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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

haben Sie als solche verkleidet. Schweigen – das ist die Hauptbedingung. Es werden sonderbare Dinge durch Ihre Hände gehen. Jeden Morgen instruire ich Sie. Schweigen – Schweigen; ich wiederhole es. Das Amt einer Vorleserin bringt Sie in stete Berührung mit der Person Elisabeth’s, und daher sind Sie der beste Canal, durch welchen wir hinter dem Rücken der russischen Minister agiren können. Das weibliche Geschlecht ist unverdächtiger – daher Ihre Verwandlung.‘

„Wir fuhren ab. Als wir bei der Kaiserin vorgelassen wurden, war sie ganz allein. Sie trug ein orientalisches Morgenkleid, rothe Hackenschuhe und eine Rivière von Brillanten um den Hals. La Regnière stellte mich unter dem Namen eines Fräuleins de Thou vor. Die Kaiserin unterhielt sich lange mit mir. Ich schien ihr sehr zu gefallen. Beim Abschiede wollte ich ihr die Hand küssen. Sie zog mich zu sich und küßte meine Stirn. Ich muß annehmen, daß sie bald meine Verkleidung erfuhr. Drei Jahre lang gingen die Verhandlungen durch die Hände der verkappten Vorleserin. Ich darf darüber sprechen. Denn weiß man auch nicht, daß ich Weiberröcke trug, so kennt man doch meine Wirksamkeit in Petersburg. Aber in jene Zeit fällt auch ein Vorgang, den ich ewig verschweigen muß und der einzig und allein die Ursache ist, daß Sie mich in diesen Kleidern sehen. Hier ruht das Geheimniß, und wie Strabo, der alte Gelehrte, wenn er von den gütlichen Mysterien der Tempel redet, in welche auch er eingeweiht war, sage auch ich: Hier muß ich schweigen? Vielleicht hat man es heute der Königin mitgetheilt. Die Kaiserin Elisabeth ruht ja längst in der Gruft ihrer Väter. Nach Bestuscheff’s’ Sturz legte ich meine Frauenkleider ab. Heute – – “

„Heute tragen Sie dieselben wieder, Madame, und werden sie vorläufig nicht mehr ablegen,“ sagte eine Stimme, zugleich trat ein Mann in die Allee.

„Herr von Sartines, der Polizeiminister!“ rief die Prinzessin.

„Ich selbst, Gnädigste! Frau von Beaumont, Ihren Arm.“

Die Chevalière reichte gehorsam ihren Arm dem Minister, grüßte die Prinzessin noch einmal und ging mit Sartines schweigend den Baumgang hinunter. Die Prinzessin sah Beide in die bereit gehaltene Kutsche steigen und durch das Gitter des Schlosses auf die Straße nach Paris fahren. Das war die Audienz des Chevalier d’Eon in Versailles. Er hat das Schloß nie wieder betreten. Seit jener Zeit aber trug er den Orden des heiligen Ludwig auf seinem Frauenkleide.




Arm, von Allen verlassen, lebte das geheimnißvolle Wesen nach der Revolution in London. Die Frauenkleidung war abgestreift, aber das Geheimniß geblieben. Endlich erbarmten sich die Freunde des alten Abenteurers und bereiteten ihm einen sorgenfreien Lebensabend. D’Eon, einst die Zierde der Salons, das Gespräch des Tages, starb still und fast vergessen am 21. Mai 1810. Die Revolution hatte ihn als Emigranten geächtet.

Des Staatsgeheimnisses vollständige Aufklärung ist Niemandem gelungen. Nur so viel hat sich herausgestellt, daß d’Eon wirklich dem männlichen Geschlechte angehörte. Der Chevalier selbst bewahrte das merkwürdige Geheimniß sogar inmitten seiner traurigsten Lebensverhältnisse sorgfältig und hat es unenthüllt in das Grab mitgenommen.




Blätter und Blüthen.

