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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 31. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Die schwarz-weiße Perle.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Kaunitz blieb, nachdem Graf Traun zur Gesellschaft zurückgekehrt war, in der Fensternische stehen, und jetzt verdüsterte sich in eigenthümlicher Weise sein scharf geschnittenes markirtes Gesicht.

„Der in seiner eigenen Schlinge gefangene Fuchs,‘ oder ,Spiele nicht mit dem Feuer,‘ oder ,Diplomatenlist und Weiberlist‘ – lauter vortreffliche Titel zu der kleinen Novelle, in welcher ich hier die Rolle des Intriguants spiele,“ flüsterte er vor sich hin. „Ich hätte nie gedacht, daß es so gefährlich ist, eine hübsche Zimmernachbarin zu haben! Daß man dann den ganzen Tag an sie denken, auf ihre Bewegungen lauschen muß! Und jetzt … o, wenn ich dieser schönen, reizenden Bianca nur einen Augenblick in’s Herz sehen könnte! Läßt sie sich meine Huldigungen gefallen, weil sie eben Gefallen daran findet, weil sie ihren treulosen Gennaro vergessen will? Das schwerlich. Aber vielleicht weil sie ihn ärgern, weil sie ihm zeigen will, daß sie sich nichts aus seiner Treulosigkeit macht; wenn es auch das nur wäre, damit hätt’ ich schon viel, hätt’ ich Alles gewonnen! Vielleicht aber auch nur, weil sie weiß, daß ich ihr Zimmernachbar bin, weil sie mich anlocken will, um endlich, wenn ich zu ihrem willenlosen Sclaven geworden, zu erfahren, was zwischen mir und ihrem Gennaro in jener Nacht vorgefallen ist … blos deshalb – und das, fürcht’ ich, ist das ganze Geheimniß ihrer Gunst – und wahrhaftig, es wäre verzweifelt demüthigend für mich! Was soll ich jetzt thun? Soll ich den Plan verfolgen, um dessen willen ich mich ihr ursprünglich näherte? Soll ich, wenn der Baron Breteuil der Marchesa die Perle, die ich ihm in die Hände spielte, mit französischem Großthun überreicht hat, Bianca zum König schicken, damit sie sich über seine Intriguen beklage und dem König, der dann ohnehin gereizt genug sein wird, erzähle, wie Breteuil ihren Geliebten durch seine Nichte an sich gezogen habe, um durch diesen glänzenden Cavaliere auf die Marchesa wirken zu können, die ihn so auffallend bevorzuge? Gewiß, der König wird wüthend werden über die französische Diplomatie und die bösen Gedanken, welche diese von seiner Marchesa hegt, als ob sie sich bestechen lasse, als ob sie, seine Geliebte, von diesem Gennaro geleitet werden könne und als ob er, der König, Weiber sich in seine politischen Entschlüsse mischen lasse – der Franzose ist verloren, das ist sicher … und die Marchesa wird erschrocken sein, daß man ihre Neigung für Gennaro entdeckt hat, und eine Verbindung Gennaro’s mit Bianca auf’s Aeußerste beeilen!“

Kaunitz lispelte diese Betrachtungen für sich hin, aber es schien der Gedanke des Siegs, bei welchem er inne hielt, ihn keinesweges mit großer Freude zu erfüllen. Er sah im Gegentheil ziemlich niedergeschlagen und starr auf den Boden, bis er nach einer Weile wie, plötzlich aus seinem Träumen auffahrend, leise für sich ausrief: „Thörichte und sündige Gedanken … bleiben wir bei unserem Plan und deshalb handeln wir!“

Er suchte Bianca Pallavicini auf, die er in dem anstoßenden Salon fand, wo ein Kreis von Damen um die Marchesa von San Damiano versammelt war. Sie saß neben einer anderen Dame in einer Causeuse, und auf einem Tabouret neben ihr saß Aimée von Brissac.

Kaunitz trat unbemerkt, wie er glaubte, in ihre Nähe, um etwas von dem höchst lebhaften Gespräch aufzufangen, in welches er die jungen Damen vertieft fand und das, wie es nach dem Tone der Redenden schien, etwas von einer gereizten Debatte hatte.

„Sie waren nie in Paris und behaupten das so sicher?“ sagte eben Aimée.

„Warum sollt’ ich nicht,“ fiel Bianca ein, „wenn ich auch nie in Paris war und nie hinzugehen beabsichtige!“

„So sehr steht es bei Ihnen in Ungnade?“

„Ich wüßte nicht, weshalb man sich die Mühe geben sollte, es aufzusuchen, wenn man Italien hat!“ erwiderte Bianca.

„Italien – Italien ist sehr schön, wer leugnet das,“ versetzte Fräulein von Brissac, „aber was in Italien ersetzt die Pariser Gesellschaft?“

Bianca lächelte – fast spöttisch; dann sagte sie: „Braucht man nach Paris zu gehen, um sie zu haben? Sie ist überall und will überall ihren Ton, ihre Manieren, ihre Moden vorschreiben, überall herrschen …“

„Nun ja, sie ist einmal das Vorbild des guten Tons und der Moden,“ entgegnete Aimée mit selbstbewußtem Aufwerfen des Kopfes; „woher wollen Sie diese sonst holen, Ihre Umgangsformen, Ihre Moden – doch nicht etwa aus Deutschland … aus Wien?“ setzte sie mit anzüglichem Tone hinzu.

„Italien ist groß und gebildet genug, es braucht kein Vorbild und keine Lehrmeister,“ versetzte Bianca sehr scharf und zornig, „aber wenn es sie brauchte, thäte es gewiß klüger, sich an die Deutschen zu halten; ich finde die Deutschen jedenfalls weniger eroberungssüchtig, ehrlicher und liebenswürdiger als die Franzosen … hab’ ich nicht Recht, Graf Kaunitz?“ wandte sie sich plötzlich an diesen, indem sie den Kopf zurückwarf und ihn herbeiwinkte.

„Stehen Sie mir bei gegen die französische Eroberungslust!“ setzte sie mit einem bitteren Blick auf ihre Gegnerin hinzu.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_481.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)