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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Der Domherr fuhr schweigend mit der Hand über die Stirn, und es war ein trüber Blick, mit dem er auf das geistliche Kreuz auf seiner Brust hinuntersah.

Der kleine, dicke Herr kam zurück. Er war ein neugieriger Herr. „Hast Du unseren Reisegefährten gesehen, Emchen?“

„Er geht dort.“

„Zu seiner Frau! Na, an deren Stelle möchte ich auch nicht sein. Der ist ja ein wahrer Despot, Tyrann der Eifersucht. Sahest Du seine Blicke – nein, die Blitze seiner Augen?“

Der kleine Herr lachte über das Wortspiel oder den Witz, den er gemacht haben wollte. Er erhielt keine Antwort und hatte auch wohl auf keine gerechnet. Er fuhr fort: „Und die Frau hatte nicht einmal nach dem Lieutenant hingeblickt. Und was hätte sie auch an ihm zu sehen gehabt? Seine Uniform? Sie ist das einzige Hübsche an ihm. Ja, liebes Emchen, Du mußt es zugestehen, Ihr Frauen seht die Officiere gern; doch ohne die Uniform – du lieber Himmel, was sähet Ihr an den Herren! Aber ich meine das nicht von Dir, liebes Emchen, Du bist eine ganz andere Frau, als die anderen, und sodann, ich bin Gott Lob nichts weniger als eifersüchtig, das mußt Du zugeben.“

Er erhielt wieder keine Antwort; er hatte auch wieder auf keine gerechnet. Was soll auch eine Frau antworten auf die Frage des Mannes, ob er eifersüchtig sei? Er wandte sich an den Domherrn.

„Aber wer mag der Mensch nur sein, Herr Domherr? Haben Sie gar keine Ahnung davon?“

„Lieber Herr Milden,“ sagte der Domherr, „wir haben ihn Beide gestern zum ersten Male gesehen. Er schloß sich an mich nicht näher an, als an Sie. Ich kenne ihn nicht mehr, als Sie ihn kennen.“

„Ja, ja, Herr Domherr. Aber auch wir haben uns erst seit wenigen Tagen gesehen, und Jeder von uns weiß doch schon, wer der Andere ist.“

„Wir sind mittheilsame Naturen, Herr Milden. Jenes Mannes finsteres, verschlossenes Wesen kann sich wohl an keinen Menschen anschließen.“

„Er möchte ihn denn verderben wollen,“ sagte die Frau Milden. „Muß nicht das Herz der armen Frau in solchen Händen brechen? Wie waren wir ihr ein Rettungsanker, als der Zufall sie gestern mit uns zusammenführte! Mit welcher Angst lauschte sie der Entscheidung des Mannes, ob sie gemeinschaftlich mit uns die Reise fortsetzen würden! Er mußte, denn sie war erschöpft von dem Bergsteigen; zu Fuße konnte sie nicht weiter und einen Wagen hatten sie nicht bei sich. Wir boten ihnen einen Platz in dem unsrigen an. Er konnte, er durfte es nicht ausschlagen. Wie war sie glücklich, nicht mehr mir ihm allein sein zu müssen!“

„Wie liebenswürdig,“ sagte Herr Milden, „nahmst Du auch Dich ihrer an! Du wußtest den finsteren Mann zu halten, der gern schon in der nächsten Stunde die drückende Fessel, die unsere Gesellschaft seiner Tyrannei auslegte, von sich geworfen hätte.“

„Und,“ fuhr die Frau fort, „sie ist ein edles Herz. Mit keiner Sylbe, mit keiner Miene hat sie mir das Leid ihrer Brust geklagt. Nicht das leiseste Wort eines Vorwurfs gegen ihren Mann ist über ihre Lippen gekommen. Und ich war allein mit ihr; sie war vertrauungsvoll gegen mich, wie eine Tochter gegen ihre Mutter.“

„Du wärst nur etwa ihre ältere Schwester, Emchen,“ sagte galant Herr Milden. Dann wurde er ernst. „Aber wahrhaftig, ich fürchte. Du hast Recht, Emilie. Der Mensch ruinirt die arme Frau, nur nicht in der Art, wie Du es meintest. Mich überfällt ordentlich eine Angst, wenn ich ihn mir so recht ansehe und mir ihn dann mit der Frau allein denke. Ich meine, ich sehe einen Mörder und sein Schlachtopfer.“

„Milden!“ verwies ihn die Frau.

„Was willst Du, Emilie?“ fuhr er eifrig fort, „sieh ihn Dir einmal an. Sieh sie Beide an, wie sie schon vor allen den Leuten dasitzen. Sind das nicht tödtende Blicke, die seine großen, unheimlichen Augen auf die Arme werfen? Droht er ihr nicht jetzt schon Vernichtung? Und sie wagt nicht, zu ihm aufzublicken. Sie zittert, sie ist blaß, schon blaß wie der Tod. Doch halt, da sieht sie zu ihm auf, aber bittend, flehend, als wenn sie ihn um das Leben bitte, daß er sie doch nur hier vor den Leuten nicht tödten möge; nachher wolle sie ja gern sterben, wenn es sein müsse, so jung sie auch noch sei; es sei ja doch am Ende besser, jung zu sterben, als länger ein solches Leben zu führen. Ach, Emilie –!“

Herr Milden war plötzlich aufgefahren. Er schien eine dringende Aufforderung an seine Frau aussprechen zu wollen, wurde aber darin unterbrochen. Es war ein gutmüthiger Herr, der Herr Milden, daher aber auch ein Mann, der aller Welt gern hätte helfen mögen und deshalb freilich niemals recht zum Helfen kam.

