die als Braut Eueres Bruders sich mit Euch einläßt!“

„Anne mit Andreas versprochen?“ rief Martin.

„O über Dich scheinheiligen Heuchler!“ schrie jetzt Heinrich voll Zorn. „Meinst Du, ich hätt’s vergessen, als ich Dich damals oben im Buchenhag getroffen? entsinne Dich doch, wie Du zusammengekauert wie ein Häufchen Unglück hinter der Hecke lagst und Deinen Bruder belauertest, als er grad’ dieser meineidigen Weibsperson den goldenen Reif an den Finger steckte und sie ihm ewige Treue gelobte. So wie mich damals ein Zufall in Deine Nähe geführt, so vorhin, als Dir der Schurke von Bote an der Kirchhofsmauer zuflüsterte, wo des schwarzen Andreas schönes Liebchen sei, und Du ihm für die Nachricht einen Thaler schenktest, den zweiten ihm gabst, als er Dir versprach, das von den Perlen in ihrer Gegenwart zu sagen, was Du ihm vorbetetest und der alle Sünder auch sicher hier oben wie ein Staarmatz nachgeschwatzt hat. O, hätte ich nur eher Zeit gehabt zu kommen, da hätt’ ich Dich vielleicht noch von der Sünde und dem Betruge – sie aber vom Meineid abgehalten!“

Martin entgegnete kein Wort, sah aber den Knecht mit Augen an, die einen minder beherzten Burschen sicher hätten erbeben machen. Heinrich kümmerte dies bleiche wuthentstellte Gesicht des sonst so ruhig leidenschaftslosen Martin eben so wenig, wie dessen zornfunkelnde Augen; er maß ihn, dann die Anne mit einem Blick unbeschreiblicher Verachtung, wandte sich dem Feldpfade zu und rief bitter: „Fürwahr, Die sind einander werth!“

Martin und Anne standen sich noch eine Weile schweigend gegenüber; darauf gingen sie stumm nebeneinander ebenfalls durch’s Feld dem Hofe zu. Verstört traten sie durch das kleine Thor in der Wiesenumzäunung; dort aber blieb das Mädchen stehen und indem es stolz den Kopf zurückwarf, sagte es ziemlich heftig: „Jetzt ist’s Ehrensache, daß Du mich heirathest, und je eher desto besser! Wir sind Beide schuldig; aber der Lump von Knecht soll sich nicht rühmen, uns Redlichkeit und Treue beigebracht zu haben.“

Sie gab ihm die Hand, und er nannte sie von dem Augenblick an seine Braut. Sieben Wochen später, an demselben Morgen, wo Andreas in die Heimath zurückkam, war Martin’s und Anne’s Hochzeitstag; die Glocken-, die ihm entgegentönten, als er das Vaterhaus sah, waren die Hochzeitsglocken des Bruders und Der, die ihm einst Liebe und Treue gelobt hatte.




Zwei Jahre waren vergangen. In dem Stadtgefängnisse zu M. las man einem des Mordes endlich überführten Gefangenen sein Urtheil vor. Es lautete auf Tod durch’s Beil. Er hörte die Worte an, ohne eine Sylbe zu entgegnen, und erst als der Gerichtsbeamte ihm zum zweiten Male mit tiefer Bewegung zurief: „Ihr könnt nun an die Gnade Seiner Majestät des Königs appelliren, der ein eben so gütiger wie milder Herr und Richter ist!“ antwortete der Gefangene: „Ich werde es thun, meiner armen Eltern wegen.“

Der Richter entfernte sich. Der Geistliche, der mit ihm gekommen war, blieb in der Zelle, in welche durch das kleine vergitterte Fenster jetzt ein Strahl des Sonnenlichts fiel. Es zitterte in hellem Lichtreflex über die auf dem Schemel zusammengesunkene Gestalt des Mannes, der des Mordes überführt war und nun das Antlitz in den von Ketten aneinandergeschlossenen Händen verborgen hatte. Mehrere Minuten betrachtete der junge Priester dies Bild der Trauer und des Schmerzes, dann trat er dem Unglücklichen nah und seine Hand sanft auf die dichten schwarzen Locken des Jünglings legend, sagte er ernst und eindringlich: „Andreas, Du bist unschuldig!“

Der Gefangene zuckte zusammen, die Ketten klirrten laut, er schauderte, blickte dann empor und sprach ruhig: „Herr Baron, kommen Sie endlich von dem Wahne zurück! er martert mich mehr als mein Elend.“

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