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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

begütigend, tröstend und Abhülfe verheißend – aber auch befehlend und aufbrausend, wenn sein Scharfblick auf Winkelzüge stößt. – So ließ er einst eine Deputation von Kaufleuten fürchterlich hart an, die um Aufschub der Aufhebung des Branntweinmonopols bat, sei es auch nur auf drei Monate, und dabei eine kleine Bestechung von 50.000 Silberrubeln mit einfließen ließ – im nämlichen Augenblick aber scheint sich der Fürst eines Andern zu besinnen. „Wartet!“ ruft er – fährt direct zum Kaiser: „Majestät,“ sagt er dort, „da bitten die Kaufleute um Aufschub wegen Aufhebung des Branntweinmonopols, sie haben mir 50.000 Rubel gegeben, daß ich’s durchsetze; ich bitte Majestät, bewilligen Sie drei Monate, damit ich das Geld behalten – und den Armen geben kann.“ Lachend bewilligte der Kaiser die Frist, und lachend wirft sich der Generalgouverneur wieder in seine Kibitke und theilt der erstaunten Deputation die kaiserliche Bewilligung mit.

Bei den Bestrebungen des Kaisers, die eine völlige Umwandlung des bisherigen Regierungssystems in Rußland bezwecken, ist ein Charakter, wie Suwarow, eine Nothwendigkeit, und je klarer die liberale Partei dies erkennt, um so höher steht der Mann in ihrer Liebe und Achtung.




Blätter und Blüthen-

Der junge Dumas. Vor einem Jahrzehnt wohnte der Sohn Alexander Dumas’ „des Ersten“ in einem kleinen Hause der Rue de Boulogne. Seine Schwester, Marie, die er sehr liebte, hielt seine Wirthschaft in Stand, eine in der That geordnete, elegante und trauliche Wirthschaft, wo es ruhiger und sittiger herging, als man bei einem Junggesellen in Paris erwarten kann, besonders wenn er zum Vater Alexander Dumas hat und seinen Ruhm durch die getreueste Schilderung des Lorettenlebens von Paris sich erworben. Der berühmte Sohn des berühmten Vaters, der ihn witzig genug sein „bestes Werk“ nannte, war in der That nicht ganz dem Urheber seiner Tage ähnlich, sowohl im Aeußern wie im Charakter. Dumas, der Vater, mit seinem Mulattengesicht, macht den Eindruck eines theatralischen Künstlers, der Jedermann zu zeigen sucht, daß er ein „großer“ Mann, ein berühmter Mann ist; sein Sohn erscheint als eleganter Herr von Selbstgefühl, aber mit einem gewinnenden Zug des Natürlichen, ja mit einem Anhauch des Ernsten, fast Sinnenden, der bei dem Autor von Werken über die genußsüchtige Pariser Gesellschaft wohl etwas Ueberraschendes hat. Bei alledem hat Dumas „der Zweite“ seine Bilder aus der Welt der Demi-Monde aus eigenen Erfahrungen gezeichnet; sein Vater erzählte sogar in seinem Journal „der Mousquetaire“ mit dem Stolz eines alten Sünders, daß die Heldinnen der Demi-Monde-Stücke seines Sohnes immer Geliebte desselben waren, die er auch gekannt und als guter Papa selbst geküßt hatte (embrassé). Er ärgerte damit zwar seinen Sohn, aber der große Dumas muß nun einmal der Welt Alles erzählen, was er weiß.

Der junge Dumas war ein Kind der Demi-Monde, denn seine Mutter war eine Nähmamsell, die Dumas, der Vater, noch als unberühmter Secretair des Herzogs von Orleans liebte und erst ein Dutzend Jahre nach der Geburt des zweiten Alexanders zur Frau nahm. Im Uebrigen war der alte Dumas kein grausamer Vater. Er machte wohl später bei seinem Sohne Schulden, die er aus angeborner Höflichkeit nicht bezahlte; aber er sorgte doch auch dafür, daß er erzogen ward. Das Kind wuchs heran und nahm zu an Körper wie an Geist, während der Herr Papa inzwischen ein Literaturlöwe geworden war und seinen Namen als unverwüstliches Capital angelegt hatte. So etwas merkte sein Sohn, der auch Alexander hieß, und forderte eines schönen Tages den Namen von seinem Vater.

