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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Die überhandnehmenden Zwistigkeiten Heinrich’s und Maria’s brachten es endlich dahin, daß der Kaiser einschritt und den Herzog ernstlich zur Sitte anhielt. Indessen scheint dieser oberherrliche Gewaltschritt doch nicht allzu ernstlich gemeint gewesen zu sein, denn das Fräulein von Trott blieb am Hofe zu Wolfenbüttel und die Vertraulichkeiten wurden nicht eingestellt. Was das Einschreiten der kleineren Fürsten anbetraf, so konnte Heinrich entweder ihrer Drohungen lachen, oder des Heilands Worte, gesprochen zur Ehebrecherin, auf sich anwenden: „Wer frei von Sünden ist, der werfe den ersten Stein auf mich!“ Namentlich konnte das auf den Landgrafen von Hessen gehen, der ganz öffentlich in einer Doppelehe lebte.

Sonach schien jede Möglichkeit, die verhaßte Nebenbuhlerin entfernt zu sehen, für die Herzogin verschwunden. Wie groß war daher ihre Freude, als Eva selbst um ihre Entlassung bat und der Herzogin die Mittheilung machte, daß sie zu ihren Eltern gehen und für ewig die schlüpfrigen Wege eines verführerischen Hoflebens meiden wolle! Begreiflicher Weise ward ihr die erbetene Entlassung – besonders da auch der Herzog erklärte, so sehr er ihren Abzug bedauere, könne er sie doch nicht zurückhalten – unverzüglich bewilligt.

Von dem Hofe, aus den Hallen des Wolfenbüttler Schlosses schied die reizende Eva, aus einer Umgebung, die sie beherrscht hatte, deren ganzes Bestreben, wenn auch im Geheimen, darauf gerichtet war, die herzogliche Geliebte in guter Stimmung zu erhalten. Sie reiste nach Kassel zu ihren Eltern und schlug den Weg dahin über Gandersheim ein.

Die Morgensonne stieg am Horizonte herauf. Noch deckte der Nebel des anbrechenden Septembertages die Gegend. Lautlose Stille herrschte in den Gassen der Stadt Eimbeck. Da verließen die Herberge zum Schwan, auf einem Wäglein sitzend, drei Frauen. Sie trugen kurze Reisemäntel mit Kapuzen. Der Wagen bog seitwärts ab von der Stadt; wo die Kapelle des heiligen Blutes einsam und verlassen stand, hielt er an. Als er sich dem kleinen Gotteshause näherte, traten aus dem Gehölze zwei Männer. Die Frauen stiegen von dem Wagen herab, während dessen öffnete der eine der Männer die Thüren der Kapelle. Die Frauen gingen hinein. Wohl ein halbes Stündlein blieben die Pforten geschlossen, dann traten alle fünf Personen wieder in das Freie. Die Weiber bestiegen ihren Wagen, die beiden Männer ihre Pferde, welche im Gehölze, an einen Baum gebunden, gestanden hatten. Der Wagen nahm die Richtung nach Gandersheim, die Reiter suchten die Straße nach Braunschweig auf.

Die drei Frauen waren: Anna Dankwert, des Schreibers zu Gandersheim Ehefrau, Pine Kippenberg, eine Schneidersfrau aus Gittelde, und Else Mettel aus Peine.

Zu dieser eigenthümlichen Gesellschaft hatte sich der Herzog Heinrich gefunden. Er war einer der beiden Reiter. In der kleinen Kapelle hatten die Frauen ihm einen schweren, hohen Eid geleistet, – – – der Herzog dagegen ihnen die Hand gereicht und glänzenden Lohn verheißen.

Gegen sechs Uhr desselben Tages hielt das Wäglein vor dem St. Georgenthore zu Gandersheim. Hier verließen die Frauen das Gefährt und vertheilten sich in der Stadt. Die Dankwert begab sich in das Amtshaus, die Kippenberg eilte in die Herberge des Schneidergewerkes, Else Mettel suchte die Wohnung des Baders auf, dessen Frau ihr verwandt war.




Gemächlich saß im Amtshause der alten Burg zu Gandersheim in seinem Lehnsessel der Amtmann Claus Scharffenstein. Vom Podagra heimgesucht, nahm er die Geschäftseinläufe in seinem Zimmer entgegen. Hagestolz, sehr bequem geworden, hatte er der Frau des Amtsschreibers, Anna Dankwert, seine Verpflegung übertragen, wofür dem Schreiber eine gute Stelle gesichert war. Eben wollte sich Meister Claus mühsam an seinem Stocke aufrichten, um nach dem mit Eimbecker Bier gefüllten Kruge zu greifen, als die Thür schnell geöffnet ward und die Dankwert in’s Zimmer stürzte: „Herr Amtmann, um Jesu willen, rathet, helft!“

„Anne, Anne,“ rief erschrocken der Amtmann; „was soll’s denn? Ich falle fast in Ohnmacht ob Eures Rufens!“

„Ach, da ist der Christoph Schmidt draußen, des Herrn Herzogs Küchenschreiber. Er bittet um Einlaß.“

„Nun, nun, was ist denn da Sonderliches?“

„Gestrenger Herr Amtmann, Schmidt hat eine todtkranke Frau bei sich, eine hohe, schöne Frau. Er wollte die Nacht noch bis Münchehof der Dame das Geleit geben, aber sie ist so heftig erkrankt, daß er sie hier lassen muß.“

„Laßt Schmidt heraufkommen,“ rief Scharffenstein, „ich muß von ihm hören, um was es sich handelt.“

Nach wenigen Augenblicken erschien der Küchenschreiber im Zimmer.

