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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

zu können, wendet sich sofort an den König: „Sire, ich bin bereit, auf der Stelle zurückzutreten.“

„Aber wen schlagen Sie mir denn zum Premierminister vor, Herr Cremieux?“

„Odilon Barrot, welcher ermächtigt sein muß, aus den Reihen der vorgeschrittensten Opposition seine Collegen zu wählen.“

„Wohl, es sei. Man rufe Herrn Fain, damit er die Ordonnanz ausfertige.“

„Will der König mir noch eine weitere Bemerkung gestatten?“

„Sprechen Sie.“

„Sire, wer Ihnen rieth, dem Marschall Bugeaud den Oberbefehl zu geben, rieth Ihnen Schlimmstes.“

„Wen würden Sie denn an Bugeaud’s Stelle setzen?“

„Den Marschall Gérard.“

„Es sei.“

Cremieux geht hinaus, um diese neuen Zugeständnisse bekannt zu machen, und Louis Philipp richtet, momentan von einer sarkastischen Laune angeflogen, an den Kleinen die Worte: „Ei, sieh da, mein lieber Thiers, so sind Sie also nicht weniger unpopulär als ich?“

Herr Fain schreibt die Ordonnanz, der General Trézel, das einzige der Mitglieder des Ministeriums Guizot, welches noch in den Tuilerien ausgehalten, hält sich bereit, seine Gegenzeichnung zu geben, und schon hat Louis Philipp die Feder in der Hand, um zu unterzeichnen, als plötzlich das Geknatter von Gewehrsalven aus der Richtung des Palais Royal herüberkommt, wo ein wüthender Kampf um das Château d’Eau sich entsponnen hat. In demselben Augenblick tritt in höchster Eile und Aufregung Herr Emile de Girardin in das Cabinet, ein Stück bedruckten Papiers in der Hand.

„Was giebt es, Monsieur de Girardin?“ fragt der König.

Das, Sire, daß man Ew. Majestät eine kostbare Zeit verlieren läßt. Sei es, daß man dem Aufstand, welcher bereits mit Macht aus der Rue de Chartres hervorbricht, mit aller Kraft entgegentreten, sei es, daß man zu den größten Opfern sich herbeilassen will, jedenfalls sind die Minuten Stunden, und falls man eine Minute verliert, wird es binnen einer Stunde in Frankreich weder einen König noch ein Königthum mehr geben.“

„Aber was thun?“

„Abdanken, Sire, abdanken und zwar zu Gunsten einer Regentschaft der Herzogin von Orleans. Hier ist die fertige Proclamation, welche ich, um Zeit zu sparen, sofort drucken ließ. Sie lautet: ‚Abdankung des Königs. Regentschaft der Herzogin von Orleans. Auflösung der Kammer. Allgemeine Amnestie.‘“

Soweit also war es mit dem Salomo des Juste-Milieu, soweit mit dem Juste-Milieu selbst gekommen, daß der nächste beste Zeitungsschreiber, daß ein Emile de Girardin sich zum Quasi-Dictator aufwerfen und mittelst eines bedruckten Papierfetzens über das Schicksal Frankreichs verfügen konnte ….

„Wenn es so steht, Sire,“ sagte der Herzog von Montpensier, der in keiner Weise seinen Brüdern gleichzustellen war, „wenn es so steht, Sire, so darf kein Zaudern stattfinden. Danken Sie ab!“

Ob vielleicht diese plumpe Unkindlichkeit den greisen König daran erinnert haben mag, daß Jakob der Zweite, als er am Abend des 26. November 1688 erfuhr, seine Tochter Anna sei in’s Lager des Prinzen von Oranien geflohen, den Schmerzensruf: „Helfe mir Gott, meine eigenen Kinder verlassen mich!“ ausgestoßen hat? Schwerlich. Der alte Mann sagte nur mechanisch, wie ein schon halb Versunkener, der sich von der Strömung mit fortreißen läßt: „Ich bin allzeit ein friedliebender Fürst gewesen, ich danke ab.“

Kaum war das Wort heraus, so drängten mehrere der Anwesenden in ihrer nicht grundlosen Angst, die Tuilerien möchten abermals einen 10. August erleben, Herrn Girardin, die Abdankung bekannt zu machen. Er eilte hinaus und gegen das Palais Royal hinüber, aber seine Botschaft verhallte ungehört und wirkungslos in dem um das Château d’Eau her tobenden Kampfgewühl, und er sah sich zur Umkehr genöthigt. Zugleich mit ihm hatte der Herzog von Nemours das königliche Cabinet verlassen und war in den Palasthof hinabgestiegen, wo er den ihn umringenden Officieren erklärte: „Meine Herren, der König hat zu Gunsten des Grafen von Paris abgedankt. Die Herzogin von Orleans ist Regentin.“

(Schluß folgt.)




