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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

war dennoch sofort und der Erste mit seinen Worten da. Die schöne Frau Emilie hatte noch keine; der Anblick der blassen, unglücklichen Frau schnürte ihr wohl das Herz zu, rief so manche andern Gefühle und Gedanken in ihr wach.

„Ah, ah, verehrter Herr Reisegefährte, Sie haben ja hier ein reizendes Plätzchen gewählt – die schönste Aussicht in die herrliche Gegend.“

„O ja, es ist hier schön,“ sagte der finstere Reisegefährte kalt, sich sammelnd.

„Und da darf ich Ihnen ja wohl einen Vorschlag machen, Herr Reisegefährte, oder vielmehr geradezu eine Bitte an Sie richten. Wir beabsichtigen, zum Abend eine Partie nach dem Weißen Steine drüben zu machen. Man hat dort eine der schönsten Aussichten der Gegend, und da oben die Sonne untergehen zu sehen – ich versichere Sie, es giebt keinen köstlichern Genuß. Ich war schon mehrere Male zum Sonnenuntergang oben. Ja, und da wollten wir Sie und Ihre Frau Gemahlin nun bitten, die Partie gemeinschaftlich mit uns zu machen. Für einen Wagen habe ich schon gesorgt. Es ist ein großer Leiterwagen, wie man sie hier zu solchen Fahrten hat, und wir haben Alle Platz darauf. In einer starken halben Stunde fahren wir ab. Nicht wahr, Sie machen uns die Freude?“

Man sah dem finstern Manne an, wie ihm der Vorschlag ungelegen kam, er suchte nach passenden Worten, ihn abzulehnen.

„Von unserer Seite,“ sagte schnell, um der Ablehnung zuvorzukommen, Herr Milden, „fährt Niemand mit, als meine Frau und ich, der Domherr und mein Neffe mit seiner Braut, also nur unsere alte Reisegesellschaft, die Sie schon kennen.“

Der kleine Herr sagte es so gutmüthig, und es war doch ein so scharfer Stich in die Brust des finsteren Mannes, der so empfindlich gegen das Urtheil der Leute über sich war, der selbst in heftigen Ausbrüchen seiner Leidenschaft darauf bedacht blieb, seiner Stellung nichts zu vergeben; er durfte nicht zeigen, wie er getroffen war, wie sehr er sich getroffen fühlte. Die schöne Frau des Herrn Milden war vor Verlegenheit roth geworden, und doch war ihr Mann ein so feiner Psycholog gewesen, freilich wie das blinde Huhn, das auch wohl zuweilen ein Körnchen findet.

„Es wird mir ein Vergnügen sein,“ antwortete der finstere Mann, „vorausgesetzt, daß auch meine Frau einverstanden ist; sie ist heute so besonders leidend. – Was meinst Du, liebe Julie?“

Die beiden Frauen waren sich nur mit einem einzigen Blicke begegnet. Sie hatten sich verstanden. Frauen wissen in ihre Blicke ihr ganzes Herz zu legen, und Herzen, die nicht glücklich sind, verstehen sich auf den ersten Blick der Augen.

„Ah, gnädige Frau,“ rief der kleine Herr galant, „Ihre schönen Lippen werden mir doch keinen Korb geben?“

„Da die Partie meinem Manne Vergnügen macht,“ antwortete die blasse Frau, „so wird es mir eine doppelte Freude sein, den Abend in Ihrer lieben Gesellschaft zubringen zu können.“

„Vortrefflich! Herrlich!“ klatschte Herr Milden in seine runden Hände. „Machen wir uns gleich zur Abreise fertig, damit wir die beste Zeit nicht verpassen. Das wird ein reizender Abend werden. Komm, Emilie. Auf Wiedersehen, gnädige Frau! A revoir, Herr Reisegefährte!“

Sie wollten sich trennen. Die Frau des kleinen Herrn, die das Wort hatte führen sollen, hatte dazu nicht kommen können.

Sie sollte doch noch sprechen müssen. Hinten im Gebirge, auf der andern Seite des Thales, fiel plötzlich ein Kanonenschuß.

„Ah, ah,“ rief der vergnügte Herr Milden, „das ist ja ein Freudenschuß zu unserer Lustfahrt.“

Er lachte wieder über seinen Einfall. Aber der finstere Mann stand erschrocken da, horchte gespannt in der Richtung, in welcher der Schuß gefallen war. Und die blasse Frau zitterte. Der Schuß war in der Gegend der Bergfestung gefallen. Ein zweiter Schuß fiel. Er kam aus der Festung; man hörte es deutlich. Er zog sich donnernd durch das Gebirge fort, verlor sich im Thale. Die ganze Gesellschaft der Veranda hatte ihm gelauscht, war dem Donner gefolgt.