„Ah, Du Galgenstrick! Nun, so nimm ihn Dir – ’s ist ein Capital; aber sprechen wir nicht mehr darüber.“

Und der Junge war klug genug, mit dem Capital „Dumas“ früh zu arbeiten. Er fühlte sich als Sohn seines Vaters, auch Poet, Schriftsteller, und er war in der That ein solcher, einer sogar, welcher es wohl auch ohne die Pathenschaft des berühmten Namens zu dem Ruhme gebracht haben würde, der dem Talent und dem Geist in Frankreich leichter als anderwärts zufällt.

Als er zwanzig Jahre zählte, der Sohn, im Jahre 1844, brachte er sein erstes Werk auf den Markt: „Die Jugendsünden“, denn er hatte deren wohl manche, wenn auch keine schlimmen. Bald darauf erschien von ihm ein zweiter Roman, endlich der Roman: „Die Cameliendame“, welche ihn schnell zu einem der beliebtesten Schriftsteller machte und zum Abgott der Region, in welcher die Cameliendamen den Zauber ihrer Herrschaft verbreiteten. Es war ein offenes Geheimniß, daß die Cameliendame, die er in dem Romane verherrlicht, seine Geliebte Marie Duplessis war, und der Ehrgeiz mochte ihre Colleginnen antreiben, in gleicher Art, wenn auch Pseudonym, dem jungen, liebenswürdigen Dumas zum Modell für ein anderes Werk seines Ruhmes zu stehen. Auch war der junge Dumas in dieser Hinsicht nicht minder galant als sein Vater; er ließ sich mehrere Geliebte gefallen und machte mehrere davon zu Herrinnen seiner Romane, die nun in Menge seiner Feder entflossen, aber von denen nuir wenige ein so großes Glück machten, wie die Cameliendame, dies moderne Seitenstück zu dem berühmten Roman „Manon Lescaut“ von Abbé Prevost.

Da begegnet ihm eines Tages ein Freund, ein alter Praktikus, Monsieur Béraud.

„Aber sagen Sie mir doch, mein bester Alexander, warum machen Sie aus Ihren Romanen keine Theaterstücke?“

Alex der Andere stutzt.

„Meinen Sie? Wirklich, das wäre eine Idee!“

„Nun gewiß; sceniren Sie die Marguerite Gautier, die Cameliendame.“

„Parbleu! Das soll geschehen!“

Und er ging hin und scenirte die „Cameliendame“. Ein paar Wochen später war die Arbeit gemacht, fünf Acte fertig; noch ein paar Wochen später, und das Theatre du Gymnase in Paris gedachte das Stück aufzuführen.

Da aber kommt das Unglück in Form eines Polizeidecrets, wie so oft, und verbietet die Aufführung des Stücks. Die kaiserliche Censur fand – es sollte wahrscheinlich einen neuen Reflex auf die Moral des Kaiserreichs werfen – die „Cameliendame“ zu unmoralisch.

„Ah, Herr Léon Faucher,“ rief der verzweifelte Alexander zu dem damaligen Minister des Innern, „Sie finden die ‚Cameliendame‘ zu unmoralisch? Warum dulden Sie denn die Legion ihrer Rivalinnen? Wollen Sie das Kaiserreich seiner schönsten Frucht berauben? – Minister, seien Sie kein Barbar!“

„Ganz gleich, Monsieur Dumas, ich lasse das Stück nicht aufführen.“

„Na, denn nicht. Adieu, Monsieur le Mininstre!“

Léon Faucher sagte aber seinerseits bald darauf dem Ministerium Adieu, und Herr von Moruy bezog es. Herr von Moruy, der durch seine Mutter einige Verwandtschaft mit der Demi-Monde hat und als Mitbegründer des Kaiserreichs ein weiteres Gewissen und eine bessere Kenntniß seiner Moral, las höchstselbst das verbotene Stück des jungen Dumas, amusirte sich darüber und gestattete dessen Aufführung.

Die „Cameliendame“ wurde also aufgeführt und erntete einen solchen Triumph, daß sie einer ganzen Richtung der Literatur, ja dem größten Theil der Literatur des Kaiserreichs Napoleon’s III. den Namen gab. Das Stück gab ein unverkennbar getreues Bild des Inhalts der Pariser Gesellschaft; es illustrirte die Sitten derselben in so pikanter und treffender Art, daß Jedermann fühlte, diese dramatischen Photographien füllten eine sehr wesentliche Lücke des modernen Geschmacks an der Bühne aus.

