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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Widerspruche zu derselben, und die verschiedenen Lebensverhältnisse der beiden Liebenden traten damals zuerst zu Tage. Er, der Sohn eines vornehmen Frankfurter Bürgers, sie eine arme Landpastorstochter! Darüber hatte freilich die Liebe sich nicht besonnen; die ländliche Ruhe hatte dergleichen Bedenken, selbst wenn sie aufgestiegen waren, bald wieder eingeschläfert. Aber jetzt! – Goethe mochte nicht immer die besten Urtheile über die Erscheinung seiner Geliebten in städtischen Cirkeln zu hören bekommen; das machte ihn empfindlich und zerstörte manche Illusion. „Friederike,“ sagt Schäfer, „war in den Gehölzen von Sesenheim eine Nymphe des Waldes; im Straßburger Salon wurde die Nymphe zur Bäuerin.“ Wenn auch dieser letzte Ausdruck etwas zu stark ist, so ist doch gewiß und von Goethe selbst ausdrücklich erwähnt, daß es ihm bei ihrer Abreise wie ein Stein vom Herzen fiel. Sie ihrerseits fühlte beim Scheiden, daß der Liebesroman zu Ende ging. Er stürzte sich wieder in den heitern Kreis der Genossen, um die quälenden Gedanken los zu werden. Als bald darauf die Zeit kam, wo er Straßburg auf immer verlassen sollte, ritt er noch einmal nach Sesenheim, ihr Lebewohl zu sagen.

„Es waren peinliche Tage,“ schreibt er, „deren Erinnerung mir nicht geblieben ist. Als ich ihr die Hand vom Pferde reichte, standen Thränen in ihren Augen und mir war sehr übel zu Muthe. Nun ritt ich auf dem Fußpfade gegen Drusenheim, und da überfiel mich eine der sonderbarsten Ahnungen. Ich sah nämlich, nicht mit den Augen des Leibes, sondern des Geistes, mich mir selbst denselben Weg zu Pferde wieder entgegenkommen, und zwar in einem Kleide, wie ich es nie getragen, es war Hechtgrau mit etwas Gold. Sobald ich mich aus diesem Traume ausschüttelte, war die Gestalt ganz hinweg. Sonderbar ist es jedoch, daß ich nach acht Jahren in dem Kleide, das mir geträumt hatte und das ich nicht aus Wahl, sondern aus Zufall gerade trug, mich auf demselben Wege befand, um Friederiken noch einmal zu besuchen.“

Im August 1771 verließ Goethe Straßburg, im Juni vorher schrieb er aus dem Sesenheimer Pfarrhause zwei merkwürdige Briefe an Actuar Salzmann in Straßburg, die jetzt auf der dortigen Stadtbibkothck in derselben Schachtel mit den Briefen des unglücklichen Dichters Lenz zusammen liegen, der sich später in Friederike Brion verliebte, ohne aber bei ihr Gehör finden zu können. Denn „wer von einem Goethe geliebt worden ist, kann keinem andern Mann angehören,“ pflegte sie zu sagen.

Möge die Nachwelt, wenn sie Goethe’s Handlungsweise gegenüber Friederiken beurtheilt, die Verhältnisse berücksichtigen! Man bedenke, welche Schwierigkeiten seiner Verbindung mit der Sesenheimer Pfarrerstochter im Wege standen, wie ihm überhaupt eine frühe Verheirathung auf seiner Dichterlaufbahn ein Hemmschuh gewesen wäre, wie es kaum wahrscheinlich ist, daß Friederike in Weimar hätte existiren können, ja wie sehr wahrscheinlich der verheirathete Goethe selbst nie nach Weimar gekommen wäre, was man gewiß als ein Unglück ansehen müßte. Man erwäge, daß ein so gewaltige Kraft in sich fühlender Mann, dem die Welt damals zu enge schien, wohl eine kurze Zeit die Rose am Wege bewundern und lieben konnte, dann aber, zu sich kommend, seinem Stern folgen mußte, der ihm auf immer neuen Bahnen voranleuchtete. Ruhe im Schooß der Liebe konnte Schluß, aber nicht Anfang des Schaffens eines Titanen sein, der die zwölf Arbeiten noch ungethan vor sich sah. Wir wollen uns an das Wort Victor Hugo’s erinnern, wonach man auf Heroen nicht das Maß gewöhnlicher Menschen anwenden dürfe, und also lassen wir Goethe Verzeihung angedeihen; die Wehmuth aber, die uns unwillkürlich beschleicht, wenn wir Friederikens gedenken und das zerstörte Verhältniß uns vergegenwärtigen, sei eine dem tragischen Mitleid vergleichbare; sie trage die Versöhnung in sich selbst! –

