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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Gärten und Parks umzugestalten gewußt. Tausende von Fremden pilgern während der heiteren Jahreszeit dahin, und wohl wenige verlassen unbefriedigt diese freundlich geöffneten Räume mit ihren Natur- und Kunstschätzen, diese Thürme mit der weittragenden Aussicht.

Steigt der Wanderer den steilen Fußweg von Balduinstein nach Schaumburg hinan, so begegnet er vielleicht oben an der weiten Lindenallee einem hochgewachsenen Manne mit schwarzem Haar und Bart und einfachem grauen Anzuge; vielleicht ist dieser Mann eben beschäftigt, eine Pflanzengruppe zu ordnen oder Farne und Moose in die Mauern aus rohen Steinblöcken einzusetzen. Der Angekommene bittet ihn um Auskunft wegen Besichtigung des Schlosses, und weil eben kein Führer zur Hand ist, verläßt der Arbeitende seine Gewächse und geleitet, bereitwillig die neugierigen Fragen beantwortend, den Fremden hinauf durch das Thor. Hier übergiebt er ihn dem Castellan und kehrt zu seiner Arbeit zurück. Mancher beeilt sich dann mit der Rundschau, um noch einmal diesen freundlichen Führer zu sehen; denn es war, wie man ihm oben sagte, der Erzherzog selbst.

Erzherzog Stephan von Oesterreich.

Erzherzog Stephan ist eine fürstliche Persönlichkeit im besten Sinne des Wortes; ist es Zufall oder ist es eine Einwirkung seiner Umgebung in einer bewegten, ereignißvollen Zeit, in seinem ganzen Wesen spricht sich neben der vollen Ritterlichkeit jene kindliche Herzensgüte aus, welche die Persönlichkeiten des ungarischen hohen Adels und mehr oder weniger des ganzen Magyarenvolkes so sympathisch charakterisirt und welche, wie man meinen sollte, sehr wohl geeignet sein dürfte, die Kunst, dieses Volk zu regieren, wesentlich zu erleichtern. Unverkennbar in der Person des Fürsten ist die Aehnlichkeit mit seiner ausgezeichnet schönen Mutter, der Prinzessin Hermine von Schaumburg.

Als der Erzherzog Joseph, Palatinus von Ungarn, seine erste Frau verloren hatte, führte er die älteste Tochter des Fürsten von Anhalt-Bernburg-Schaumburg heim; aus dieser Ehe entsprossen Zwillinge, der Erzherzog Stephan und seine im schönsten Alter hinübergegangene Schwester Hermine. Der Tag, welcher den beiden Kindern das Leben gab, der 14. Septbr. 1817, brachte der Mutter den Tod; aber die fürstliche Großmutter zu Schaumburg, eine der gebildetsten Frauen ihrer Zeit, nahm sich der Verwaisten an und führte sie auf ihr Schloß, das heute für den Enkel wieder ein bevorzugter Aufenthalt geworden ist.

Erzherzog Stephan erhielt eine äußerst sorgfältige Erziehung, eine Erziehung, die auf eine ganz bestimmte locale Stellung im österreichischen Staate berechnet war. Es ist eine allbekannte Sache, daß man wegen des Conglomerats von so vielen Nationalitäten des Reichs in keinem fürstlichen Hause mehr Sorgfalt auf die sprachliche Ausbildung verwendet, als in der kaiserlichen Familie. Die sechs Sprachen, welche der Erzherzog Stephan mit derselben Geläufigkeit spricht, wie seine Muttersprache, fallen darum vielleicht nicht so sehr in’s Gewicht, wie das wissenschaftliche Element, das man bei seiner Ausbildung besonders im Auge hatte. Für einen Jüngling von so hervorragenden Talenten handelte es sich vor Allem um specielle Berücksichtigung der bedeutungsvollen Stellung, die er voraussichtlich einnehmen mußte; es handelte sich um eine Erziehung, berechnet auf die Regierung eines Staates. Daß das Vaterland Ungarn mit seinem politischen und nationalen Leben besondere Richtschnur für den klugen Palatinus Joseph in der Ausbildung seines Sohnes wurde, ist darum leicht begreiflich. Die hervorleuchtenden Eigenthümlichkeiten des Erzherzogs Stephan sind insofern echt magyarisch; die bemerkenswerteste darunter ist unbedingt sein eminentes Rednertalent, das heute noch die Bewunderung derer erregt, welche Gelegenheit haben, ihn zu hören.