„Tante,“ sagte auf einmal eine allerliebste Mädchenstimme in einem halb weinenden Tone, „der Gustav ist unausstehlich, er ist wieder eifersüchtig.“

„Was?“ fuhr Herr Milden auf, „Junge, Du unterstehst Dich? Auch Du? Sieh dahin! Nimm Dir ein Exempel daran.“

Es war nicht jenes Auffahren des kleinen dicken Herrn, mit dem er weiter zu seiner Frau hatte sprechen wollen; darin war er durch dieses zweite gestört worden.

Ein junges Paar war in die Veranda, an den runden Tisch getreten. Ein allerliebstes, frisches Mädchen, halb sanfte Taube, halb großer Schelm. Ein hübscher, frischer junger Mann, der aber in diesem Augenblicke nicht halb, sondern ganz sauertöpfisch aussah und dadurch seine anderen guten oder bösen Eigenschaften im Verborgenen ließ. Schon nach dieser Sauertöpfigkeit auf der einen und jener Schelmerei auf der anderen Seite mußten die Beiden Brautleute sein. Der junge Mann wollte auf die Worte, mit denen Herr Milden ihn anließ, etwas erwidern. Er kam nicht dazu, wie Frau Milden zu keiner Antwort auf die Worte des Mädchens gekommen war.

„Schweig Du!“ wurde er noch einmal angefahren, diesmal von dem jungen Mädchen. „Ich will der Tante erzählen, denn Du würdest wieder Alles verdrehen.“

Er schwieg gehorsam. Die Beiden waren sicher Brautleute.

Zu der Tante fuhr das junge Mädchen fort: „Siehst Du den reizenden Studenten da, Tante?“

Da konnte der junge Mann doch schon nicht mehr schweigen.

„Aber das ist doch zu arg, Ida!“

Das Mädchen aber sagte: „Tante, brauche ich Dir nun noch ein Wort zu erzählen? Ich darf einen Studenten nicht einmal mehr reizend finden? Bin ich nicht das unglücklichste Geschöpf von der Welt?“

Dabei weinte sie – keine Thränen, aber mit ihren klarsten Augen, die nicht schelmischer lachen konnten. Die Tante konnte nochmals nicht zum Antworten kommen. Der junge Mann war zornig geworden, daß er sich die Haare hätte ausreißen mögen. Herr Milden nahm ihn sehr ernst vor, strenge, wenn der brave Mann hätte strenge sein können.

„Gustav, Gustav, das ist nicht die Art und Weise, wie man sich benehmen, wie ein Bräutigam seine Braut behandeln muß. Brautleute müssen vor Allem verträglich sein, und der Bräutigam muß immer bedenken, daß er der stärkere Theil ist, also großmüthig sein und nachgeben muß. Und was nun sogar die Eifersucht betrifft, diese nichtswürdige Leidenschaft, dieses abscheuliche Laster –“

„Ach!“ rief die weinende Braut, „siehst Du, Gustav, daß Du ein abscheulicher Mensch bist? So recht, lieber Onkel, bringen Sie ihm Vernunft bei, treiben Sie ihm den Teufel seiner Eifersucht aus, machen –“

Herr Milden hielt sich die Ohren zu, er wußte nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Er sah sich nach Hülfe um. Sein Auge fiel mechanisch auf den finsteren, unheimlichen Mann, den er dem Neffen als ein abschreckendes Exempel hatte zeigen wollen. Da fiel ihm auch mechanisch das damals unmittelbar Vorhergegangene ein, als er seine Frau um etwas hatte bitten wollen.

„Alle Tausend!“ rief er. „Der Mensch sieht wahrhaftig aus wie ein Unglück! Und die arme Frau – sie muß Hülfe haben. Wir müssen sie ihr bringen. Hin zu ihnen!“ Dann zögerte er doch. „Aber was soll man ihm sagen? Sie sind Mann und Frau! Was hat ein Dritter zwischen ihnen zu schaffen? Und doch, die arme Frau jammert mich, und den Menschen muß man vor einem Verbrechen bewahren.“

„Gehen wir zu ihnen,“ sagte Frau Milden zu ihrem Mann, indem sie aufgestanden war. „Zuerst nur wir Zwei. Sie, Herr Domherr, folgen uns nach einer Weile? Mit dem Brautpaar da, wenn es ausgeschmollt hat?“

Der Domherr verbeugte sich bejahend. Die schöne Frau nahm den Arm ihres Gatten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_354.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)