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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

wieder in Vergessenheit kommen. Erst beim Tode Ludwig’s XV. erinnerte man sich seiner. Würde Ludwig XVI., dem Nichts verhaßter war als Scandal und Auffälligkeiten, den Chevalier dennoch zwingen seine Weiberrolle fortzuspielen? Man glaubte es nicht. Allein man täuschte sich.

In London erschien einer der gefürchtetsten und genialsten Männer seiner Zeit, Beaumarchais, um im Auftrage des Königs mit d’Eon zu unterhandeln. Der Chevalier besaß Papiere von höchster Wichtigkeit. Ludwig mußte sie in Händen haben. Beaumarchais begann Unterhandlungen mit d’Eon. Sehr wunderbarer Weise hat selbst ein Mann von Beaumarchais’ Verschlagenheit getäuscht werden können. Er scheint d’Eon wirklich für ein Frauenzimmer gehalten zu haben und dazu für ein solches, dessen Neigung er gewonnen zu haben glaubte. Wahrscheinlich hat der Chevalier, auf die Eitelkeit Beaumarchais’ ein wenig speculirend, Neigung geheuchelt, um für die in seinem Besitze befindlichen Papiere eine größere Kaufsumme zu erhalten. Zugleich aber mit dieser Summe händigte Beaumarchais dem Chevalier auch den Befehl des Königs ein: Nie wieder die Weiberkleidung abzulegen und öffentlich anzuerkennen, daß er ein Frauenzimmer sei.

Das war den Neugierigen zu viel. Wenn selbst Ludwig XVI. solche Befehle ertheilte, dann mußte es seine ganz absonderlichen Ursachen haben und immer dichter zog sich der Schleier, der das Geheimniß verhüllte. Beaumarchais ging nach Paris, mit sich führte er den eisernen Kasten, welcher die gekauften Papiere enthielt. Wie vieles lag verborgen in diesen Schriften? in welchen Verhältnissen mußte die rätselhafte Person zu dem Hofe von Frankreich gestanden haben, die im Besitze solcher Geheimnisse war, deren Körper nun die langen Gewänder der Frauenkleidung bedeckten, ein Befehl, der sie den Ungelegenheiten lästiger Neugierde und dem Spotte frivoler Müßiggänger jeden Standes aussetzte? Alle Combinationen wurden zu Schanden.

Neues Erstaunen! der Chevalier erhielt 1777 die Erlaubniß, nach Frankreich zu kommen und sich bei Hofe in Weiberkleidern zu präsentiren. Er erschien, wie oben erzählt, am 10. August in Versailles.

Nachdem der König die Dame in sein Zimmer geführt, hatte er eine kurze Unterredung mit ihr. Hierauf geleitete er sie in die Gemächer der Königin Maria Antoinette. Die Königin stand, von ihren Damen umgeben, auf einem Perron, der sich dicht vor den Zimmern befand und in eine Terrasse auslief, deren Stufen in den Garten hinabführten. Da waren sie Alle, jene schönen Gestalten: die Lamballe, die Polignac, die sanfte Elisabeth, der Graf von Artois, der wüste Orleans, Alle, die später in den ungeheuren Wirbeln der Revolution ihr Ende finden sollten.

Der König präsentirte die geheimnißvolle Dame den versammelten Herrschaften. Die Chevalière verneigte sich tief und verharrte in einer Art von Verzückung der Königin gegenüber, welche wiederum das zweifelhafte Wesen aufmerksam betrachtete. Es entstand eine äußerst peinliche Pause. Die Königin wollte derselben ein Ende machen und schritt auf die Chevalière zu, als plötzlich der Staatsminister Herr von Vergennes mit ehrfurchtsvoller Verbeugung zwischen sie und die Chevalière trat. Man sah, wie Vergennes der Königin etwas zuflüsterte, die Königin sich leicht die Lippe biß und ihr schönes Haupt schüttelte. Fast in demselben Augenblicke kam der König hinzu, es entspann sich eine kurze Unterredung, welche damit endete, daß König, Königin und Minister der Dame d’Eon eine Verbeugung machten und, ohne weiter mit ihr zu reden, den Saal verließen. Die ganze Versammlung folgte, und die betroffene Chevalière sah sich mit dem Kammerherrn Monsieur de Genet allein. D’Eon’s Erstaunen war kein geringes. Sich wie ein der Menagerie entführtes Thier betrachtet und dann von Allen förmlich geflohen zu sehen, das hatte er nicht erwarten können. Genet suchte das betroffene Wesen zu zerstreuen, indem er einen Gang in den verschlossenen Park vorschlug. Mechanisch folgte d’Eon.

Kaum waren sie durch eine Allee geschritten, so bemerkten Beide eine Dame, welche aufmerksam die Bewegungen der Chevaliers aus der Ferne betrachtete. Als sie d’Eon erkannt zu haben glaubte, eilte sie auf ihn zu. Es war die Prinzessin von Lamballe. Genet trat zurück.