Aerztliche Strafpredigt.
Für den Geschäftsmann.
2.

Wenn der Kopf (oder richtiger das Gehirn) des Geschäftsmannes in einem früheren Aufsatze (s. Gartenl. 1864, Nr. 21) als der Theil bezeichnet wurde, welcher sehr häufig in Folge des Geschäftslebens leidet, so will Verfasser damit ja nicht etwa behauptet haben, als ob der Geschäftsmann eben so ein Kopfarbeiter wäre wie der Gelehrte. Aber trotzdem daß der Geschäftsmann weit weniger denkt als der Gelehrte, so arbeitet sich sein Gehirn doch mehr ab als das des Gelehrten und zwar deshalb, weil ihm seine Geschäfte fortwährend im Kopfe herumgehen und dem armen Gehirne oft selbst im Schlafe keine Ruhe lassen. Und darum hat auch der Geschäftsmann noch weit mehr als der Gelehrte die Verpflichtung, seinem Gehirne die richtige Erholung zu gönnen und die Behandlung zukommen zu lassen, welche in dem früheren Aufsatze und bei der Gehirndiätetik (Gartenl.1861, Nr. 52) angegeben wurde. Bei vielen Geschäftsleuten zieht auch das aus der Hirnanstrengung hervorgegangen Kopfleiden eine allgemeine Nervosität (oft mit weibischer Nörgelsucht) nach sich, die gewöhnlich als Ursache aller Launen und Unarten, der großen Aergerlichkeit und des leichten Gereiztseins, kurz des Eklich- und Widerwärtigseins herhalten muß. Ausführliches über das „Nervössein“ findet man in der Gartenlaube 1860. Nr. 25.

Mit seinem Magen, überhaupt mit der Verdauung, ist der Geschäftsmann äußerst selten in rechter Ordnung. Das ist aber auch kein Wunder, denn man braucht nur Geschäftsleute essen zu sehen, um als Arzt das größte Mitleid für die armen Geschäfts-Mägen zu fühlen. Anstatt mit Gemüthsruhe und Behaglichkeit sich dem Essen hinzugeben, werden, weil’s das Geschäft nicht anders erlaubt, feste Nahrungsstoffe, besonders Fleischspeisen, in großen Stücken und nur wenig gekaut hastig verschluckt; zwischendurch wird nach Umständen bald über Geschäftliches gesonnen oder gestritten, bald ärgerliches Häusliches abgemacht und vielleicht auch mit Weib und Kind gehadert, und schließlich ist in aller Gemüthsunruhe der Flasche mehr zugesprochen worden, als dienlich. – Wollten sich doch die Geschäftsleute, wie überhaupt alle Menschen, endlich einmal merken, daß man die Zähne nicht etwa der Zahnschmerzen wegen, sondern dazu im Munde hat, um feste Nahrungsmittel so lange zu zerkauen, bis sie mit Hülfe des zufließenden Speichels in einen weichen Brei verwandelt sind, der alsdann im Magen (der keine Zähne zum nachträglichen Zerkauen besitzt) durch den sauern Magensaft leicht aufgelöst (verdaut) werden kann. Wie aber die meisten Menschen essen, da beschweren die verschluckten großen Stücken fester Stoffe nicht nur den Magen, sondern sie gehen auch, nachdem sie sich länger, als sie sollten, im Magen und Darmcanale aufgehalten haben, zum großen Theile unaufgelöst beim Stuhlgange mit fort. Auf diese Weise werden viele der genossenen Speisen, ohne den gehörigen Nahrungsstoff für das Blut geliefert und die für sie gemachte Ausgabe verdient zu haben, aus dem Körper wieder entfernt; sie thaten der Zunge wohl, dem Bauche weh. Menschen, lernt in der Jugend kauen, damit ihr im Alter nicht dem Magenelend verfallt! – Ist der Magen aber verdorben, dann hüte man sich um Himmels willen vor allen sogenannten magenstärkenden Arzneien und Elixiren; nur ein passendes und strenges diätetisches Verfahren macht einen schlechten Magen wieder gut (Gartenlaube 1860. Nr. 7).

Sieht man sich ferner in einem Geschäftsmanns-Bauche auch nach andern Organen als nach dem Magen um, dann entdeckt man in denselben, besonders in der Leber, Milz und am Mastdarme, als Grund der vielen und mannigfachen Unterleibsbeschwerden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_378.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2021)