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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Doch, doch,“ rief der junge Mann, „Du hast ja gerade das Rechte getroffen. Du hast mich geheilt. Bleibe immer so mein heiterer, lieber Arzt.“

Er küßte ihr die Thränen von den Augen. Sie konnten sich nur flüchtig umarmen. Der Onkel und die Tante kamen, mit ihnen der Domherr. Die Umarmung sahen sie nicht, aber die Thränen hatte der Bräutigam nicht ganz von den reizenden Augen der Braut wegküssen können. Die Tante sagte nichts, als sie dieselbe sah. Der Domherr hatte sie wohl nicht bemerkt. Der brave Herr Milden aber erschrak fast, und wie hätte er da schweigen können?

„Idchen, mein Mädchen, was fehlt Dir? Hat Dir der Junge etwas gethan? Was hat er Dir gethan? Sag’ es mir. Hat er Dich wieder mit seiner dummen Eifersucht geplagt?“

„Nein, Onkel. Aber ich war unartig gegen ihn gewesen.“

„Das ist nicht wahr. Was hättest Du denn gethan?“

„Soll ich mich noch einmal schämen?“

„Wetterhexe! Aber es ist doch nicht wahr.“

„Es ist auch nicht wahr, Onkel,“ sagte der Bräutigam, der der Braut nicht nachstehen wollte.

„Was war es denn?“

„Ida wünschte, daß wir den Studenten mitnehmen möchten.“

„Ha, und das wolltest Du eifersüchtiger Narr nicht!“

„Das wollte er nicht, Onkel,“ drängte sich das Mädchen vor.

„Und er hatte Recht. Ich sagte, mir gefalle die feuerrothe Mütze so, und unter der Mütze das frische und so weise Gesicht, das so gesetzt und so philiströs aussehe. Und da meinte Gustav, ich hätte einen schlechten Geschmack –“

„Hm, und darüber strittet Ihr?“

„Darüber stritten wir.“

„Und weintest Du?“

„Und weinte ich.“

„Hm, Gustav, sei doch einmal so gut, und gehe zu dem Studenten und bitte ihn in unser Aller Namen, daß er uns die Freude machen möge, mit von der Partie zu sein. – Sie erlauben es doch, Herr Domherr? Der junge Mensch war in den paar Stunden, die er vorgestern mit uns ging, recht amüsant.“

„Und er sprach so vernünftig, Herr Domherr,“ setzte bittend die Braut hinzu, „beinahe wie ein alter Mann, und er konnte so reizende Lieder in die Wälder und Berge hineinsingen.“

Der Domherr hatte sich schon zustimmend verbeugt. Der junge Mann war schon gegangen, den Studenten herbeizuholen. Er kam mit ihm zurück. Der Student sah wirklich so gesetzt und weise aus, und sprach so klug und verständig, und seine hellrothe kleine Mütze auf dem linken Ohr und die weiten Pumphosen und der kurze, knappe Rock, das Alles paßte so wunderbar zusammen. Er sprach in wohlgesetzten Worten seine Freude aus über das Glück des Wiedersehens und seinen Dank für die Ehre, die man ihm erzeige.

„Er sitzt bei Dir, Ida,“ sagte unterdeß leise der Bräutigam zu der Braut.

„Ei, ich bin wirklich ein guter Arzt,“ lachte das Mädchen.

„Und Ihr sitzt zusammen auf der letzten Bank.“

„Gustav, Du bist der reizendste Reconvalescent von der Welt.“

„Wo nur unsere Reisegefährten bleiben!“ sagte ungeduldig Herr Milden. „Hm, hm, hätte ich es früher gesagt, so wären sie früher gekommen. Da sind sie ja.“

Der finstere Mann kam mit der schönen blassen Frau. Er war höflich und weniger finster; sie war mild und freundlich. Sie hatten sich Beide gefaßt. Es mochte der Einen wie dem Anderen Mühe genug gekostet haben. Der Student war überrascht, als er sie sah. Er mochte sie kennen; er machte Zeichen des Erstaunens, freilich still und gesetzt. Niemand hatte es bemerkt. Das Ehepaar schien ihn nicht zu kennen.

„Hm, hm, wie sitzen wir?“ rechnete und dachte Herr Milden nach. Er wußte es. „Die beiden Damen bleiben zusammen. Ebenso der Herr Domherr und Sie, Herr Reisegefährte. Dann – hm, hm, das Brautpaar darf nicht getrennt werden.“

„Wird getrennt, Onkel!“ rief die Braut.

„Ah, Hexe, Du willst wohl bei mir sitzen?“

„Mit Verlaub, nein, aber bei unserem Herrn Studiosus.“

„Potz, alle tausend Bomben –!“ Er sah beinahe mit Angst seinen Neffen an.

