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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Retten freilich konnte er seines Hauses Sache nicht … Die Herzogin von Orleans eilte inzwischen die große Avenue des Gartens hinab, geführt von Herrn Dupin. An ihrer rechten Hand hielt sie ihren älteren Knaben, den weinenden jüngeren trug ihr ein Diener nach. Bei der Drehbrücke angelangt, wurde sie von den Herren Havin und Biesta eingeholt, welche von Seiten Odilon Barrot’s den dringenden Rath brachten, die Prinzessin solle sich mit ihren Söhnen über die Boulevards nach dem Hotel de Ville begeben; denn dort, im Hauptquartier des siegreichen Aufstandes, liege die Entscheidung. Die Herzogin stand still, ungewiß, was zu thun, aber mit dem Instinct einer Mutter fühlend, daß dieser Rath der bessere. Herr Biesta drang in sie, denselben zu befolgen. „Können Sie reiten?“ frug er die Prinzessin.

„Hinlänglich, um im Nothfall ein Dragonerpferd besteigen zu können.“

„Nun wohl, zaudern Sie nicht! Kommen Sie in’s Stadthaus, und Sie werden Regentin und Ihr Sohn wird König sein. Wenn nicht, ist Ihre Sache verloren.“

„Das ist der Rath eines Narren!“ schrie Monsieur Dupin. „Nach der Deputirtenkammer müssen Sie gehen!“

Die Herzogin von Orleans befolgte den Rath des „liberalen“ Mannes, begab sich in die Deputirtenkammer – und nach einer Stunde voll Angst und Pein sah sie daselbst ihre Regentschaft und ihres Sohnes Krone rettungslos vom rasenden Strudel eines unerhörten Tumults verschlungen …

Während eine Volkswoge die „Corrupten“ aus dem Palais Bourbon wegschwemmte, feierte in den Tuilerien die Revolution ihr Siegesbacchanal. Nicht in Blut – sie überließ das der heiligen Reaction, welche wenige Monate darauf ihre rothen Orgien in Scene setzte – aber in Wein, den man aus den wohlversehenen Kellern heraufholte. Es ging lustig her in diesen vergoldeten Räumen, aus welchen Dame Etiquette mit dem übrigen Hofgesindel entsetzt entflohen war. Zerschlagen, zerrissen und zertreten wurde Manches und Vieles, gestohlen nichts. „Mort aux voleurs!“ Es ist actenmäßig festgestellt, daß, obgleich am Nachmittag und Abend dieses Tages allein an 100.000 oder mehr bewaffnete Blousenmänner im Palast aus- und eingingen, nichts von irgend bedeutendem Werth abhanden kam und herumliegende Kostbarkeiten im Werthe von mehr als vier Millionen von Proletariern, die vielleicht keinen Sou in der Tasche hatten, gesammelt und an die Behörden abgeliefert wurden. Mit ganz besonderer Rücksichtsnahme behandelte das siegreiche Volk die Zimmer der Herzogin von Orleans. Auf dem Lesepult der Prinzessin lag ein Buch, betitelt „De la sainteté des gouvernements et de la moralité des révolutions“. Die aufgeschlagene Seite trug die Capitelüberschrift „Stabilité du gouvernement“. O Prediger Salomonis!

Der ausgelassene Jubel der siegreichen Masse, welche in den Tuilerien tobte und tollte, müßte, durch den Genius eines Shakespeare oder Kaulbach zu einem Bilde zusammengefaßt, einen weltgeschichtlichen Carneval darstellen, wie es einen zweiten wohl niemals gegeben hat. Dort hing ein Schwarm von Gamins freudeläutend an dem Zugseil der großen Schloßglocke, während andere die rothe Siegesfahne auf die Kuppel des Pavillon de l’Horloge pflanzten und wieder andere auf der Plattform des Daches einen Ball abhielten. Im Garten, in den Höfen, in den Corridoren und Sälen krachten unzählige Jubelsalven, denn der noch vorhandene Rest von Patronen mußte schlechterdings verbraucht werden. Hier hat im Schlafzimmer Louis Philipp’s Einer über seine Blouse eine weiße Weste des Bürgerkönigs angezogen und das Galaordensband mit dem Kreuz von Diamanten darüber gehängt, und also ausstaffirt bläst er aus Leibeskräften und seelenvergnügt auf einem Waldhorn fürchterliche Noten zum Fenster hinaus. Dort steht eine andere Blouse, angethan mit einem brokatenen Schlafrock, mitten im Empfangssalon des Herzogs von Montpensier, die Marseillaise singend und auf einer prinzlichen Geige schrecklich dazu geigend, während seine Cameraden, mit andern Artikeln der herzoglichen Garderobe behangen, um ihn her die Carmagnole tanzen. Hier geht, von einem Polytechniker geführt, ein Zug von Ouvriers durch die große Gallerie, ehrerbietig ein der Zerstörung entrissenes, wundervoll aus Elfenbein geschnitztes Crucifix geleitend, unter dem unweigerlich befolgten Zuruf an die Begegnenden: „Citoyens, chapeau bas! Saluez le charpentier de Nazareth!“ Dort im Allerheiligsten, im Thronsaale, wird die purpurne Throndraperie in Fetzen gerissen und aus einem der Stücke eine Freiheitsmütze gewunden, welche der dem Mittelpavillon des Schlosses gegenüber im Tuileriengarten stehende Spartacus tragen soll. Ein Proletarier springt auf den Thronsessel, wischt den Koth seiner Schuhe an dem Sammet ab, schwingt eine rothe Fahne und ruft frohlockend: „Vive la république!“ – So verwandelte der französische Leichtsinn diesmal den Act der Rache in ein Possenspiel.