Für die Ungarn, welche mit außerordentlicher Vorliebe an dem Hause ihres Palatins hingen, hatte es einen besonderen Reiz, zu wissen, daß ihr Prinz Stephan auch ein vorzüglicher Reiter sei, daß er auf der Pußta die halbwilden Pferde zu tummeln wußte, wie der beste Csikos und daß er sich jederzeit bemühte, die Zustände und Bewohner des Landes, wie auch dieses selbst persönlich kennen zu lernen.

Im März des Jahres 1838 trat eine für Pesth und Ofen verhängnisvolle Katastrophe ein: die Donau überfluthete bei dem Eisgang die Ufer, drang mit außerordentlicher Schnelligkeit und Gewalt in die niedriggelegenen Viertel von Ofen und überschwemmte ganz Pesth. Tausende von Menschen retteten sich in die oberen Stockwerke der Häuser und waren tagelang von allem Verkehr abgeschnitten; denn die immer steigende Fluth führte die Eisblöcke durch die Straßen, so daß auch die Muthigsten sich nicht in dieses den Untergang drohende Chaos wagten. Jetzt war es der einundzwanzigjährige Prinz Stephan, der trotz aller Abmahnung einen Kahn mit Lebensmitteln füllte und getrost hinaussteuerte in die tosenden Gewässer, um den halbverhungerten, von dem fürchterlichen Elemente gefangen gehaltenen Bewohnern Nahrungsmittel zuzuführen und in Sicherheit zu bringen, was sich aufnehmen ließ. Dieses Vorbild wirkte zündend, und die Cavaliere setzten so gut ihr Leben dran, wie der gemeine Mann, um nicht hinter dem Erzherzoge zurückzubleiben. Selbst dann, als sich die Gewässer verlaufen, hatte die Noth noch nicht ihr Ende erreicht. Hunderte von Häusern waren rein weggeschwemmt und verhältnißmäßig viele total unbewohnbar geworden. Der Palatinus lag krank darnieder, und so war es sein Sohn, der zahlreiche Anstalten zur Unterstützung und Verpflegung der Geschädigten in’s Leben rief und leitete. Diese Unglückstage von Pesth und Ofen haben die Ungarn heute noch nicht vergessen und gewiß auch nicht des hochherzigen Fürsten, dem sie damals aus allen Landestheilen begeisterte Adressen zuschickten und von dem ein Augenzeuge schreibt: „Wie ein aus höhern Regionen gesandter Schutzgeist waltet er unter den Unglücklichen, keine Gefahr, keine Widerwärtigkeiten scheuend. Ihn begleiten auf seinem Rettungszuge der Muth und die Liebe, und ihm nach schweben die Genien des Dankes und der Freude.“

Es ist eine feststehende Thatsache, daß Niemand die auf ihre konstitutionellen Rechte mit eifersüchtigen Augen wachenden ungarischen Großen besser behandeln und leiten konnte, als der Palatinus Joseph. Unter seiner speciellen Aufsicht wurde der junge Prinz in die Geschäfte eingeführt und so mit den nationalen, von den politischen Einrichtungen der übrigen Theile der Monarchie vollständig abweichenden Formen des Königreichs gründlich bekannt gemacht. Die Ungarn, deren Augen damals mehr auf das Haus ihres Palatins, als nach Wien gerichtet waren, setzten darum die ganze Zukunft des Landes auf die Person des Erzherzogs Stephan und sprachen von ihm als von einem specifisch ungarischen Prinzen.

Während der Jahre 1841, 42 und 43 bereiste der Erzherzog Deutschland und Italien. Mit dem Jahre 1844 schlug für ihn die Stunde, wo ihn der Kaiser zum ersten Male zur selbstständigen Verwaltung eines bedeutenden Kronlandes berief: er wurde zum General-Statthalter von Böhmen ernannt. Aufgewachsen in den constitutionellen Formen des Königreichs Ungarn, mochte es der damals 27 jährige Erzherzog kein Leichtes finden, sich in die rein absolutistischen Principien zu schicken, nach denen Böhmen regiert

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_485.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)