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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

aber sogar das milde Interlaken in einem heißen Julimonat ohne Schatten ist – das hatte ich gerade damals an mir selbst zu erfahren die reichlichste Gelegenheit.

Von dem Hauptgebäude selbst, dessen Situation der Leser aus unserem Bilde hinreichend deutlich ersieht, waren damals die Räume für die Keller, Küchen und Zubehör, die sämmtlich in den lebendigen Fels gesprengt waren, im Rohbau fertig, ebenso wie das unterste Stockwerk und ein Theil des zweiten Stockwerkes. Das Haus, wie es noch im vergangenen Sommer unter Dach gebracht war und jetzt fertig steht, bietet in vier Etagen Raum für 150 Gastbetten. Die bei weitem größere Anzahl der Zimmer wird mit Alcoven oder besonderen Schlafcabinets versehen, um den längere Zeit verweilenden Curgästen ein getrenntes Wohn- und Schlafzimmer zu gewähren. Daß die innere Einrichtung überall die eines Hotels ersten Ranges werden sollte und gewiß geworden ist, versteht sich bei einem so großartigen Etablissement von selbst.

Vor der unserm Bilde entgegengesetzten, der Jungfrau zugewandten Hauptfronte des Hotels breitet sich eine gewaltige Terrasse aus. Von dieser führen wenige Stufen zu der auf 16 steinernen Säulen ruhenden, 200’ langen und 15’ breiten Trinkhalle, in deren Rückwand geräumige, gewölbte Nischen zu Ruheplätzen und an deren beiden Enden Glassalons angebracht sind. „Und nun lassen Sie wirklich einmal schlechtes Wetter eintreten,“ sagte Herr von Rappard, während wir den für die Trinkhalle bestimmten Raum auf- und niedergingen, „das ist freilich zum Verzweifeln für Euch da unten; aber für uns hier ist die Aussicht selbst bei bedecktem Himmel reich und lohnend, besonders bei Unwetter, wenn die Wolken an den Bergen sich senken und heben, sich ballen und zertheilen, hier eine Bergspitze und dort eine Felsenmasse hervorschaut, und wenn nur auf einen Moment die Dünste sich zertheilen und die weiße Jungfrau aus ihrem Nebelschleier auf uns niederblickt.“

Wenn Herr von Rappard so die Vorzüge des Etablissements schilderte, konnte ich nur immer wieder bedauern, daß der größere Theil desselben (zum wenigsten des Hauses) damals noch auf dem Papiere stand.

Jetzt ist es vollendet und seit dem 30. des vorigen Monats eröffnet.

Die Vorzüge Interlakens als Aufenthaltsort für Krankheiten vielerlei Art sind den Aerzten längst bekannt: reine, kräftigende Gebirgsluft vereinigt mit einem milden, fast südlichen Klima. Ist es doch nach Norden zu durch eine Gebirgswand von 6–7000’ Höhe gegen alle rauhen Winde geschützt; müssen doch die heißen Winde des Südens erst die meilenweiten Schnee- und Gletscherfelder des Berner Oberlandes passiren, so daß durch das Bödeli eigentlich nur Ost- und Westwinde streichen, denen die breiten Wasserbecken jene milde und weiche Beschaffenheit verleihen, die für kranke Lungen so unbeschreiblich wohlthätig ist. Dazu kommen kräuterreiche Alpen zu Kuh-und Ziegenmolken, zu Kräuter-Tränken und -Bädern. Bisher aber waren das alles disjecta membra, da es an einer von einem tüchtigen Arzt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_461.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)