Eine Stunde darauf ging ein phantastisch-bunter Faschingszug von etlichen Tausenden über die Boulevards, welche aussahen, als wäre ein Tornado darüber hinweggefegt. Vorauf ritt ein bebrillter Polytechniker; dann kam ein Karren, auf welchem die zerstörten Herrlichkeiten des Thronsaales zusammengepackt waren, mit Ausnahme des vergoldeten Thronsessels, welcher, von etlichen Blousen getragen, über den Köpfen der Menge einherschwebte. Die Procession lenkte zum Platz der Bastille, wo am Fuße der Julisäule eilends ein Scheiterhaufen geschichtet wurde. Auf diesen warf man die Trümmer und stellte obenauf den Thronstuhl. Als die Flammen den Thron ergriffen, brach ein tausendstimmig-jauchzendes „Vive la république!“ aus, und hochauf schlug die schwelgende Lohe.




Ein Zögling Karl August’s.

Wer von den geneigten Lesern einmal die Stadt Weimar gesehen hat, wird oft und gern an ihren schönen Park zurückdenken, an den sich so manche Erinnerung aus Deutschlands großer Dichterblüthe knüpft. Und wer den Park gesehen, wer vor dem bescheidnen Gartenhause Goethe’s großer Erinnerungen voll gestanden hat, der wird seine Schritte auch zu dem „römischen Hause“ gelenkt haben, einem kleinen Gebäude antiken Styles, welches schon von der nach dem Lustschloß Belvedere führenden Baumallee aus sichtbar ist. Hierher führe ich den Leser.

Es war ein heller Frühjahrsmorgen des Jahres 1823. Vor dem römischen Hause auf und ab ging ein großer stattlicher Mann, der trotz seines hohen Alters eine straffe und stolze Haltung hatte. Aus klaren und tief-ernsten Augen blickte er umher, die anmuthigen Parkanlagen betrachtend, die zumeist sein Werk waren. Zuweilen schweifte sein Blick nach jener Seite, wo das kleine Gartenhaus unter rauschenden Bäumen versteckt lag, in dem er vor langen Jahren seinen Liebesfrühling durchlebt hatte. Vielleicht auch lauschte er dem herannahenden Lenze, den er nun schon zum vierundsiebenzigsten Male begrüßte.

Da nahten sich Schritte auf einem der gewundenen Parkwege. Bald wurde der Herankommende sichtbar, ein junger Mann mit einer Mappe unter dem Arme. Mit freundlichem Kopfnicken begrüßte ihn der Greis und sprach: „Serenissimus sind noch nicht zu sprechen. Warte ein wenig.“ Nach kurzem Harren öffnete sich die Thüre, und Beide traten in das Zimmer und begrüßten ehrfurchtsvoll einen kleinen, aber kräftig gebauten alten Herrn, welcher am Fenster stand. „Serenissimus gestatten,“ sprach der Begleiter des jungen Mannes, „daß ich den jungen Maler vorstelle, von welchem ich Durchlaucht schon gesprochen habe.“

Mit prüfendem Blicke betrachtete Serenissimus den jugendlichen Künstler, welcher stumm vor ihm stand; dann entspann sich folgendes kurze Gespräch zwischen den Beiden:

„Bist Du es, der die Eisfahrt auf unserer Bilderausstellung gemalt hat?“

„Ja, Durchlaucht.“

„Wer ist denn der kleine Junge im Vordergrunde?“

„N. N. von hier.“

„Willst Du nicht einmal fort von hier?“

„Ich möchte gern nach Tyrol gehen, um dort Studien zu machen, allein mir fehlen die dazu nöthigen Mittel.“

„Oder möchtest Du nach den Niederlanden?“

„Auch das würde mir sehr lieb sein, aber freilich fehlt mir auch hierzu das Geld.“

„Du armer Kerl,“ war die Antwort, „dafür werde ich schon

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_394.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)