Moderner Schwindel. In St… sitzt der Schneidermeister F. K. in seiner Werkstatt bei seinen Gesellen, emsig am Werk und zufrieden mit den Früchten seines und ihres Fleißes; da pocht es an, und herein tritt der Postbote und übergiebt ihm einen Brief – aus London. Aus London? An mich? – Ja, es ist so. Die Adresse ist richtig, der Poststempel auch. Und so öffnet er denn mit einigem Herzklopfen der Neugierde das Couvert, und entgegen kommt ihm ein feines Papier mit folgendem Inhalt: „Herr F. K., es ist für Sie, unter Ihrer vollständigen und richtigen Adresse, ein Paket aus Amerika angelangt, welches gegen Erstattung von zwölf Schilling (vier Thaler) für Porto Ihnen sofort zugeschickt werden soll.“ Datum und Unterschrift einer angeblichen Schiffs-Agenten-Firma. Was thut nun unser Meister? Er selbst hat zwar keine nahen Verwandten drüben; aber welcher deutsche Handwerker hätte unter den 51/2 Millionen Deutschen in Nordamerika nicht einen Freund, einen Bekannten? Kann nicht irgend Einer von diesen seiner gedacht haben? – Und in solchen Dingen ist’s so böse, um Rath zu fragen. Wer möchte in den Verdacht kommen, daß er auf eine reiche Erbschaft hoffe? Und das Auslachen hinterher? – Nein! Es bleibt Geheimniß, – aber in fünf Fällen unter zehn gehen die vier Thaler an die Londoner Adresse ab, und somit ist dort der Zweck erreicht: das verheißene Paket hat noch Niemand gesehen. Mit welcher Unverschämtheit diese englische Schwindlerbande arbeitet, ergiebt sich daraus, daß man in Paris allein die Ankunft von 500 solchen Briefen ermittelt hat. Viele derselben tragen die Unterschrift: „W. Lover & Co., Shipping Agents, 3 Glasshouse Street, Regent Street,“ andere geben als Wohnung Kings Terrace, Kings Road. S. W. Nr. 15 an. Die Firma hat auch ein „Departement etranger“, zu deutsch eine Abtheilung für Auswärtige, mit Agenten in New-York und San Francisco. Das allzugrobe Attentat auf die französischen Börsen veranlaßte die französische Gesandtschaft in London, den Gaunern nachspüren zu lassen. Seitdem setzten sie sich in den Besitz deutscher Adreßbücher, und sie haben bereits den Niederrhein in Angriff genommen, wie man uns von dort schreibt. Es ist gar nicht zu zweifeln, daß, wenn das Geschäft nur einigermaßen rentirt, Deutschland mit solchen Briefen überschwemmt wird. Thue dann Jeder das Seine, dem nichtswürdigen Gesindel den Fischzug zu vereiteln!

Was ist gegen diese englischen Spitzbuben, die nur plump und faul betrügen, jener französische Professor für ein Engel der Wohlthätigkeit! Er hat in den besten und größten deutschen Zeitungen eine reizende, die freundlichsten Hoffnungen erregende Aufforderung erlassen an alle Diejenigen, welche mit einem Anlagecapital von nur 10 bis 15 Thaler und in einigen Nebenstunden des Tags ein jährliches Nebenverdienstchen von 300–350 Thalern erzielen wollen. Welcher fleißige arme Teufel wird das nicht wollen? Wenn nur die Trauben nicht zu hoch hingen! Denn umsonst wird das beglückende Geheimniß nicht verrathen. Da darbten sich ein paar die erforderlichen Groschen ab und wagten die Anfrage, und – prompt war der Herr Professor – umgehend erfolgte die Antwort, natürlich gegen Postnachnahme von 2 fl. 30 kr. (1 Thlr. 23 Gr. 2 Pf.), und zwar mit dem Postzeichen „Frankfurt a. M.“ Und der Inhalt? Die Betroffenen sandten uns die ganze Correspondenz für die Gartenlaube zu: eine „Anweisung zur Erzielung eines sicheren und bedeutenden Verdienstes durch die Seidenzucht“ ist des theuren Pudels lächelnder Kern. Diese Anweisung ist lithographirt, datirt „Paris, den 1. Juni 1862“ und unterschrieben „Emile Charlier, Professor“; dabei liegt, wahrscheinlich nach dem Muster der Hoff’schen Malz-Extracts-Lobpreisungen, ein empfehlender Brief eines Aloys Paintner in Czocza in Ungarn, der sich jedoch erst „der angenehmen Beschäftigung mit allen Kräften hingeben will“ und sich vor der Hand nur für „die edle Idee“ bedankt. Daß in der „Calculation“ noch anderweite, in der Ankündigung verschwiegene Ausgaben von 5, 20 und 75 fl. vorkommen, macht freilich gerade für die Armen, denen er sein Evangelium gepredigt hat, das verheißene Glück noch schwerer erreichbar; allein ist es seine Schuld, daß arme Leute kein Geld haben? Und kann sich ihnen nicht irgendwo ein Credit eröffnen, der ihnen die Pforte der Seidenzucht dennoch aufschließt?

