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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Eine noch strengere Herrschaft über Geister und Gewissen übten aber, und bis auf die neuere Zeit hinab, die Puritaner in Schottland aus: dort wurde die Kirche, the kirk zu einem furchtbaren Tribunale, das alle Vergehen wider ihre willkürlichen Satzungen mit unerbittlicher Strenge ahndete. Als das verdammungswürdigste Verbrechen jedoch galt und gilt zum Theile noch heute, wie wir uns aus eigener längerer Erfahrung selbst zu überzeugen sattsam Gelegenheit hatten, die Entweihung des Sonntags oder, wie der orthodoxe Schotte spricht, des Sabbaths. „Noch im verflossenen Jahrhundert“, heißt es in einer uns vorliegenden englisch-schottischen Wochenschrift, „hielt der Kirchenvorstand Jedermann für ‚verdächtig‘ und verhaftete, ja verbannte Den aus dem Lande, der auf Verlangen nicht ein Sittenzeugniß von seinen speciellen Gemeindeältesten produciren konnte, d. h. ein Zeugniß, daß er die verschiedenen Sabbathgesetze immer getreulich erfüllt habe. Besondere Wirthshausinspicienten waren in allen Kirchspielen ernannt, ebenso Männer, die während des Gottesdienstes durch die Straßen der Städte patrouilliren mußten, um streng darauf zu sehen, daß kein zur Stadt gekommener Landmann vor dem Schlusse der Nachmittagspredigt nach Hause zurückkehre, und um jede Entweihung des Sonntags sofort zur Anzeige zu bringen. Trauungen am Montage waren unbedingt untersagt, damit die Brautleute sich durch den Gedanken an den ihnen bevorstehenden wichtigen Act nicht in ihrer Sonntagsandacht stören ließen.“ Aus einer langen Reihe von Straffällen, welche das gedachte Blatt nach den officiellen Kirchenregistern mittheilt, wollen wir zum Ergötzen unserer Leser einige der bezeichnendsten anführen.

Zwei Knechte eines kleinen Gutsbesitzers wurden vor die Schranken des Kirchenvorstandes gefordert, weil sie am Sabbath einige Eimer Wasser geholt hatten. Sie wandten ein, daß das Wasser für ein krankes Rind bestimmt gewesen sei, trotzdem aber wurden sie körperlich gezüchtigt und außerdem jeder zu einer Buße von zwanzig Schillingen verurtheilt.

Wegen eines ähnlichen Vergehens mußte ein armes Weib vor den gestrengen geistlichen Richtern erscheinen und wurde verdammt, zwei Sonntage nach einander im Büßergewande vor der Kirchthür zu stehen.

Um diese Profanation von vornherein unmöglich zu machen, ordnete in einer Gemeinde der Kirchenvorstand einen Büttel ab, der allsonntäglich die Runde durch den Ort zu gehen und jedes Gefäß zu confisciren hatte, das dem fluchwürdigen Verbrechen dienen konnte.

In einer andern Gemeinde wurde ein Mann vor die geistliche Behörde citirt, nicht weil er seine Frau überhaupt geprügelt, sondern weil er sie am Sabbath geprügelt hatte. Ebenso mußte eine Frau vor das Tribunal, weil sie am Sonntag betroffen worden war, wie sie für ihre Ziege eine Hand voll armseligen Seegrases absichelte. Ohne Weiteres wurde sie in den Büßersack gesteckt, mußte darauf vom ersten Läuten an bis zur Oeffnung der Kirchenpforte vor der Thür des Gotteshauses knieen und erhielt schließlich von der Kanzel herab vor allem Publicum eine donnernde Strafpredigt. Fühlte sich Jemand rein von dem ihm zur Last gelegten Vergehen, so hatte er einen gräßlichen Reinigungseid zu schwören, der also lautet: „Wie Kain will ich umherwandern, ruhelos und flüchtig über die Erde! Der Ewige züchtige hienieden meinen Leib mit seiner schwersten Heimsuchung und oben meine Seele mit ewiger Pein! Auf ewig sei mir deine Barmherzigkeit entzogen, Herr mein Gott, und aller Fluch, so deine heilige Schrift auf die Sünde legt, falle allein auf mein Haupt!“

Die schottische Kirche ist auch heutigen Tages noch keine Freundin von weltlichem Saitenspiel und gar von dem Teufelsdienste, dem Tanze; damals aber waren Musik und Tanz nicht nur am Sabbath, sondern überhaupt streng verpönt. Noch 1787 verordneten die Behörden einer größern Stadt im Norden Schottlands, daß jeder Schenkwirth, der Musik oder Tanz in seinem Hause duldete, mit einer Buße von zehn Pfund Sterling, jeder Musiker und Dudelsackpfeifer um sechs Pfund Sterling gestraft werden sollte. Blos am Weihnachtstage, den die schottische Kirche überhaupt nicht feiert, und zum Neujahrsfeste waren Spiel und Tanz gestattet, aber, bei einer Strafe von zwölf Pfund Sterling, auch nur bis 10 Uhr Abends.