Lewes, der bekannte Verfasser einer vortrefflichen englischen Darstellung von Goethe’s Leben, erzählt Friederikens spätere Schicksale nicht. Wir führen sie hier an, aus guter Quelle, zum Theil aus Mittheilungen von Personen schöpfend, die Friederiken persönlich gekannt. Wie oben schon angedeutet, kam der Dichter Reinhold Lenz ein Jahr nach Goethe’s Entfernung in die Nähe von Sesenheim, und Friederike flößte ihm heftige Leidenschaft ein, die aber zu keinem Ziele führen konnte, schon deshalb, weil Lenz gar nicht der Mann dazu war, irgendwie etwas Dauerndes zu gründen. Er war eine wirre, dämonische Natur, und sein Lebensschicksal, das wir hier nicht verfolgen können, ließ ihn keinen häuslichen Heerd bauen. Er starb in schwermüthigem Wahnsinn, am 24. Mai 1792. – In den Herbst 1779 fällt jener Besuch Goethe’s bei Friederike, den der Dichter, wie oben angeführt, geahnt und als Vision vorausgesehen haben will. Goethe begleitete damals seinen Herzog auf einer Schweizerreise; er fand seine Geliebte, wie er schreibt, „wenig verändert, noch so gut, liebevoll und zutraulich, wie sonst, gefaßt und selbstständig. Der größte Theil der Unterhaltung war über Lenz.“

Friederike lebte noch bis zum Jahr 1813; anfangs in Rothau im Steinthal, wo sie mit ihrer jüngsten Schwester Sophie mehrere Jahre eine Mädchenschule leitete und einen Kramladen hielt. Durch Familienverbindungen wurde sie später Gesellschafterin in einem befreundeten Straßburger Hause – Rosenstiel –. Als der Herr des Hauses zu Anfang der französischen Revolution in diplomatischen Geschäften verwendet wurde, begleitete ihn seine Familie und auch Friederike nach Paris und Versailles. Später war sie bei ihrer Schwester und deren Mann, dem Pfarrer Marx, zuweilen auf Besuch in Diersburg, dann ständig seit dem Jahre 1805 in Meißenheim, einem drei Stunden von Lahr in Baden entfernten Dorfe, bei ihrer Nichte und deren Gatten, Pfarrer Fischer. Noch ist daselbst ein Albumblatt vorhanden, welches sie ihrem Neffen, Pfarrer Fischer, schrieb und das also lautet:

Durchwandle froh die Bahn des Lebens,
Dein Loos sei stets Zufriedenheit,
Kein Wunsch von Dir sei je vergebens,
Und die Erfüllung sei nie weit.

Meißenheim, den 14. October 1807.

 Dies aus dem Herzen Ihrer Sie liebenden Tante,
 Friederike Brion.

So fand Friederike in sich und in ihrer regen, opferfreudigen Theilnahme an dem Glücke Anderer einen schönen Frieden und ein nützliches Leben, welches keineswegs als ein Verlornes, sondern im Hinblick auf seine höhere Bestimmung vielmehr als ein erfülltes zu betrachten ist. Die Geliebte des glücklichsten und des unglücklichsten Dichters deutscher Nation starb am 3. April 1813, Nachmittags 5 Uhr, im Alter von ungefähr 58 Jahren, wie aus dem Kirchenbuch zu Meißenheim hervorgeht. Ihr Grab wird vergebens gesucht. Kein Stein, kein Kreuz bezeichnet es. – Es sind nun drei Menschenalter vorübergegangen seit jenen Tagen, wo Goethe mit seiner Geliebten durch Sesenheim’s Gefilde wallte; aber noch entsinnen sich die einfachen Bewohner des Dorfes gar wohl des Herrn Goethe und haben ihre eigene Tradition über jene Zeit bewahrt. Der Verfasser vorstehender Zeilen ist im Stande hierüber Näheres mitzutheilen, indem er im Frühling des verflossenen Jahres, am 13. April, Sesenheim besuchte.

Das anmuthige Dörfchen liegt sieben Stunden von Straßburg entfernt. Der Besucher, dem es nicht möglich ist, wie Goethe, zu Pferd zu dem Orte zu gelangen, thut am besten, wenn er mit der Eisenbahn bis Bischweiler fährt; von da befördert ihn ein Botenwagen nach Sesenheim. So machte ich’s; den Rest des Weges jedoch ging ich zu Fuß, um allein und in würdiger Sammlung in das liebe Dorf einzuziehen.

Die Sonne war schon untergegangen, aber die Luft war lind, wie an einem Maiabend. Am westlichen Himmel glänzte noch da, wo dunkle Wolken auf den fernen Vogesen aufzuliegen schienen, ein heller Streif, wie flüssiges Gold; vor mir – Sesenheim liegt gegen den Rhein, nordöstlich – war es schon Nacht. Vom Dorfe konnte ich daher nichts sehen, bis ich ganz nahe war. Der Weg führt rechts an einem großen Weiher vorüber, Erlen und Pappeln ziehen sich längs der Straße hin. Auf einmal klang durch die Luft ein Ton, der mich wundersam rührte, die Abendglocke von Sesenheim! Zugleich sah ich auch die ersten Häuser des Dorfes, zwischen blühenden Bäumen versteckt, und ein Rauch war über dem Dorf und hoch vom Himmel blinkten die Sterne herab. Das Glück führte mich in die Herberge zum Anker. Der Wirth derselben heißt Michael Heintz und seine Großmutter mütterlicher Seite, Anna Maria Vix, war die Pathin Friederikens. Dies Alles erfuhr ich natürlich erst später; zunächst erkundigte ich mich nach einem Nachtlager, dann setzte ich mich unter die Bauern und aß zu Nacht. Der Wirth leistete mir Gesellschaft und äußerte seine Verwunderung über meinen Besuch in Sesenheim, setzte aber sogleich hinzu: „Am Ende kommen Sie wohl wegen dem Herrn Goethe.“ Als ich dies bejahte, stellte mir der Wirth einen bejahrten Bauer, –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_331.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)