„Ah, ah,“ sagte der kleine Herr, „in der Festung sitzen ja auch wohl Gefangene? Gar Staatsgefangene, wenn ich nicht irre?“

Er hatte sich an seinen finstern Reisegefährten gewandt, erhielt aber keine Antwort. Der finstere Mann hatte fest seine Lippen zusammengepreßt. Herr Milden sah es wohl nicht.

„Ja, ja,“ fuhr er vergnügter fort, „ich weiß es, und die beiden Kanonenschüsse zeigen an, daß ein Gefangener aus der Festung entwichen ist. Und – und – es ist noch ein zweiter entkommen. Hören Sie, da fällt der dritte Schuß!“

Ein dritter Schuß war gefallen. Der brave Herr Milden wurde immer vergnügter.

„Lassen Sie uns horchen, ob nicht ein vierter fällt. Sie wissen es doch, die zwei ersten Schüsse bedeuten einen Entsprungenen; für jeden weiter Entkommenen wird nur ein Schuß abgefeuert. Ah, aber der vierte fällt nicht. Es ist also nur Zweien geglückt, zu entkommen. Es ist schade, daß ihrer nicht mehr sind. Nun, stehe der liebe Gott den Beiden bei, daß sie nicht wieder eingefangen werden, daß sie ihren Verfolgern entrinnen. Die armen Menschen –“

Der kleine dicke Herr stockte. Er sah endlich die zusammengekniffenen Lippen seines Reisegefährten, sie waren fast blutig gepreßt, sah in den großen dunklen Augen des finstern Mannes einen furchtbaren Haß, einen tiefen Groll auflodern. Er wollte sich verwundern; er mußte sich entsetzen.

„Hm, hm, alle Tausend –!“ Er kam nicht zum Ende.

„Arme Unglückliche!“ hörte er leise seine Frau sprechen.

Er sah sich nach ihr um. Sie hielt in ihren Armen die ohnmächtige Frau des finsteren Mannes.

„Wasser!“ rief sie den beiden Männern zu.

Der finstere Mann ging; der kleine Herr war schon fortgerannt. Die Ohnmächtige kam wieder zu sich.

„Seien Sie stark, meine arme Freundin!“ flüsterte Frau Milden ihr zu.

„Beschützen Sie mich!“ flehte die Arme.

„Ich werde Ihre Mutter sein. Aber seien Sie stark, zeigen Sie keine Angst.“

Wie klar mußten die beiden Frauen die Lage erkannt, mit welcher Angst mußte die Erkenntniß ihre Herzen erfüllt haben!

Herr Milden kam mit einem Glase Wasser zurückgestürzt. Der finstere Mann folgte ihm mit gemessenem Schritt.

„Es ist schon vorüber,“ sagte Frau Milden zu den Männern.

„Ein plötzlicher Kanonenschuß kann stärkere Nerven erschüttern.“

„Und unsere Partie?“ fragte Herr Milden.

„Es bleibt bei ihr,“ erwiderte entschieden seine Frau. „Machen wir uns Alle fertig.“

Sie sagte es zu der blassen Frau, zu den beiden Männern, zu dem Domherrn, der eben mit dem Brautpaar ankam. Sie gingen Alle, sich zur Fahrt zu rüsten.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Rest deutschen Urwaldes.

Wer den Böhmerwald bereist, die große Gebirgskette, welche Böhmen von Baiern abgrenzt, wird vielfache Generationen des Waldes um sich erblicken. Im Schatten halb mächtiger Buchen und Fichten wächst ein jüngeres Geschlecht in die Höhe, das sich als muntere Knabenwelt mit seinen Häuptern an die Brust der starken Männer anschmiegt. Alle diese Männer und Jünglinge und auch die der Zukunft entgegenrauschenden Kinder wurzeln aber erst auf den Trümmern einer untergegangenen Greisenwelt. Unzählige junge Nadelholzstämmchen sieht man auf langgestreckten Moderhaufen und vermorschten Stöcken neben einander emporwachsen, von denen freilich die größte Zahl wieder zu Grunde gehen muß. Nur die kräftigsten überdauern den nie rastenden Kampf, und man kennt sie später an der eigenthümlichen Gestalt ihrer Wurzeln. Wie auf vielfüßigem Piedestal erhebt sich der großmächtige Stamm; die Wurzeln haben sich über den alten Strunk, auf welchem das Samenkorn die erste Nahrung fand, hinabgesenkt, bis sie den Boden erreichten, und bilden nun, nachdem Fäulniß und Moder ihre erste Unterlage zerstört, einen säulenartigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_356.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2019)