Das ist das verlorene Paradies, nach dem die Kliefoth’s und Genossen mit wehmüthigem Blicke zurückschauen und zu dessen Herrlichkeit sie gern ihren beglückten Heerden verhelfen möchten!




Die Danebrogsfahne und ihre Geschichte. In dem Augenblicke, wo selbst der 1852 erschlichene Rechtsanspruch Dänemarks an die Elbherzogthümer hoffentlich für immer am Boden liegt, und so einer der ältesten europäischen Monarchien für ihren bisherigen Bestand der Todesstoß gegeben wird, mehr als verdient durch eidbrüchige Intrigue, die nach Jahrhunderten, durch brutale, jedes Recht und nationale Empfinden mit Füßen tretende Säbelherrschaft, die nach Jahrzehnten zählt, mag es lehrreich und interessant erscheinen, die Geschichte der alten, von den Dänen so oft pomphaft besungenen Danebrogsfahne an sich vorübergehn zu lassen. Durch mehrfache und bunte Wechselfälle des Geschickes an sich unterhaltend, giebt sie zudem ein wundervolles und charakteristisches Beispiel von dem großen Talent des dänischen Volkes, unscheinbaren oder selbst unrühmlichen Ereignissen ihrer Geschichte so lange bebarrlich das Phantasiecolorit der Nationaleitelkeit zu verleihen, bis sie selber auf die Echtheit und Ursprünglichkeit dieser Färbung Stein und Bein zu schwören geneigt sind.

Die berühmte alte Danebrogsfahne tritt zuerst 1219 in der Geschichte auf, wo sie dem König Waldemar II., von gefälliger Mit- und Nachwelt „der Sieger“ genannt, von Papst Honorius III. für einen bevorstehenden Kreuzzug nach Esthland zum Geschenke gemacht und hier zum ersten Male entfaltet wurde. Fast aber hätte sie schon zu Beginn ihrer Laufbahn schmähliche Niederlage gesehn, denn als in der Nacht die kaum getauften Ureinwohner des Landes einen Ueberfall auf das dänische Lager machten, stürzte Alles, der „siegreiche“ König nicht minder als seine Unterthanen, in wilder Flucht von dannen, und einem slavischen Fürsten, dem Wizlav von Rügen, blieb es vorbehalten, die Ehre des christlichen Heeres zu retten, bis sich die Dänen darauf besannen, vor wem sie flohen, um dann endlich unter Begünstigung ihrer großen Ueberzahl einen mühsamen und blutigen Sieg zu erringen. Schon damals, nicht minder durch den wundersüchtigen Geist der Zeit, als durch den Wunsch veranlaßt, dem slavischen Vasallen die Ehre des Tages zu rauben, entstand die Legende, in dem entscheidenden Augenblicke, als dem dänischen Heere die Wahl zwischen dem salzigen Wasser und dem kalten Eisen einzig blieb, sei plötzlich das schimmernde Banner mit dem weißen Kreuz im Purpurgrunde herniedergefallen und habe die weichenden Völker neubegeistert zum Siege geführt. So brachte die Eitelkeit eines reizbaren Volkes sein Nationalbanner in directe Verbindung mit dem Himmel und suchte, wie heute das Gleichgewicht Europas, so damals das Interesse des Himmels selber an seine Existenz zu knüpfen, für heutigen kritischen Scharfblick nur in so fern erfolgreich, als die dänische Fahne, seitdem ihrer neuen Gestalt dieser himmlische Ursprung vindicirt war, auf fast allen Schlachtfeldern fortan lieber nach kurzem Widerstande plötzlich Kehrt machte, als daß sie durch festes Standhalten das sündliche Blutvergießen noch verlängert hätte.