„Herr Amtmann, ich komme im Namen der Menschlichkeit, Euch um Aufnahme für eine todtkranke Frau zu bitten,“ sprach er hastig. „Des Herzogs Gnaden haben mir den Auftrag gegeben, dies hochgeehrte Kammerfräulein Ihro Gnaden der Herzogin Maria, Eva von Trott, gen Kassel zu geleiten. Die Edle ist aber so bös erkrankt, daß mich fast dünken will, sie werde die Nacht nicht mehr erleben.“

„Gott wolle so etwas in Gnaden verhüten!“ rief der Amtmann außer sich. Er sah im Geiste schon ein ansehnliches Präsent des Herzogs für die gute Aufnahme der Geliebten vor seinen Augen funkeln. „He da, Dankwertin, schnell ein Zimmer auf in dem Seitenflügel! Eilt, Christoph, bringt die Edle herein. Tummelt Euch Alle!“

Er zog den Glockenstrang. Diener stürzten herbei, Mägde schnatterten und liefen durcheinander, während die Dankwertin eiligst ein Zimmer herrichtete. Es war das letzte in der langen Reihe von Gemächern. Das einzige Fenster desselben befand sich wohl sechszehn Fuß über dem Erdboden und war in Form eines Söllers hinausgebaut. Gegenüber von diesem Fenster war kein Gebäude –, das Zimmer ward von den Räumen des Seitenflügels durch einen Gang getrennt, eine besondere Treppe führte hinauf. Die innere Einrichtung schien einen Gast erwartet zu haben, denn ein Bett mit weißen Vorhängen, sauber und behaglich hergerichtet, auch aller sonstige Hausrath, der eine Wohnung angenehm machen kann, war bereits vorhanden.

Während dieses im Innern der „alten Burg“ vorging, näherte sich eine schwerfällige Karosse dem Gebäude. Sie war von vier starken Handpferden gezogen und lenkte durch den Thorweg in den Hof. Christoph Schmidt und zwei Diener hoben die einer Sterbenden gleichende Eva aus dem Wagen, trugen sie in das bereit gehaltene Zimmer und entfernten sich dann, die Kranke der Obhut Anne Dankwert’s überlassend. Einige Stunden vergingen. Als es zehn Uhr sein mochte, erschien die Amtsschreiberin wieder in der Stube des Amtmanns, woselbst Schmidt noch im Gespräche mit dem Alten sich befand. „Ich brauche Hülfe zur Nacht,“ sagte sie in dringendem Tone, „die Kranke leidet gewaltig. Ihre Schläfe pochen und ihre Gesichtsfarbe ist bald bleich, bald hochroth. Schmidt, schafft Rath!“

„Wen holen wir? Soll ich die Schwestern aus dem Marienkloster holen lassen?“ fragte ängstlich der Amtmann.

„Nein,“ sagte Anna, „sie mag die schwarzen Gestalten nicht leiden. Es bringt sie auf. Ich weiß Rath. Eilet in die Herberge der Schneiderzunft, Christoph, dort wohnt die Kippenberg; dann gehet zu Martin, dem Bader, wo die Mettel heut nächtigt.

Beide sind mit mir heut zu Wagen gekommen. Saget den Frauen, ich lasse sie bitten, sich einzustellen und mir um des Heilands willen eine Kranke pflegen zu helfen.“

Nachdem Beide einen Blick des Einverständnisses gewechselt, entfernte Schmidt sich schnell. In nicht gar langer Zeit befanden die beiden bezeichneten Weiber sich mit Anne Dankwert am Bette des Kammerfräuleins Eva von Trott.

Die schöne Eva horchte angestrengt. Ebenso die Frauen. Vor wenigen Minuten hatten sich die Mägde entfernt, welche verschiedene Handreichungen im Krankenzimmer geleistet. Man hörte ihre Tritte noch auf der Steintreppe klappern. Es ward endlich still.

„Vorwärts!“ sagte Eva mit halblauter Stimme. „Jetzt schnell an’s Werk, wir dürfen keine Zeit verlieren! Schiebt die Reisebündel herbei.“

Nach diesen Worten verließ die Kranke schnell ihr Bett und warf sich das Nachtgewand über. Anne Dankwert schob ihr ein Bündel zu, dessen zwei Ketten verbindendes Vorlegeschloß das Fräulein öffnete. Als dies geschehen, öffnete sie das andere Bündel und begann nun den Inhalt zu leeren.

Draußen herrschte eine feierliche Stille, nur die Rufe der Wächter, von den Mauern der alten Stadt herüberschallend, unterbrachen

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