„Die Majestät bittet Sie, Madame, ihr nicht zu zürnen,“ begann die schöne Prinzessin mit weicher Stimme. „Sie selbst werden erfahren haben, daß es mächtige Dinge giebt, denen wir Alle unterworfen sind.“

„Ich habe es erfahren,“ sagte d’Eon seufzend. „Obwohl, Hoheit, ich doch nicht enträthseln kann, weshalb ein solcher Empfang mir zu Theil wurde.“

„Weil Sie ein Staatsgeheimniß sind. Mit den Geheimnissen des Staates soll die Königin nichts zu schaffen haben, meinen Se. Majestät der König und der Herr Minister.“

„Weshalb stellte man mich dann überhaupt in Versailles vor? “

„Man war Ihnen und Ihrem Namen diese Auszeichnung schuldig.“

„Meine Laufbahn wird beendet sein,“ seufzte die Chevalière.

„Sie begann im Weiberrocke, und mit ihm angethan werde ich auch wohl sterben.“

„Also sind Sie doch der Chevalier d’Eon?“ rief die Prinzessin, einen Schritt zurücktretend. „Sie müssen diese Kleider tragen, die eines Mannes unwürdig sind, gezwungen, auf Befehl?“ und die schöne Dame betrachtete mitleidig die ungeheuren Spitzenärmel, die übermäßig lange Schleppe der schweren, seidenen Robe der Chevalière.

„Ich muß sie tragen, Prinzessin. Weshalb? das darf nie über meine Lippen kommen. Jedenfalls hat man heute die Königin über die Gründe aufgeklärt, welche zwei Monarchen bewogen, mich mein Geschlecht verleugnen zu lassen. Sprechen Sie ja nicht darüber. Viele Dinge sind gefährlich, wenn man Mitwisser derselben ist. Daß die Königin nicht weiter mit mir sprach, finde ich natürlich. Man hat mich nicht geschont.“

„Weshalb aber, Chevalier, entziehen Sie sich nicht gewaltsam diesem Zwange? Sie duldeten ihn schon unter dem vorigen Könige!“

„Ich habe ihn schon früher geduldet. Es sei dies die einzige Aufklärung, welche ich zu geben mir erlaube. Theilen Sie solche Ihrer Majestät mit. Vielleicht finden Sie darin die Quelle meines Unglücks. Als ich die diplomatische Carriere einschlug, war ich jung, sehr jung und sehr schön. Ein geheimnißvolles Etwas verfolgt mich seit meiner Geburt. Wer es an meine Fersen heftete – ich weiß es nicht, aber bereits in meinem sechsten Jahre hatte man das Gerücht verbreitet, ich sei ein Mädchen, meine Mutter habe, aus Furcht vor ihrem Gatten, der durchaus männliche Nachkommenschaft besitzen wollte, mich gleich nach der Geburt fortgeschickt und, während mein Vater im Felde, mir bei einer Bäuerin eine männliche Erziehung geben lassen. Diese Gerüchte waren albern, aber die Menge glaubte sie. War es doch wieder ein Geheimniß mehr in einer adligen Familie unseres Departements. Als ich nun, wie gesagt, in die diplomatische Laufbahn trat, ließ mich eines Tages mein Gönner, der Prinz Conti, rufen. ,Sie sind gewandt, Chevalier, sind mit Kenntnissen ausgestattet. Wollen Sie Ihr Glück machen?’ so fragte er. Ich bejahte schnell. ,Gut! halten Sie sich bereit, morgen nach Petersburg abzugehen. Sie kommen an den Hof der Kaiserin Elisabeth? Ich stutzte. Meine Einwilligung hatte ich aber gegeben, ich reiste ab. In Petersburg angekommen, ward ich vorsichtig in das Hotel des Gesandten, Herrn von la Regnière, geführt. Am folgenden Tage sollte ich der Kaiserin vorgestellt werden. Ich wußte nicht, in welcher Eigenschaft. Mein Titel lautete: Gesandtschaftssecretair; doch hatte ich außer dem Gesandten kein Mitglied des Personals der Ambassade kennen gelernt. Ich fand mich, elegant gekleidet, früh morgens wieder ein. Lächelnd betrachtete der Gesandte meine Toilette. ,Sie werden andere Kleidung anlegen müssen. Diese ist nicht für Ihre Stellung geeignet.’ Ist sie nicht reich genug?’ ,Das wohl, aber – – kommen Sie.’ Der Gesandte führte mich in ein Nebenzimmer. Hier fand ich auf Sesseln ausgebreitet eine zwar einfache, aber höchst werthvolle Damenrobe, Spitzenbesätze, Schuhe – kurz Alles, was zur Toilette einer jungen Dame von guter Familie gehört. Ich barg mein Erstaunen nicht. ,Dies sind Ihre Kleider,’ fuhr der Gesandt fort, legen Sie dieselben an. Mein Kammerdiener wird Ihnen behülflich sein und Sie auch frisiren. Es gilt einen Meisterstreich auszuführen. Sie können Ihr Glück machen.’

„Das Abenteuerliche reizte mich. Ich vollendete meine Verwandlung in ein Weib sehr bald und zu vollkommener Befriedigung des Gesandten und kann Ihnen sagen, daß ich selbst mich recht niedlich fand. ,Hören Sie nun,’ begann la Regnière, ,für heute haben Sie nichts weiter zu thun, als der Kaiserin Gehorsam und Anhänglichkeit zu geloben. Sie wünscht eine Vorleserin. Wir

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_366.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)