Der junge Dumas setzte sich nun hin und scenirte auch seine übrigen Romane, die Erfolg gehabt hatten. Zunächst wurde „Diane de Lys“ in ein Theaterstück verwandelt. Die kaiserliche Censur erröthete abermals davor und verbot dessen Ausführung; aber der Prinz Napoleon, welcher diese Prüderie des Kaiserthums sehr komisch fand, indem er an sein vergnügtes Leben dachte, bewirkte die Aufhebung des Verbots von seinem nachsichtigen Vetter, und „Diane de Lys“ machte nun ebenfalls ihr Glück. Dann kam die „Demi-Monde“ selbst in vollem Titel auf die Bühne, und mit diesem Stück gipfelte sich diese sogenannte Camelienliteratur zu ihrem Glanzpunkt auf. Alexander Dumas Sohn aber, der Vater dieser Literatur, betrachtete alle Stücke, welche seinem Namen einen besonderen Nimbus gegeben, wie Bekenntnisse seiner Jugend. Er ward fortan ein halber Eremit, ging wenig aus, empfing in seinem Salon nur wenige und intime Freunde, mit denen er rauchte und plauderte, und amüsirte sich in seinen Mußestunden damit, Messer nach dem Kopf einer Puppe zu werfen, welche er an dem Zaun seines Gartens angebracht, ein Spiel, worin er eine wahrhaft chinesische Fertigkeit entwickelte.

Alexander Dumas Sohn ist durch seine Demi-Monde-Stücke in Deutschland schnell bekannt geworden, bekannter als hundert deutsche Schriftsteller, welche auch ihr Publicum zu amüsiren wissen. Seine Stücke haben eine Zeitlang auf den Repertoirs vieler deutscher Theater nicht fehlen dürfen, und wir finden dies sehr erklärlich. Außerhalb des Standpunktes der blos sinnlichen Genußsucht ist man nicht zweifelhaft darüber, daß es mit der französischen dramatischen Literatur heutzutage nicht besser bestellt ist, als mit der unsrigen, über deren Verfall unsere Kritiker gewohnter Weise jammern, ohne zu bedenken, daß unsere Zeit aller Poesie und Idealität entschieden feind ist. Die Zeitung ist heute Alles geworden ; die Politik erstickt die schöne Literatur; erst wenn nach der politischen Fluth, die kommt, die Wasser wieder gefallen sein werden, wird aus dem gedüngten Boden eine neue kräftige Saat erstehen. Es wäre ja nicht auszuhalten, wenn jedes Zeitalter nur die Aufgabe hätte, seine Größe durch einen unsterblichen Poeten darzuthun, und die Geschichtsordnung hat es weise genug eingerichtet, daß jede Zeit ihre besondere Aufgabe zu lösen hat und von einem großen Poeten ein paar Zeitalter sich recht gut nähren können. Klagen wir deshalb nicht sinnlos über „Verfall“ einer Literatur, wenn sie, wie die jetzige, nicht gerade die Mission für das Zeitalter hat, welche ihr unter unseren Großeltern, als diese jung waren, beschieden wurde. Die Literatur der Gegenwart ist im Sinne ihrer Zeit genug; diese Zeit ist keine wesentlich literarische.

Und in Frankreich noch viel weniger. Unter dem zweiten Kaiserreich ist die Literatur, welche Licht, Luft und Wärme braucht, demselben Fluch verfallen, wie unter dem eisernen Despotenregiment Napoleon’s I. Sie ist, wenn sie ist, von künstlicher Art. Aber eins hat sie gegen die unsrige in allen Fällen immer voraus: sie weiß Gesellschaftszustände zu schildern, nicht allein mit virtuoser Geschicklichkeit, sondern auch erfüllt von dem Geist, der die „Gesellschaft“ beherrscht. Der Deutsche kann dies nicht. Wir haben in Deutschland wohl Gesellschaften ebenso wie Nationen, aber keine Gesellschaft und keine Nation als etwas Einheitliches. Paris jedoch ist Frankreich, und der französische Autor braucht nur in den Spiegel des Pariser Lebens zu blicken, und er sieht die moderne Gesellschaft in der vollen Concentrirung all’ ihrer Gebrechen. Sein Griff in’s volle Menschenleben ist lohnend, und der Deutsche besieht sich das, was ihm der Franzose von der Gesellschaft zeigt, desto neugieriger, je weniger er sich Begriffe über die Zustände derselben und die Ursachen davon zu machen vermag. Die Schriftsteller

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_414.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)