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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

mit mir kokettirt hat? … nein, nein, nimmermehr, ich muß den Dingen eine Wendung geben, die Alles in’s Gleis bringt, ich muß, ich muß, und der Himmel mag mir beistehen, es zu ersinnen, wie!“




Am Morgen nach einer schlaflosen Nacht, war es das Erste, was Kaunitz vornahm, sich nach dem Cavaliere Gennaro und seinem Schicksale zu erkundigen. Er fand die Nachricht Bianca’s vollauf bestätigt; der Cavaliere war in Verhaft, und es sollte am andern Tage nach dem Willen des Königs ein Kriegsgericht über ihn abgehalten werden, das zu bestimmen hatte, wie lange Zeit der arme Cavaliere in der grausamen Felseneinsamkeit des düstern Forts Bard, das den schaurigsten aller schaurigöden Alpenpässe hütet, zubringen, welchen Theil seines bisher so heiter dahingeflossenen Lebens er darin begraben sollte.

Es war also keine Zeit zu verlieren … wollte der junge Diplomat das Unheil, welches er angestiftet hatte, wieder gut machen, so mußte er rasch handeln.

Und er wollte es wieder gut machen. Die Nacht war ihm nicht umsonst schlaflos verflossen. Sein Plan stand fest.

Er wußte, daß der Baron von Breteuil, der französische Gesandte, um eilf Uhr, nach dem Gabelfrühstück, einen Spaziergang im Parke zu machen pflegte, unter dessen schattigen Wipfeln dann noch die Morgenkühle der stechenden Sonnenhitze nicht gewichen war, welche um diese Zeit bereits auf den schutzlosen Gefilden der Ebene von Turin lag.

Schon eine halbe Stunde vorher schlenderte er wie müßig in den langen Alleen auf und ab. Endlich sah er den Baron, allein, sogar ohne den galonnirten Diener, der ihm gewöhnlich in einiger Entfernung folgte, daherkommen.

Als sich Beide erreicht hatten, grüßte Kaunitz mit der Miene eines Mannes, der vorübergehen will; er war sicher, daß der Baron nicht unterlassen werde, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen und darin einige Angeln auszuwerfen; gegen den bloßen Gesandtschaftsattaché brauchte er nicht die ceremoniöse Zurückhaltung zu beobachten, welche er dem Gesandten einer feindlichen Macht gegenüber auch auf diesem neutralen Gebiet hätte beibehalten müssen.

„Sieh da, lieber Graf Kaunitz,“ sagte der Baron mit der herablassenden Gnade, die er in seinen vollen, sehr wohlwollenden Zügen ausdrücken konnte, und mit einer leichten Verbeugung seiner kräftigen Gestalt, die ein bauschiger heller Sammtrock stattlich umwallte, „ich freue mich, zu sehen, daß auch Sie von diesem prächtigen Schatten angezogen werden … darf ich mir nicht die Ehre Ihrer Begleitung ausbitten? Man wird hoffentlich kein Staatsverbrechen darin sehen, wenn man uns ein wenig harmlos zusammen plaudern sieht … nicht wahr, dies Stupinigi ist ein schönes Schloß … und welcher Park!“

„Sie sind sehr gnädig, Excellenz,“ versetzte Kaunitz, indem er sich ihm anschloß, „in der That, auch ich finde Stupinigi der Bewunderung Eurer Excellenz vollkommen würdig. Der große Juvara hat nie etwas Schöneres und Großartigeres geschaffen!“

„Und ein vortrefflicher Aufenthalt,“ sagte lächelnd die Excellenz, „so lange jenseits der Parkmauern die heiße Sonne Italiens glüht … ein Schauder faßt mich an, wenn ich daran denke, diese Schatten verlassen zu sollen …“

„Wenn man dabei im Schatten von Siegeslorbeeren bleibt, Excellenz, denk’ ich mir doch die Sache nicht so unerträglich … die kurze Reise durch die Sonne, bis man sich dann bald am Ziele daheim wieder im Schatten der erworbenen königlichen Gnade bergen kann …“

„Aber für den, der am Ziele diesen Schatten nicht findet … und Einen von uns muß über Kurz oder Lang dies Schicksal treffen …“

„Freilich,“ sagte Kaunitz mit einem halb unterdrückten Seufzer … „schon über Kurz, denn unsere Monarchin drängt, sie will eine peremptorische Erklärung … sie weiß, welchen gefährlichen Gegner wir am Baron von Breteuil haben, und fürchtet mit Recht bei längerem Verhandeln eine Niederlage, wo ein solcher Feind uns gegenübersteht!“

„Das ist allerdings sehr schmeichelhaft für mich, mein lieber Graf; aber, mon cher, wir müßten sehr naiv sein, wenn wir nicht aus dem Ton der Niedergeschlagenheit, womit Sie das sprechen, den Verdacht schöpfen sollten, daß Ihre Sachen sehr gut stehen, daß Sie eine sehr gute Position beim Könige eingenommen haben!“

(Schluß folgt.)




Ein deutscher Fürst im Stillleben des Exils.

Rhein, Main und Lahn, drei Flüsse reich an Wundern und Schönheit, und die auserwähltesten dieser Wunder, dieser Schönheiten gruppiren sich zusammen in dem Herzogthum Nassau. Man wird uns nicht mißverstehen: wir meinen nicht die jetzige Regierung dieses Herzogthums, welche in ihrer Art freilich auch ein Wunder ist. Rhein und Main, die beiden reichen stolzen Flüsse kennt alle Welt; die Lahn, das Aschenbrödel, wird erst bekannter, nicht seitdem es einen goldenen, sondern seitdem es einen eisernen Schuh geschenkt erhalten hat in Gestalt der Lahnbahn. Jetzt erst dringt das reisende Publicum tiefer in das schöne Lahnthal; früher war Ems der letzte Vorposten der eleganten Welt; Ems, die artige Vorstadt von St. Petersburg, berühmt durch seine Bubenquelle. Von Ems fährt man jetzt weiter nach Nassau, dem Geburtsort des Freiherrn v. Stein; von Nassau am Kloster Arnstein und an den Silbergruben von Holzappel vorüber gen Dietz. Da passirt man denn ein kleines Dörfchen am linken Lahnufer, malerisch überragt von der alten verwitterten Ruine Balduinstein. Das Dörfchen führt den gleichen Namen, und man würde diesen sowie die Art seiner Existenz, die Nothdurft der Gegenwart, eingesponnen von dem Epheu bröckelnder Vergangenheit und knapp berührt von dem gewaltigen Flug neuer Zeiten, wohl bald vergessen haben, wenn nicht in den höheren Gebirgszügen, dicht über Balduinstein, ein stolzes, bewohntes Schloß seine Zinnen zeigte. Hohe, zackige Schieferfelsen steigen hier allseitig empor, und weit über sie hinaus ragt ein grünumwaldeter Basaltkegel, geziert mit den schimmernden Zinnen und Thürmen der Schaumburg.

Schloß Schaumburg in Nassau.

Wer noch vor zehn Jahren diesen wenig besuchten Strich des schönen Ländchens Nassau durchwanderte, würde heute kaum mehr die frühere Residenz der Fürsten von Schaumburg erkennen, so sehr hat der gegenwärtige Besitzer der Herrschaft, Erzherzog Stephan von Oesterreich, das alte, einförmige Burggemäuer, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_484.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)