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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Das sollst Du mir nicht umsonst gegeben haben,“ sagte sie, und damit ließ sie schnell ihr Händchen auf die Wange des kecken Freibeuters fallen. Diesmal hatte sie die Lacher gewonnen. Der Sappeur gerieth ein wenig in Verlegenheit und knurrte:

„Niedliche Hexe, wie kannst Du gegen einen Landsmann so ungezogen sein?!“

„Es sind hier an 20,000 Westphalen,“ erwiderte das Mädchen, „wenn ich mich von allen diesen küssen lassen sollte, würde von mir bald Nichts mehr übrig sein.“ Damit wandte sie sich und ging davon.

„Lottchen ist hübsch, aber die Minka ist göttlich!“ meinte mein Führer und wies auf ein altes starkknochiges Frauenzimmer, das kerzengerade und in militärischem Marschtempo auf uns zuschritt. Eine Feldmütze saß ihr auf dem grauen Haupte, und ein ansehnlicher Schnurrbart in dem wettergebräunten Antlitz. Der Oberkörper stak in einer blauen, mit blanken Knöpfen besetzten Tuchjacke, von welcher der linke Aermel schlaff herabhing. – „Eine Granate hat der Alten den Arm fortgerissen,“ erklärte der Officier. „Sie ist des Satans Großmutter, daher sie sich auch nicht vor ihrem leibhaftigen Enkel fürchtet, noch weniger vor den dänischen Kugeln; denn sie sucht selbst die Vorposten in ihren Löchern auf. – Holde Minka, ich grüße Dich!“ fuhr er gegen die Marketenderin fort.

„Danke, min Jung!“ entgegnete die Alte in heiserem Basse, aber mit unerschütterlichem Ernste. „Du weißt doch, daß Du mir noch 3 Thlr. 22 Sgr. schuldig bist?“

„Aber Minka,“ sagte der Lieutenant und nahm einen vorwurfsvollen Ton an, „Minka, warum plauderst Du unsere Geheimnisse aus? Zeige lieber, was Du noch im Korbe hast.“

„Eine Kiste Cigarren und drei Flaschen Dänenblut,“ erklärte die Alte.

„Nun,“ meinte Jener, „ich nehme Alles, und mein Freund bezahlt Dir’s.“

„Ja,“ entgegnete die Alte, „das ist so in der Ordnung. Wenn die Civilisten uns besuchen, müssen sie auch unsere Zeche bezahlen.“

„Es ist für die Soldaten,“ sagte der Officier.

„Alles in Ordnung!“ nickte die Marketenderin und folgte uns auf dem Fuße. Aber schon nach wenigen Schritten sah sie sich aufgehalten.

„Ein halb Dutzend Cigarren, Minka!“ schrie ein draller Gefreiter.

„Nischt davon, min Jung!“

„Und warum denn nicht, alte Meerkatze? Du meinst wohl, ich bin ohne Moos? Sieh her!“ Und er hielt ihr einen blanken Thaler unter die Augen.

„Freut mich,“ erwiderte die Alte, „aber steck ihn nur wieder ein, ich habe keine Cigarren für Dich. Alles in Ordnung, min Jung!“

„Ist das Weib verrückt geworden?“ fragte der Gefreite.

„Noch lange nicht, min Jung! Aber die Cigarren gehören diesem Herrn.“ Und sie wies auf mich. Worauf ich den Korb nahm und seinen Inhalt unter die Umstehenden zu vertheilen begann; die Cigarren dufteten wie echte Vorpostencigarren, wogegen sich das „Dänenblut“ als ein guter Magenliqueur erwies.

„Da habt Ihr die Rechten getroffen!“ schmunzelte die Alte und gab mir einen wohlwollenden Klaps. „Die sind vom achten, von meinem Regiment. In der Nacht, als ich um meinen Arm kam. verloren sie 250 Mann. Alles in Ordnung, min Jung.“

In diesem Augenblicke entstand eine allgemeine Bewegung.

Am Eingänge der Parallele war der commandirende General, Prinz Friedrich Carl, erschienen, in einen blauen Paletot gehüllt und eine kurze Meerschaumpfeife im Munde. Alle erhoben sich und Aller Augen leuchteten.

„Guten Morgen, Cameraden!“ grüßte der Prinz.

„Morgen, königliche Hoheit!“ antworteten tausend Stimmen in brausendem Chor.

„Nun, werden wir morgen die Schanzen nehmen?“ fragte er.

„Wir nehmen sie, wir nehmen sie!!“ donnerte es einstimmig zurück.

„Dort steht der Correspondent der Times, der in Broacker wohnt,“ sagte mein Führer. Ich erwartete einen dürren Engländer mit langem Reiherhalse und blonden Bartcotelettes, aber ich sah ein rundes Männchen mit glattrasirtem Vollmondsgesicht, der sich sorgfältig in einen eleganten Tuchpelz gehüllt hatte. Er stand unter mehreren Generalen und näherte sich nun dem Prinzen, der ihn artig empfing und ein eifriges Gespräch begann. Ich hielt mich in schüchterner Entfernung und begriff plötzlich die ungeheuere Kluft zwischen einem englischen und einem – deutschen Correspondenten.

