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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Kampfplatz. Es geschah aber doch verhältnißmäßig selten, denn die fremden Burschen wußten schon, wie sie sich zu benehmen hatten, und die „hiesigen“ hielten ebenfalls soviel als möglich mit solchen „letzten Hülfen“ zurück, weil sie ja doch auch manchmal die Nachbardörfer besuchten, wo ihnen alsdann hätte Aehnliches widerfahren können.

Vor Tische fiel überhaupt nie eine derartige Scene vor, und der erste Tag verging fast jedes Mal in Ruhe und Frieden.

So auch hier. Heute tanzte das junge Volk bis zwei Uhr des andern Morgens. Jeder im Ort wohnende Tänzer geleitete dann sein Mädchen heim, und am andern Morgen fing die Musik schon wieder um zehn Uhr an zu spielen. Auch an diesem Tage fiel nichts Bemerkenswerthes vor, und Jeder stimmte damit überein, daß eine so prachtvolle und reiche Kirmeß noch gar nicht in Dreiberg gefeiert worden wäre und eine so friedliche ebenfalls nicht.

Am dritten Tage kam, etwa um drei Uhr Nachmittags, Herr von Secklaub wieder nach Dreiberg, der in der That einen Zwischentag gebraucht hatte, um sich ordentlich auszuruhen, und die Burschen zischelten und lachten über ihn, als er den Saal betrat. Er ließ sich aber dadurch wenig stören, und Lieschen entschädigte ihn auch bald dafür, da sie ihn, von ihrem Rechte Gebrauch machend, gleich zu dem nächsten Tanz abholte.

Mit Dunkelwerden hatte Katharinens Tänzer, der Soldat gewesen war und in der Stadt eine Menge neue Tänze gelernt zu haben schien, von denen man auf dem Lande eben keinen Gebrauch machte, eine Française oder einen Contre-Tanz vorgeschlagen. Erst wollten die Mädchen nicht darauf eingehen, zuletzt aber, unter Kichern und Lachen, stellten sie sich an, die drei Platzpaare und noch ein anderes, und der arme Teufel, der den Tanz vorgeschlagen, bereute es bald bitter, denn sie machten ihm das Leben dabei sauer genug. Die Mädchen begriffen trotzdem ziemlich rasch, wie sie sich dabei zu verhalten hätten, und, von Lieschen unterstützt, ging es schon gar nicht so schlecht. Die Burschen ließen sich aber desto ungeschickter an, und Hans besonders konnte das Ding nicht in den Kopf oder vielmehr in die Füße kriegen.

Herr von Secklaub, der zum vierten Paar gehörte, war dagegen in diesem Tanze vollkommen zu Hause, und daß er sich so geschickt dabei benahm und Hans so hölzern, ärgerte diesen ganz besonders. Das dauerte aber nicht lange. Hans sowohl, wie die andern Platzbursche, bekamen das „Durcheinanderdrehen“ bald satt. Mitten drin ließen sie abbrechen, und wieder wirbelten die Paare in einem rasenden Rutscher dahin und umeinander herum.

Jetzt wurde zum Essen trompetet und Lieschen stand einen Augenblick allein, da Hans nach dem anderen Ende des Saales gerufen wurde, wo ein Streit entstanden war, ob ein Fremder sein Band gelöst habe oder nicht. Secklaub, der den letzten Tanz frei geblieben, trat auf Lieschen zu und bot ihr seinen Arm, um sie zu Tische zu führen.

„Ich weiß nicht, ob ich darf,“ flüsterte sie, „Hans könnte es übelnehmen.“

„Aber wenn er Sie so vernachlässigt, mein Fräulein,“ sagte der junge Mann, „so darf er sich doch darüber nicht beklagen. Kommen Sie, ich will Sie ja nur begleiten und stehe dann gern von näheren Anrechten zurück.“ Er ließ auch keinen Widerspruch zu, zog Lieschens Arm in den seinen und führte sie zu Tische.

„Na?“ sagte Katharinens Platzbursche, den Fremden erstaunt ansehend, als dieser mit seiner Dame an den oberen Theil des Tisches trat, „blöde sind Sie gerade nicht. Ist das etwa der Stellvertreter für den Bräutigam, Jungfer Braut?“

Lieschen wurde feuerroth, ehe sich aber Secklaub zurückziehen konnte, stand Hans neben ihm und seinen Arm ergreifend, daß die blauen Flecke daran noch nach acht Tagen sichtbar blieben, sagte er eben nicht höflich: „Will der Herr wohl so gut sein und die Hand davon lassen? Das ist meine Platzjungfer, und die hat Niemand anders zu Tisch zu führen, als ich selber!“

„Hans, fang’ keinen Streit an,“ bat Katharine leise flüsternd, indem sie seinen Arm ergriff. „Er hat es ja nicht so bös gemeint. Er weiß ja nicht, was hier Sitte ist.“

„Sie entschuldigen,“ sagte Secklaub, dem es nicht unangenehm war, daß ihn Hans wieder losließ, „ich wußte nicht, daß ich dabei einen Eingriff in Ihre Rechte beging, aber Fräulein Erlau –“

„Komm, Lieschen,“ sagte Hans, vor den Fremden tretend und ihm den Rücken kehrend, während er seine Braut auf ihren Stuhl niederzog, „setz’ Dich und mach’ Dir’s bequem. Und nun wollen wir einmal tüchtig einhauen, denn ich bin nicht schlecht hungrig geworden.“ Den Stadtherrn beachtete er gar nicht mehr, und Herr von Secklaub zog sich, eben nicht erfreut von der Behandlung, an das andere Ende der Tafel zurück. Mit den Bauerburschen konnte er doch nicht gut Streit anfangen.