Dieser Credit – in der That, da winkt er schon! Und wo? Undankbarer Deutscher, abermals in dem hochherzigen treuen Albion! Da steht es, und Ihr findet es in allen Zeitungen: „Capital-Bedürftige können Credit-Eröffnungen, Darlehen jeder Höhe, Wechsel, Accommodationen etc. erhalten, F. S. & Co. 9 Flora-Terrace, Spur Road London S. E. erb. Franco Briefe.“ Ein Freund der Gartenlaube, der diese Anzeige in dem Zwickauer Localblatte las, benutzte die Adresse zu einer Anfrage. Wir theilen die Schriftstücke, welche er als Antwort erhielt, den Namen des Einsenders ausgenommen, wortgetreu mit.

„12, Upper Stamford Street, Blackfriars.  
London, 8. Mai 10. 1864. 
 Herrn Th.

In höflicher Erwiderung Ihres verehrl. Schreibens theilen Ihnen mit, daß das günstige Resultat eingezogener Erkundigungen uns veranlaßt, uns bereit zu erklären, Ihnen mit gewünschtem Darlehn von Rthlr. 600. Cour. zu dienen und zwar gegen Ihren Sola-Wechsel mit Rthlr. 100. jährlich oder in einer Summe nach 3, 5 oder 7 Jahren zurückzahlbar. Zinsfuß 6 % per Jahr, zahlbar jährlich.

Sie wollen uns sofort bescheiden und anliegende Bedingungen genügend qu. Indemnity-Betrag mit Rthlr. 11. preuß. oder sächsisch Papiergeld in Ihrem verehrl. jetzigen recommandirten Antwortschreiben miteinsenden, damit wir sogleich die Verfügungen treffen und Ihnen die Anweisungen zukommen lassen können.

Achtungsvoll 
Foreign Monetary and Credit Agency Office.“ 
(Namensunterschrift unleserlich) 

Die angeführten „Bedingungen“ lagen in folgendem gedruckten Zettel bei, in welchem nur die Summen (Rthlr. 11. und Rthlr. 600. Cour.), ferner die Bemerkung „in deutschem Papiergeld“ und die Straße und Hausnummer mit Tinte eingeschrieben sind. Er lautet: „Foreign Monetary and Credit Agency Office, London.

Der Credit- oder Darlehn-Suchende hat unter gewissenhafter und wahrheitsgemäßer Angabe seiner Verhältnisse besonders speciell anzugeben: Name, Stand und Wohnort.

Die Höhe der gewünschten Credit- oder Darlehn-Summe, auf wie lange solche gewünscht wird, ob in einer Summe oder in Theil-Zahlungen rückzahlbar.

Welche Sicherheit geboten wird; ob durch Grundstücke, Hypotheken, Bürgschaft, Lebensversicherung, Schuldverschreibung, Wechsel, Documente, oder wodurch sonst.

Der Credit- oder Darlehn-Suchende hat als Bürgschaft der prompt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_367.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)