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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

würdigen Fiacre veredelt, bleibt der Erkenntniß unserer Enkel vorbehalten. Die Droschke hat sich trotz der Omnibus-Concurrenz in ihrer urzuständlichen Form (von Reinheit ist leider keine Rede) erhalten, nur dann und wann begegnet man einem von der Cultur der Gegenwart mit frischem Firniß beleckten und mit fleckenlosen Polstern verkleideten Eingespann; die Mehrzahl aber der für fünf Groschen feilen Miethlinge ist nicht geeignet, den traurigen Satz zu widerlegen, daß es in ganz Europa von Petersburg bis Madrid und von Rom bis Stockholm kein schlechteres öffentliches Fuhrwesen als das Berliner gebe.

Wer, der jemals die Straßen von Spree-Athen betreten, wer kennt sie nicht, diese klapprigen, baufälligen Gestelle mit ihren abgelebten, „abgetriebenen“ und schwermüthigen Pferden und den rothnasigen Rosselenkern? Wen erfaßt nicht ein menschliches Rühren, wenn er die fahrenden Eckensteher auf dem Bocke des „Folterkastens“ und die Mähren mit dem über die Ohren gebundenen Hafersäcke betrachtet? Wer hätte nicht gehört von dem untilgbaren Hasse, welcher zwischen den Lenkern der Droschken und den Züglern der Omnibusgäule besteht? Mit demselben Grolle, mit dem einst der arme Weber den „eisernen Arbeiter“, die Dampfmaschine, und der letzte Posthalter die erste Locomotive erblickt, sahen vor einundzwanzig Jahren die Berliner Droschkenkutscher auf das erste sechsrädrige Ungethüm, das, von einem Speculanten gebaut, unter dem Namen Omnibus durch die Straßen rollte. Und der Groll ist von Jahr zu Jahr mit der Zahl der neu-concessionirten Allerweltswagen gewachsen. Mehr als dreihundert Omnibus durchkreuzen die Residenz nach allen Richtungen, und während der auf seinen Halteplatz oft Stunden lang gebannte Droschkenführer nach einer „lumpigen Person“ vergeblich späht, sausen Hunderte von Groschen-Passagieren an seiner Nase vorüber.

Im Omnibus.
Originalzeichnung von Th. Hosemann.

Was der Dampfwagen für die Nationen, das ist der Omnibus für die Residenzler: er verknüpft die früher Getrennten, fördert Austausch und Verkehr und trägt neues Leben in die entlegensten, ehedem fast unzugänglichen Gegenden. So lange die Omnibusunternehmer nur auf die sehr belebten Straßen speculirten und jede Tour in mehrere Stationen theilten, für deren jegliche ein Reisegeld von einem Neugroschen zu erlegen war, wollte das Geschäft nicht recht vorwärts kommen; seitdem sie aber vom Ende der einen Vorstadt bis zum letzten Hause der entgegengesetzten fahren und für den Weg von fast einer deutschen Meile nur einmal den Zinsgroschen erheben, blüht das Geschäft, und in den Vorstädten steigen neue Häuser und neue Straßen empor. Die Sandscholle der ehemaligen „Hundetürkei“, in deren trügerischem Boden Roß und Reiter elendiglich versanken und Hungerblume und Distel sich vergeblich quälten, Wurzel zu fassen, sie ward zur Baustelle, zum lachenden, „goldtragenden“ Morgen, sobald sie von der Wünschelruthe des Omnibuskutschers berührt wurde. Das „Köpenicker Feld“, noch vor zehn Jahren eine menschenleere Wüste, ist zu einer Stadt von 25.000 Einwohnern erwachsen, der Bodenwerth hat sich verzehnfacht, der Steppensand ist auch hier zum Goldsande geworden. Der National-Oekonom wird dereinst mit Zahlen beweisen können, welchen Antheil das Institut der Omnibus an dem wahrhaft wunderbaren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_333.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)