Um halb elf Uhr begann der Tanz von Neuem, und es wurden jetzt blaue Bänder ausgegeben. Vor Tische waren wieder rothe getragen worden. Katharinens Platzbursche hatte die Vertheilung derselben. Das ging auch rasch und ohne Schwierigkeit vor sich, und das junge Volk warf sich der Lust wieder mit solchem Eifer in die Arme, als ob das der erste Abend gewesen wäre und sie nicht schon zwei halbe Nächte durchtanzt hätten.

„Hallo, Freund,“ begann Katharinens Tänzer, der mit seiner Sparbüchse in der Hand durch die Reihen schritt und jetzt damit, dicht vor Herrn von Secklaub, klapperte. „Ihr habt noch Euer Band von vor Tisch ein, bitt’ um die fünf Groschen, hier ist ein anderes.“

„Bitte um Verzeihung,“ sagte Secklaub, indem er in die Westentasche griff und sein blaues Band herausholte und vorzeigte, „ich habe es mir eben von Ihnen selbst eingelöst und trage nur das rothe, weil es mir besser gefällt.“

„So? na, das ist Geschmacksache,“ sagte der Bursche, „aber wenn Sie hier mittanzen wollen, müssen Sie das blaue tragen, wie’s meine Platzjungfer trägt, nicht dem Hans seine, verstehen Sie mich? oder ich komme wieder mit der Büchse,“ und damit wandte er sich lachend ab, und Herr von Secklaub knüpfte das blaue Band zu dem rothen.

„Tanz’ nicht mehr mit dem Herrn mit dem Schnurrbart!“ flüsterte Katharine leise dem Lieschen zu.

„Und warum nicht?“ frug diese rasch und etwas heftig zurück.

„Die anderen Burschen haben schon darüber gesprochen,“ warnte sie das junge Mädchen. „Sie haben auch heut Abend ’was im Kopf, und es könnt’ sonst Streit geben. Es wär’ besser, wenn er ganz wegginge.“

„Sie dürfen ihm nichts thun,“ sagte aber Lieschen trotzig, „er ist Gast hier in Dreiberg und hat seine Musik bezahlt, so gut wie die Andern, auch noch Niemanden beleidigt, und der Hans ist doch schon vorhin recht grob mit ihm gewesen.“

„Sei dem Hans nicht böse drüber, Lieschen,“ bat Katharine gutmüthig, „Du weißt, daß die Platzburschen ihre Rechte haben und sich nicht gern ’was davon nehmen lassen. Es kostet ihnen ja auch viel Geld. Uebrigens war’s gewiß nicht so bös gemeint, Hans ist nun einmal so gradhin.“

„Er hätte mehr Lebensart haben sollen,“ zürnte Lieschen noch immer. „Uebrigens hab’ ich als Platzjungfer auch meine Rechte und kann tanzen, mit wem ich will.“

„Das kannst Du ja, Lieschen,“ beschwichtigte sie das junge Mädchen, „aber thu’s mir zu Liebe nicht mehr heut’ Abend mit dem fremden Herrn. Es läuft wahrhaftig nicht gut ab.“

„Unsere Kirmeß!“ jubelte da mit einem hellen Jauchzer Katharinens Tänzer dicht neben ihnen, umschlang das junge Mädchen und wirbelte mit ihm zum Tanze fort; Lieschen aber, durch die Warnung nur noch mehr gereizt, ging geraden Weges auf den etwas abseits stehenden Secklaub zu, bot ihm die Hand und trat in die Reihe ein.

„Du, Hans,“ sagte da einer der Dreiberger Burschen, indem er ihn auf die Schulter klopfte, „wer ist denn hier eigentlich Platzbursch’, Du oder der da?“ und damit zeigte er auf den gerade vorbeitanzenden Secklaub; „einen Strauß trägt er auch schon im Knopfloch.“

„Ach, laß ihn,“ sagte Hans, indem er dem Paare mit einem finsteren Blick folgte, „was weiß der Laffe von unseren Gebräuchen hier!“

„Ei zum Henker,“ rief ein Anderer, der daneben stand, „dann muß man ihn gescheidt machen. Von meinem Mädchen wollte er vorher einen Kuß haben, die hat ihn aber schön ablaufen lassen. Das weiß ich, wenn er mir so in die Quere käme, ich wollt’ ihm bald zeigen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat.“

Hans, obgleich er ein bischen viel getrunken, wollte doch nicht gern Streit anfangen. Das Necken der Cameraden war ihm aber doch nicht recht, und als der Erste jetzt sogar wieder spöttisch meinte, das Heimführen würde der ihm wohl auch ersparen, da er die Jungfer gewiß gleich heute Abend nach Wetzlau hinüberbrächte,

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