Seite:Die Gartenlaube (1864) 358.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Bau, der dem nachgewachsenen Stamme zur Stütze dient. So wächst und stirbt hier noch der Wald, der in dieser Ursprünglichkeit und Unberührtheit einzig in Deutschland dasteht. Die unermeßlichen Holzschätze auf einem Gebiete, das größer ist, als manches Königreich, sind alles Gaben einer freispendenden Natur. Heute noch triffst Du hier Urwald in seiner von keiner Axt durchklungenen Stille.

Keine andere Macht, als elementare Naturereignisse, stürzt die riesenhafte Edeltanne, deren Höhe man erst ermißt, wenn sie auf dem Boden liegt. Bäume von 150–200 Fuß, mit einem Durchmesser von 4–7 Fuß, kommen selbst auf Culturstrecken noch häufig vor, und es ist etwas fast Gewöhnliches, daß aus einem solchen ohne Ast und Gipfelholz 12–15 Klaftern geschlagen werden, ja in früheren Jahren hat man 25 Klaftern aus einzelnen Bäumen gewinnen können.

Generation um Generation wächst auf und fällt wieder nieder. Oft bilden diese Leichen, sich weit in die Tiefe erstreckend, den alleinigen Grund. Die große Feuchtigkeit begünstigt das Wachsthum kleiner Wasserpflanzen, Spagnum, welche das Wasser wie Schwämme in sich aufsaugen und sich weit verbreiten und Auen und Moore, mit Seen in der Mitte, entstehen lassen. Bei der Austrocknung einer Moorstrecke bei Eleonorenstein fand man in senkrechter Richtung übereinander fünf Lagen gewaltiger Wurzelstöcke, die folgende immer auf der untergegangenen gewachsen. Nicht überall, aber auf vielen meilenweiten Strecken, wird dieser Urproceß der Stoffumwandlung noch sichtbar, in andern Gegenden ist er bereits überwunden, und man begegnet auf den ausgedehnten Besitzungen österreichischer Grundherren den rationellsten Forstculturen, dazwischen bilden weite Wiesenthäler, ausgedehnte Filze einerseits, dann die der Ackerung allmählich zugeführten Culturen und die großartigen Aushaue und Lichtungen andrerseits die natürlichen und künstlichen Unterbrechungen des Waldes.

Bei solchem Reichthum an Holz ist es in der That von hohem Interesse, darnach zu forschen, wie dasselbe verwerthet werde und welche Erwerbsarten unmittelbar oder mittelbar sich aus dem Walde herausgebildet haben.

Lange Zeit kannten die guten deutschen zähen und stämmigen Bewohner des Böhmerwaldes – so fest und knorrig wie seine Stämme, und so voll mystischer Bräuche und Sitten, wie der dunkle, vom Zwielicht durchzitterte Waldesschatten – den Werth nicht, der im Walde stak. Sie wähnten, dieser sei eben nur geschaffen, um localen Bedürfnissen zu entsprechen. Der Wald war für sie eine Schutzstätte, ein Deckmantel für den Schmuggel, das Zeug, aus dem sie Wohnung und Stadel bereitet, das Wärmematerial für ihre Heerde und Oefen, der Stoff für die Einrichtung der Stube, sowie für ihre einfachen Geräthschaften, Aexte und Schaufeln, Schlitten und Wagen.

Dieses tägliche Bedürfniß gebar auch gar bald ein ganz eigenthümliches Rechtsverhältniß zwischen dem Ober- und Grundherrn auf der einen und dem Waldhäusler auf der andern Seite. Gegen Verabreichung des Klaubholzes, der Dörrlinge, der Waldstreu und des Astholzes von Windbrüchen leistete stillschweigender Weise der Häusler dem Grundherrn sein Stück sauerer Arbeit im Walde, und so entstanden allmählich die Waldservituten, die später mit Mühe und Noth abgelöst worden sind. Im Uebrigen galt die allgemein beliebte Anschauung, daß das Holz für Alle gewachsen sei, und Holzdiebstahl und Schmuggelei durchflochten das einsame Leben des Wäldlers mit manchem traurig romantischen Ereignisse.

Hebung des Wohlstandes, bessere Schulbildung haben auch diese Rechtsverletzungen gemindert. Witz und Anstrengung gegen Gefahr einzusetzen, erscheint bei den erniedrigten Zollsätzen nicht mehr so lohnend, wie sonst, und die blutigen Kämpfe bewaffneter Schmugglerhorden mit Grenzwächtern und Soldatenabtheilungen werden nur in sagenhafter Erinnerung noch gefeiert. Damit indeß die Romantik nicht ganz aussterbe, schleicht sich dann und wann ein Wilderer noch hinaus, und die noble Passion des Jägers, die früher häufig gegen Wölfe und Bären geübt werden mußte, bringt manchem feisten Rehbocke ein ungesetzlich frühes Ende.