Denn eigenthümlich und ein interessantes Beispiel von der Ironie, mit der die Weltgeschichte den Eitlen und innerlich Unwahren zu peinigen liebt, ist es, daß eben mit dem Eintritt des „heldenhaften“ Danebrog in die dänische Geschichte die bisher Sieg und Niederlage ziemlich gleichmäßig vertheilenden Kriege Dänemarks einen so entschieden ungünstigen Ausgang zu nehmen anfangen. Gleich die beiden ersten großen Feldschlachten gegen disciplinirte Kriegsschaaren, in denen der Danebrog die dänischen Heere führte, die Schlachten bei Mölln 1225 und bei Bornhöved 1227, endigten mit der gänzlichen Niederlage der dänischen Schaaren, und erzwangen die Befreiung Holsteins von dem verhaßten Joche, unter welches es ein Vierteljahrhundert vorher durch eine Verkettung von ungünstigen Umständen, besonders aber durch den verrätherischen Abfall fast seines ganzen Adels, gerathen war. Dann hat, nach der wenig unterbrochenen Waffenruhe eines Menschenalters, von Gerhard I. bis zu den letzten Schauenburgern hin, fast zweihundert Jahre hindurch Holsteins unscheinbares Nesselblatt auf unzähligen Schlachtfeldern über den pomphaften Danebrog triumphirt, bis mit dem Jahre 1460 die Personalunion des Herzogthums Schleswig und der Grafschaft Holstein mit der Krone Dänemark eintrat, dasselbe unselige Band, welches unbelehrte Thoren außerhalb und unverbesserliche Aristokraten innerhalb der Herzogthümer jetzt wieder, Gott Lob vergeblich, erstrebt haben. Von da an ruhte der Streit, und der Danebrog fand keine weitere Gelegenheit, seine „Unbesiegbarkeit“ kundzuthun, bis er im Jahre 1471 auf dem Breukeberge vor Stockholm dänischen Kriegern von schwedischen Bauern schimpflich entrissen ward. Erst deutsche Landsknechte, die durch unerhörte Thaten kriegerischen Muthes und wilder Grausamkeit weit verschrieene große sächsische Garde, bezwangen in dänischem Dienste 1497 auf ebendemselben Breukeberge die schwedischen Bauern, deren wilder Tapferkeit 26 Jahre vorher die Blüthe des dänischen Heeres und das alte Reichsbanner als Opfer gefallen waren, aber nur, um das wacker eroberte Banner drei Jahre später auf dem Hemmingstedter Felde in Dithmarschen in schreckennvoller Niederlage auf’s Neue einzubüßen, 17. Februar 1500. Von da an war es für die Dänen verloren, denn als 1559 ein schleswig-holsteinisches Heer, dem nur wenige Dänen sich angeschlossen hatten, Dithmarschen endlich unterwarf, fiel die Hauptzierde der Kriegsbeute, die alte Danebrogsfahne, dem Sieger in der „letzten Fehde“, dem Herzog Adolf von Schleswig-Holstein-Gottorp, zu, und hat mit dessen Nachkommen, die durch König Friedrich’s IV. brutale Gewalt 1721 ihren Antheil an dem Herzogthume Schleswig verloren, die Uebersiedelung nach Kiel mitgemacht, wo sie auf dem Boden der Nicolaikirche den unhistorischen Würmern zum Opfer gefallen ist. So verhielt es sich mit der Geschichte der alten Danebrogsfahne, die sich nach Aussage „ehrenwerther“ dänischer Gewährsmänner „den ruhmwürdigsten Bannern der Weltgeschichte ebenbürtig anreihen darf“! Wie zweifelhaft es mit diesem Anspruche steht, haben wir gesehen, um so unzweifelhafter aber gebührt dem dänischen Volke das Lob, an Talent und Empfänglichkeit für dergleichen „patriotische Phantasieen“ unter den europäischen Nationen einzig dazustehen.

C. M. 




Zur Orthographie der niederdeutschen Eigennamen. Jetzt, wo Aller Augen nach dem Norden Deutschlands gerichtet sind, werden unsere Leser in Mittel- und Süddeutschland es uns nicht für gar zu kleinlich auslegen, wenn wir sie auf eine sehr landläufige Entstellung vieler namentlich geographischer Eigennamen im Sprachgebiete Niederdeutschlands aufmerksam machen. Es ist hier eine Unkenntniß in unserer deutschen Sprache zu beseitigen, deren sich zwar selbst unser großer Schiller schuldig erweist, wenn er flottweg auf „Mosjö“ seinen „langen Peter von Itzehoe“ reimt, der aber jedenfalls preußischen Kalendern und amtlichen Bekanntmachungen noch schlechter steht. Letztere berichten alljährlich noch von Jahrmärkten zu Söst, Märl, Süderwich, Strälen u. s. w. und scheinen keine Ahnung davon zu haben, daß diese Orte von ihren Bewohnern in dieser Schreibweise gar nicht wiedererkannt werden. Man merke also die einfache Regel, welche übrigens Jeder in seiner deutschen Schulgrammatik von Heyse (1854, S. 42) nachschlagen kann: daß im Niederdeutschen die Dehnung aller Vocale nicht blos durch Verdoppelung derselben oder durch ein h, sondern auch durch ein zugefügtes e bezeichnet wird, was im Hochdeutschen nur bei i (Stier, Bier) üblich ist. Man schreibe also Straelen, gelesen Straalen, nicht Strälen, Coesfeld gleich Coosfeld, nicht Cösfeld, und lasse künftig den langen Peter wieder aus Itzehoe gleich Itzehoh stammen, wenn er auch deshalb aufhören müsse, ein „Mosjö“ zu sein.


Nicht zu übersehen! Mit nächster Nummer schließt das zweite Quartal, und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Ernst Keil. 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_400.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)