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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

fertig und ich der glückliche Inhaber eines der vielen Zimmer wäre, die er enthalten würde, und daß die Fenster dieses Zimmers nach der Jungfrau blickten. Dieser letztere Umstand war, wenn man erst einmal das Zimmer hatte, sehr wahrscheinlich, denn die eine ganze Seite des Gebäudes schaut direct nach der Jungfrau hinauf, und deshalb heißt der Ort, wo das Gebäude eben errichtet wurde, der Jungfraublick, und das Gebäude selbst sollte, wenn es fertig war, das Hotel und Curhaus zum Jungfraublick genannt werden. Es giebt gewisse Projecte, mit denen es ist, wie mit dem Ei des Columbus. Man braucht sie nur auszusprechen, so sagt ein Jeder: aber das versteht sich ja von selbst! Nichtsdestoweniger Ehre dem Manne, in dessen klugem Kopfe zuerst der Gedanke entstand, hier an diesem Punkte, der, wenn einer, dazu auserwählt ist, ein großartiges Etablissement zu errichten zu Nutz und Frommen so vieler Tausende erholungs- und heilsbedürftiger Menschen.

Herr von Rappard, dem diese Ehre zukommt,[1] hatte die Freundlichkeit, mich mit den Einzelnheiten des Projectes bekannt zu machen.

Hotel und Curhaus zum Jungfraublick in Interlaken.
Nach der Natur gezeichnet F. Lips in Bern.

Zuerst, was ich selbst davon in der Ausführung oder bereits ausgeführt sah.

Das waren die 8–10’ breiten bequemen Wege, die von der Sohle des Thals zum Curhaus hinauf, vom Curhaus weiter so kunst- und sinnreich um den ganzen Rugen geführt sind, daß man die Höhe des 600’ hohen Berges erreicht, ohne kaum jemals das Steigen wahrzunehmen, ohne unter den breitkronigen Bäumen von einem Sonnenstrahl getroffen zu werden. Und nun rechts und links, ehe man es sich versieht, die prachtvollsten Blicke auf den Brienzer See, den Thuner See, die Jungfrau, und wie sie alle heißen die prächtigen Bilder, von denen ich oben eine Schilderung zu geben versucht habe; Bilder, die man dadurch gewann, daß man einfach ein paar Bäume wegnahm; Bilder, die man in seligster Ruhe genießen kann, denn an allen diesen Punkten und noch unzähligen anderen laden den Promenirenden bequeme Bänke, anmuthige Pavillons, wahrhaft idyllische Ruheplätze zum Schauen und Träumen ein. Welch’ ein Park! Kein König und kein Kaiser der Erde kann sich eines gleichen rühmen! – Es war nicht, um nur ein raffinirtes Schwelgen in landschaftlichen Reizen möglich zu machen, weshalb man auf diese colossalen Parkanlagen so viel Geduld, Zeit und Geld verwandte. Die Annehmlichkeit und das Gelingen einer jeden Brunnen- und Molkencur – und besonders auf diese letztere ist es bei der ganzen Anlage in erster Linie abgesehen – beruhen wesentlich darauf, daß der Curgast während des Trinkens und nach demselben sich in behaglicher Ruhe in schattigen und dabei sonnedurchwärmten Waldungen ergehen kann. Schon das gänzliche Wegfallen dieses wichtigen Momentes verurtheilte die Molkencuranstalt, welche man bekanntlich vor einigen Jahren neben dem Höhweg in der baum- und schattenlosen Ebene anlegte, zu ewiger Bedeutungslosigkeit. Was


  1. Herr von R. ist auch der Entdecker des Gießbachs, wenigstens in seiner jetzigen Gestalt.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_460.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)