Die Wölfe sind im Böhmerwalde bereits zu Fabelthieren geworden. Länger erhielt sich daselbst das Bärengeschlecht. Der vorletzte Bär wurde im Jahre 1835 und der letzte im Jahre 1856 erlegt. Dieser letzte, ein sogenannter Honigbär, war den Forstleuten lange schon, gegen fünfzehn Jahre, bekannt. Man stellte ihm schon lange nach, nicht gerade, um ihn auszurotten, denn er betrug sich gegen das im Walde weidende Vieh sehr artig, sondern um ihn in brauchbarem Zustande für das Museum des Fürsten Schwarzenberg, des größten Grundherrn im Böhmerwalde, zu gewinnen. Als in der Nacht vom 7. zum 8. November 1856 frischer Schnee gefallen war, wurde sein engerer Aufenthalt umstellt, man fand aber erst nach zwei Tagen die Spur und scheuchte das Thier am 11. November auf. Das erste Mal leicht verwundet, rettete sich Petz noch einmal, aber nur, um Tags darauf in regelmäßigem Treibjagen von über hundert Schützen und Treibern seinen Verfolgern in die Hände zu fallen. Es war eine alte Bärin, welche über 250 Pfund wog. Ob dieser letzte Petz noch ein rechtschaffener eingeborener Böhmerwäldler gewesen oder von den Alpen herübergekommen war, dürfte schwer zu bestimmen sein, aber daß im Böhmerwalde noch in den vierziger Jahren Bärenfamilien gehaust, ist eine unbestreitbare Thatsache. Luchse, Füchse, Dachse und wilde Katzen nebst dem Rothwild sind jetzt noch die nicht allzuhäufigen vierfüßigen Bewohner unseres Gebirges.

Die Hauptbeschäftigung der Böhmerwäldler und die ehrlichste war und bleibt die des Holzhauers und des Holzknechtes. In gewissen Gegenden gehört ihr fast jeder Jüngling und jeder Mann an. Haue, Axt, Säge und Hammer führt ein jeder Wäldler mit Virtuosität, und tagaus, tagein werden diese Instrumente am grünen und am trockenen, am gefällten und am gesägten Holze geübt.

Der Holzhauer des Böhmerlandes führt seine Wohnung mit sich, wie die Gartenschnecke ihr Haus. Nichts Primitiveres kann aber auch leicht gedacht werden, als diese niedrige Hütte, zusammengefügt aus vier Wänden und darum so transportabel. Schlafstelle, Werkstätte, Heerd, Alles ist darin improvisirt. Alles geschieht an einer und derselben Stelle unweit der Hütte: die Zersägung der gefällten Stämme in Klötze, die Zerspaltung der letzteren und die Zerlegung in Scheite. Nicht weit davon hat der stolze Riese noch vor Kurzem sein erhabenes Haupt im Lichte gebadet und seine Wurzeln in den dicht bemoosten, kräuterbewachsenen Boden gestreckt, wie für die Ewigkeit geschaffen. Rasch ist durch den Holzschlag eine Lichtung entstanden, in der die Sonnenstrahlen gar herrlich spielen und auf welcher das Holz der gefällten Bäume, harzigen Duft rings verbreitend, bald in Klaftern geschichtet liegt. Mit dem Winterschnee heben nun die Schlittenfahrten des Scheitholzes an. Ein mit einwärts gekrümmten Kufen versehener Schlitten wird, nachdem das Holz darauf mittelst Ketten befestigt ward, über den schneebedeckten Abhang nach den Gebirgsbächen hinabgetrieben. Der Lenker des Schlittens, der vorn auf seinem Fahrzeug sitzt, hält eine eisenbeschlagene Holzstange, den „Krall“, in der Hand, ihn in den gefrorenen Schneeboden stoßend und so als Ruder gebrauchend, während er mit den Schenkeln die Kufen drückt und die Absätze seiner Stiefeln in den Schnee bohrt. Gefährlich ist diese Fahrt, und mancher kühne und geschickte Fuhrmann ist schon ihr Opfer geworden.

So ist das Holz an die in der Regel steinhart gefrorenen Bäche gebracht worden. Erst im Frühjahre, wenn die Fessel des Eises bricht, der Schnee schmilzt und der Gießbach gewaltig in die Schlucht schießt, kann es weiter geschafft werden. Die Schwemme nimmt ihren interessanten Beginn und Fortgang. Die von mehreren in der Höhe gelegenen Gebirgsseen hernieder stürzenden Wässer werden, indem man die künstlichen Schleußen an der Mündung der Gießbäche öffnete, mit ihrer ganzen Gewalt losgelassen, und nun werfen Schaaren von Holzknechten die an den abschüssigen Ufern gelagerten Scheite in die brausende Fluth. Für Auge und Ohr ein mächtiger Eindruck! Stundenweit vernimmt man das furchtbare Brausen und Poltern der von dem Wogengischt über die Felsklippen fortgeschleuderten Scheite. Die längs des ganzen Schwemmterrains aufgestellten Holzknechte halten abermals ihren „Krall“ in der Hand, um die aufgestauten oder in die Klemme gerathenen Scheite von Neuem flott zu machen. In den unteren Partien der Gebirgsbäche sind an gewissen Stellen sogenannte „Rechen“ angebracht. In denselben setzt sich der größte Theil, mit Ausnahme des hie und da verschlemmten oder vertragenen Holzes, fest, und hier wird es herausgefischt und zu unübersehbaren Niederlagen zusammengestellt. Ursprünglich hatte die Spedition damit ihr Ende erreicht, jetzt aber hat die Industrie dem Holztransporte neue weitgreifende Arme geschaffen. Die Großbesitzer, begünstigt durch großartige Mittel, brachen hierbei zuerst die Bahn, indem

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_358.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)