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wurde. Der ruhige Scharfblick des Statthalters fand jedoch bald den richtigen Weg, um den alten Feudalherren Böhmens ein erhöhtes Interesse auch für das Allgemeine beizubringen; sie schaarten sich um ihn, und durch sein gewandtes, liebenswürdiges Wesen schuf er sie zu bereitwilligen Mitarbeitern seiner volksfreundlichen Bestrebungen um. Die in alle Zweige der Verwaltung gestaltend eingreifende rastlose Thätigkeit des Erzherzogs Stephan rief in dem Königreiche ein verständig liberales System in’s Leben, dessen Früchte der Bürger bald zu fühlen begann.

Während seiner dreijährigen Statthalterschaft war Böhmen zweimal durch bedeutende Unglücksfälle heimgesucht. Im Winter 1845 überschwemmte die Moldau einen Theil des Landes, besonders die Hauptstadt Prag, und im folgenden Jahre entstand durch eine Mißernte Mangel und Noth, vor allem in den armen Bezirken des Erz- und Riesengebirges. Hier zeigte sich so recht die aufopfernde Thätigkeit des Erzherzogs. Er überzeugte sich an Ort und Stelle von der Ausdehnung des Unglücks, und auf seinen Betrieb flossen die reichsten Unterstützungen zusammen; hauptsächlich aber suchte er durch dauernde Arbeit der Noth für die Zukunft die Spitze zu brechen. Auch den Aufruhr der Fabrikarbeiter in Prag, der einen blutigen Ausgang zu nehmen drohte, stillte er durch sein taktvolles Auftreten.

Leider währte diese segensreiche Wirksamkeit, welche ihm in Aller Herzen ein bleibendes Denkmal setzte, nur kurze Zeit. Denn am 13. Januar 1847 starb der Erzherzog Palatin Joseph. Die Ungarn betrauerten in ihm einen Fürsten, der fünfzig Jahre lang zum Wohle des Landes gewirkt hatte. Den 18. Jan. desselben Jahres wurde Erzherzog Stephan zum Statthalter Ungarns ernannt unter allgemeinem Jubel der Nation. Diese Würde kann der König ohne Zuziehung der Stände verleihen; sie schließt übrigens dieselben Machtvollkommenheiten in sich, wie das Palatinat. Als der neue Statthalter im Sommer 1847 eine Rundreise durch das Land machte, glich dieselbe einem ununterbrochenen Triumphzuge; die Magnaten und das Volk überboten sich an Beweisen der Zuneigung und Verehrung, und es steht fest, daß in der damaligen Zeit selbst in der Residenzstadt Wien kein Prinz bei der Bevölkerung so populär war, wie der Erzherzog Stephan.

Mit dem Tode des Palatins Joseph drängten sich aber auch zum ersten Male alle jene unruhigen Elemente in den Vordergrund, die schon längst zu dem Glauben gelangt waren, sie allein seien die Nation. Im Monat September erschien das königliche Rundschreiben, wornach der Reichstag auf den 7. November zur Wahl des Palatins und zur Hebung der Landeswohlfahrt zusammentreten solle; von dieser Zeit begannen die Agitationen auf eine Weise, von der man in unserm Vaterlande kaum einen Begriff hat. Unmittelbar nach der Rückkehr von seiner Rundreise war der Statthalter nach Wien geeilt, hatte dort in rückhaltloser Darlegung die Verhältnisse Ungarns geschildert und die dringende Nothwendigkeit zeitgemäßer Umgestaltung in vielen Zweigen der Verwaltung derart befürwortet, daß die österreichische Regierung auf dem baldfolgenden Reichstage der Nation die weitgehendsten Zugeständnisse machte.

Aller Blicke waren auf den Erzherzog Stephan gerichtet, mit dem man die Geschicke des Landes innigst verknüpft glaubte; daher die freudige Theilnahme, als er am 18. October, so recht mitten in den Tagen des fieberhaft aufgeregten politischen Lebens von dem jetzigen Kaiser Franz Joseph als Obergespan des Pesther Comitats installirt wurde. Zum ersten Mal seit vielen Jahren klangen hier den Ungarn die süßen Laute ihrer Muttersprache amtlich aus dem Munde ihres künftigen Königs und von den Lippen ihres baldigen Palatins entgegen. Wer mochte ihnen die Genugthuung mißgönnen, die sie darin fanden, daß der Erzherzog Stephan ein geborner Ungar sei! Drei Bezirksstuhlrichter hoben ihn dreimal in die Lüfte unter dem donnernden Zuruf der Menge; so hatten es die Magyaren schon vor tausend Jahren gethan, als sie Alom zum obersten Heerführer wählten.

Am 10. November 1847 trat der neue Landtag zusammen. Gleich in der ersten Circularsitzung beantragte Kossuth, der Deputirte Pesth’s, daß die Schwurformel für den neuen Palatin in ungarischer Sprache abgefaßt sein müsse und daß er laut Instruction seiner Wähler vorschlage, den Erzherzog Stephan so zum Reichspalatin zu wählen, daß zwar die Candidation dem Landtage übergeben, jedoch nicht eröffnet werde. Allgemeine jubelnde Zustimmung begleitete den Redner, als er in erhebenden Worten das Vertrauen, die Liebe und Hingebung der Nation zu dem Erzherzog schilderte. Beide Anträge wurden angenommen. Tags daraus traf der Kaiser in Preßburg ein; umgeben von mehreren Prinzen des Hauses, eröffnete er unter großen Feierlichkeiten den Reichstag, und bei der nun folgenden Wahl wurde der Erzherzog Stephan unter dröhnendem Zurufe des überfüllten Saales einstimmig zum Reichspalatin erwählt.