„Hm, lieber Onkel,“ sagte lachend der Neffe, „so müssen wir Beiden zusammenbleiben.“

„Junge, dafür muß ich Dich küssen,“ rief der Onkel. „Sieh! diese nichtswürdige Eifersucht – “

Er brach plötzlich ab. Der finstere Reisegefährte war glühend roth, die blasse Frau blässer geworden. Der Student sah sehr geheimnißvoll und wichtig seine Nachbarin, die Braut, an, als wenn er ihr ein großes Geheimniß mitzutheilen habe. Sie setzten sich, wie der Onkel und das junge Mädchen es bestimmt hatten: vorn der Onkel und der Neffe; dann der Domherr und der finstere Herr; dann die beiden Frauen; auf der letzten Bank saßen der Student und die Braut.

Der Wagen fuhr ab, den Hügel hinunter, in das Thal hinein, über die Brücke des Stromes, an dem anderen Ufer des Stromes entlang, in dichte, duftige Waldung, auf vielfach gewundenem Wege einen hohen Berg hinan, um auf seiner Höhe, auf der Spitze des Weißen Steins, die schöne und berühmte Aussicht zu genießen. Es war überall schön, wo sie fuhren, überall eine frische Natur; bei jeder Biegung und Wendung erschlossen sich dem überraschten Blick neue reizende Punkte, bald in der nächsten Nähe, bald in weiter Ferne. Aber die Herzen in dem Wagen öffneten sich nicht. Der finstere Mann saß so finster, so stumm, so eisig kalt da; seine blasse Frau in so tiefen und schweren Gedanken. Da waren auch die Anderen still und stumm. Frau Milden hätte wohl gern Worte der Aufrichtung für ihre blasse Nachbarin gehabt; aber wäre nicht jedes Wort eine Anklage gegen den Gatten der Armen gewesen, der unmittelbar vor ihnen saß? Den Domherrn machte die eisige Kälte seines Nachbarn mit kalt. Selbst der redselige, höfliche und gutmüthige Herr Milden suchte vergebens eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Schwiegen die Aelteren, hätten wohl auch die Jüngeren schweigen sollen. Die schelmische Braut konnte es nicht ganz.

„Herr Student, Sie sagen ja kein Wort über die Schönheit der Natur.“

„Ich bewundere sie, mein Fräulein.“

„Wen? Mich?“

„Die schöne Natur.“

„Ei, Herr Studiosus, galant sind Sie nicht.“

„Verzeihen Sie, mein Fräulein.“

„Hm, ich verzeihe Ihnen schon gern – wenn nur auch mein Bräutigam es thut. Aber muß man denn wie im Grabe sitzen, wenn man bewundert?“

„Es ist ein tief begründeter philosophischer Zug, daß die wahre Bewunderung stumm macht.“

„Gott bewahre! Da sollte man ja nichts bewundern.“

„Sehr richtig, Fräulein. Nil admirari ist auch einer der tiefsinnigsten Sätze der Philosophie.“

„Sie sind kein Philosoph?“

„Woher vermuthen Sie das?“

„Weil Sie vorhin bewunderten.“

„Nein, ich bin kein Philosoph; ich bin Jurist. Aber ich habe auch die philosophischen Studien, besonders die Psychologie nicht vernachlässigt, da ich vorzugsweise Criminalist bin.“

„O, pfui! Blutrichter wollen Sie werden? Darum tragen Sie auch schon jetzt wohl die blutrothe Mütze?“

„Um Gotteswillen, Fräulein!“ flüsterte sehr leise der Student.

„Was giebt’s?“

Der Student zeigte schweigend auf den finsteren Mann und auf die blasse Frau. Der finstere Mann war auf seinem Sitze aufgefahren; die blasse Frau saß noch unruhig da.

„Kehren wir zur Bewunderung der schönen Natur zurück, mein Herr,“ sagte das Fräulein.

„Zu Befehl,“ mein Fräulein.

„Zu Befehl? Sie bewundern auf Befehl?“

„Auf Befehl einer schönen Dame thue ich Alles.“

„Ah, Sie sind doch galant! Aber sehen Sie, wie prachtvoll die Sonne in das Thal hineinscheint.“

„Ja, es bilden sich wunderbare Reflexe und Tinten.“

„Und duftige Farben und goldene Säume, Herr Student.“

„Ja, mein Fräulein, und wie der Strom glitzert, wie dunkle Schatten in jene Schlucht dort einziehen, wie die Kronen der mächtigen Eichen auf den hohen Bergen in goldenem Schimmer glänzen!“

„Aber vor Allem, Herr Student, wie wunderbar liegt jene alte Festung da! Die Spitzen der blauen Thürme, die Zacken der rothen Zinnen ragen so hell und glanzvoll und lustig zum Himmel empor; das hohe, große, weiße Haus rechts sonnt sich so stolz in

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