Zu diesem Gewühl und Geräusch unter der Erde kam ein anderes, aber nicht minder reges oben in den Lüften. Hoch über unseren Häuptern zogen freundliche und feindliche Geschosse ihre feurigen todbringenden Bahnen, und es pfiff und zischte, knatterte und prasselte, als wären alle Dämonen zwischen Himmel und Erde losgelassen. Die Dänen schleuderten ihre Kugeln nach den Parallelen, und die preußischen Batterien von Gammelmark schössen über diese hinweg nach den Schanzen. Schon am Knalle konnte man die verschiedenen Kaliber unterscheiden. Vor Allem markirt sich der dumpfe Ton des Mörsers, welchem alsbald das Prasseln der zerplatzenden Bombe folgt. Den Vierundzwanzigpfünder erkennt man an der Gewalt seiner Stimme, besser noch an der sich schwer vor dem Geschütze lagernden Rauchwolke. Leise verklingt das abgerissene Paffen der stählernen Sechspfünder, während die kurze unansehnliche Haubitze das Trommelfell in ganz unerhörte Schwingungen versetzt. Mit lautem Getöse treibt das fast centnerschwere Hackgeschoß aus dem Vierundzwanzigpfünder einen Luftwall vor sich her, dessen Aechzen erst verklingt, wenn die Granate am Ziel crepirt. Lauter und bösartiger bezeichnet die runde Granate ihren Weg; sich plump umwälzend, und bei Tage von einem Rauchreifen, bei Nacht von dem feurigen Ringe des Zünders umgeben, entlockt sie dem Luftmeere das Getöse des Orkans, bis sie mit dumpfem Knall zerplatzt und die Sprengstücke umherschwirren läßt.

Die schweren Geschütze der Dänen endlich besitzen einen metallisch nachklingenden, geradezu warnenden Ton und üben, wenn sie zufällig einmal treffen, eine entsetzliche Verheerung. – Der Feind feuerte schwach und in großen Pausen, die Preußen dagegen fast unausgesetzt und oft aus hundert Geschützen zugleich; denn die Vierundzwanzigpfünder können alle vier Minuten, die kleineren Geschütze gar alle zwei Minuten geladen und abgefeuert werden. Es waren im Ganzen etwa 150 Geschütze in 35 Batterien thätig, die in 24 Stunden durchschnittlich 4 – 5000 Schüsse abgaben, aber am Tage des Sturmes von 6 – 10 Uhr früh sogar 6000, also in der Stunde 1500 Schüsse.

Bevor wir die nächste Parallele erreichten, warfen wir einen Blick auf das bombenfeste Officiercasino, welches am Fuße des Spitzberges errichtet oder eigentlich in diesen hineingebaut war, denn es bestand aus starken Eichenbohlen, über welchen sich eine fünf Fuß dicke Erdschicht lagerte, und hatte einen unterirdischen Zugang.

In der Nacht vom 7. zum 8. April wurde eine zweite Parallele ausgehoben, die man ohne eigentlichen Grund die halbe nannte und mit acht Mörsern armirte. Ihre Entfernung von den Schanzen beträgt etwa 900 Schritt. Auch diesmal überraschte man die feindlichen Vorposten, wie sie in ihren Löchern lagen und den Schlaf der Unschuld schnarchten; aber man zog sie an den Haaren heraus, und die ewig witzelnden Berliner riefen dazu: „Man immer rin in den deutschen Bund!“ Die schlaftrunkenen Gefangenen feuerten noch ein paar Alarmschüsse ab, worauf der Feind in den Schanzen Leuchtkugeln steigen ließ und das Feld mit einem Kartätschenhagel überschüttete; doch die Preußen arbeiteten wacker fort und hatten das neue Werk binnen vierundzwanzig Stunden vollendet.

Die zweite oder eigentlich dritte Parallele wurde vom 10. zum 12. April und um etwa 300 Schritt dem Feinde näher angelegt. Von ihr aus sollte schon am 14. April der Sturm unternommen werden; er unterblieb aber auf Anrathen des Generals Hindersin, und statt dessen wurde in der diesem Tage vorangehenden Nacht die letzte Parallele ausgehoben, deren Entfernung von den Schanzen kaum 300 Schritte betrug. Die gegenseitigen Vorposten, deren Ablösung von den in den Tranchéen oder hinter den Knicks liegenden Feldwachen gewöhnlich nur bei Nacht und mit der äußersten Vorsicht zu geschehen pflegt, lagen sich jetzt so nahe gegenüber, daß sie mit einander plaudern und sich die Feldflaschen hinüberreichen konnten, und wirklich entwickelte sich in den letzten Tagen zwischen ihnen ein ganz freundschaftlicher Verkehr, zumal sie Befehl hatten, nicht mehr auf einander zu schießen.

In den beiden letzten Parallelen herrschte eine angestrengte Thätigkeit; theils galt es Ausbesserungen an der durch Sturm und Regen oder durch die Bomben der Feinde beschädigten Brustwehr, theils

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_455.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)