Die Stände und die Magnatentafel hielten von jetzt an ihre regelmäßigen Sitzungen, in denen sich die bestehenden Parteien nur kurze Zeit bekämpften; die streng conservativen Aristokraten erlagen bald, und eben so schnell gewann die radicale Partei die Oberhand. Kossuth verstand es, die Nationalität überall in den Vordergrund zu stellen und damit die Versammlung freiwillig oder gezwungen vorwärts zu treiben. Das Unrecht, welches man durch die bezüglich der Ausdehnung der ungarischen Sprache gefaßten Beschlüsse den angefügten Ländern wie Serbien und Kroatien zufügte, erbitterte diese auf’s Höchste und machte sie zu activen Gegnern der Ungarn, als dieselben nach den französischen Februarereignissen den Weg der Revolution betraten.

So lange die Thätigkeit des Landtags auf dem Boden der Verfassung blieb, fand sie einen bereitwilligen Förderer an dem Erzherzog Palatin; alle die liberalen Gesetze über Preßfreiheit, Vertheilung der Abgaben und einen besseren Volksunterricht wurden von ihm auf’s Eifrigste unterstützt. Kossuth mit seinem Anhange arbeitete übrigens auf eine völlige Lostrennung von dem Reichsverband hinaus und stürzte eine der alten Verfügungen, welche das Land mit der regierenden Dynastie verknüpften, nach der andern um. Der Palatin suchte Alles aufzubieten, um in diesen verhängnißvollen Zeiten das Amt des Vermittlers zwischen Krone und Landtag auf eine für beide Theile ersprießliche Weise auszuüben, und stellte sich selbst an die Spitze einer Deputation, die dem Kaiser die Wünsche und Forderungen der Nation vorlegte: Vertretung der unteren Stände auf dem Reichstag, Gleichheit vor dem Gesetz in bürgerlicher und religiöser Hinsicht, Volksbewaffnung, Beeidigung des Heeres auf die Verfassung, Entfernung fremder Truppen aus dem Lande und ausschließliche Verwendung der ungarischen Regimenter im Lande selbst. – Als die Magnatentafel ihm die Bitte vortrug, diese Petition selbst zu überbringen, erklärte er, daß er allen seinen persönlichen und selbstständigen Einfluß aufbieten wolle, um die Wünsche der Nation zu verwirklichen. Zwar wurden diese einzelnen Punkte nur mit Vorbehalt genehmigt, aber zugleich ernannte der Kaiser den Erzherzog zum Statthalter mit unbeschränkter Vollmacht.

Auch hier hieß es: „Zu spät!“ Wie eine nicht mehr aufzuhaltende Fluth brauste jetzt die Revolution über das Land hin. Schon während des Aufenthaltes der Deputation in Wien war der Sturm losgebrochen. Denn man erwartete von Wien nichts mehr. Auch der Palatin vermochte nicht mehr den Damm aufzurichten, der einmal durchbrochen war, und bemühte sich nur noch, seinen Einfluß dahin geltend zu machen, daß das drohende Unglück des Bürgerkriegs abgewendet blieb.

Schon lange hatten jedoch die mit dem Königreich verbundenen Nationen der Serben und Kroaten voll Grimm die Verhandlungen der beiden Tafeln verfolgt; die offenkundige Geringschätzung der Ungarn gegen sie trieb sie zum letzten Schritt, zur völligen Losreißung. Und so brach denn der Bürgerkrieg wirklich aus. Wir können die nun folgenden Ereignisse aus jüngstvergangener Zeit als unsern Lesern bekannt voraussetzen. In allen seinen Plänen zur Rettung Ungarns gehemmt, mußte der Erzherzog endlich machtlos dieses Feld der Zerfahrenheit überblicken. Im Königreich selbst eine vollendete Anarchie, heraufbeschworen durch die ultramagyarischen Radicalen, vor deren zerstörender Macht das beste Gesetz nicht über Nacht Stand hielt; bei der Regierung in Wien die weitgehendsten öffentlichen Zugeständnisse, im Geheimen aber schleunige Gegenminen, Aufreizen und Vorwärtstreiben der mit den Ungarn verbundenen Nationen: dies Alles mußte die besten Kräfte lahmlegen. So verließ denn der Erzherzog ein Land, das für ihn in seiner Stellung keinen Fuß breit Boden mehr zeigte, um sich den vernichtenden Gewalten entgegenzustemmen. Er legte seine Würde in die Hände des Kaisers nieder und zog nach dem Schlosse Schaumburg an der Lahn.

Bewegte sich die Thätigkeit des Erzherzogs Stephan auch nicht geradezu in den Bahnen eines gekrönten Hauptes, so war sie doch unzweifelhaft von derselben Bedeutung. Seine Persönlichkeit, seine

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