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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Alphabets nebst einem Wiederholungszeichen und Punkt bezeichnet sind, ferner für den Schreiber (des Telegramms) ein ähnliches Gestell, dessen 27 Zapfen ähnlich bezeichnet sind, wie die Abbildung zeigt.

Montag, den 28. August 1809. „Ich zeige meinen elektrischen Telegraphen in der Sitzung der Akademie vor. Gegenwärtig waren: Jacobi, Schlichtegroll, Krenner, Pallhausen, Niethammer, Martini, Reichenbach, Neumann, Gehlen, Moll, Ritter, Ellinger, Pezzl, Flurl, Güthe und Imhoff.“ Welche gewichtigen Zeugen für den deutschen Ursprung einer solchen Erfindung, – der trotz dieser deutschen Akademie so gründlich aus dem Gedächtniß der Zeitgenossen im Vaterland verschwinden sollte!

Im Herbst dieses Jahres 1809 war es, wo Napoleon mit seinem Leibarzt, Baron Larrey, nach München kam. Durch letztern, einen Verehrer Soemmerring’s, gelangte, wie wir im Eingang erzählten, der neue Telegraph zur Kenntniß des französischen Kaisers.

Napoleon war nicht der einzige Zweifler an der Ausführbarkeit dieser „Idée germanique“; er fand auch hierin bei den Landsleuten Soemmerring’s den eifrigsten Beistand. Ein Herr Premierlieutenant Prätorius erklärte, noch ehe in den Denkschriften der Münchener Akademie die Darstellung der Apparate mit den Abbildungen veröffentlicht war, die ganze Sache für eine paradoxe Idee, die wohl nur einem Scherze ihren Ursprung verdanke. Das geschah in Gilbert’s Annalen und unter der Ueberschrift: „über die Unstatthaftigkeit der elektrischen Telegraphen für weite Fernen.“ –

Aber auch die wissenschaftlichen Zeugen für die Erfindung mehrten sich. Trotz der Abneigung Napoleon’s gegen dieselbe, legte Larrey den Apparat in einer Sitzung des Instituts von Frankreich am 5. December 1809 vor, und es wurde eine aus Biot, Carnot, Charles und Monge bestehende Commission zur Berichterstattung darüber ernannt. Der Bericht selbst ist zwar nicht vorzufinden, aber Biot hat die Belohnung Morse’s in Paris noch mit erlebt und dasselbe Stillschweigen dazu beobachtet, wie so viele Männer der Wissenschaft in Deutschland.

Noch mehr geschah für das Bekanntwerden der Erfindung im Jahre 1811. Jetzt erst erschien der Band der Denkschriften der Münchener Akademie, welcher Beschreibung und Zeichnung der Apparate enthielt. – Im Juni dieses Jahres wird zuerst des Kais. Russ. Staatsraths Barons Schilling von Cannstadt Erwähnung gethan, durch welchen die Kunde der Erfindung nach Rußland kam. Nachdem derselbe gemeinsam mit Soemmerring viele neue Versuche gemacht, u. A. den, den elektrischen Strom durch fließendes Wasser (durch einen Canal und längs der Ufer der Isar) zu führen, nahm er einen ganz nach Soemmerring’s Plan in München verfertigten Telegraphen mit nach Petersburg. Hier wohnte Kaiser Alexander selbst dem Versuche bei, mittels eines durch die Newa geleiteten Drahts eine Kanone der Peter-Pauls-Festung auf das Commando des Kaisers durch den elektrischen Funken abzufeuern. An eine Ausführung in’s Große dachte man jedoch nicht.

Elektrischer Telegraph von Soemmerring.
A Voltaische Säule, deren Pole durch zwei Leitungsdrähte mit B¹, dem Telegraphen des Schreibers, verbunden sind. B² die vordere und B³ die obere Seite desselben. Bei B² stecken die mit beiden Polen der Säule durch Drähte verbundenen zwei Zäpfchen auf den durchlöcherten Stiften B³, welche zu den 24 einzeln isolirten zum Leitungsziel E verbundenen Drähten führen. In C¹, dem Telegraphen des Empfängers, endigen diese in 24 Goldspitzen, welche in dem Boden des mit Wasser gefüllten Glastroges C³ befestigt sind, an denen die sich entbindenden Gasströme die auf B¹ vom Schreiber bezeichneten Buchstaben dem Empfänger angeben. Soll der Wecker D den Empfänger aufmerksam machen, so steckt der Schreiber die zwei Zäpfchen bei B¹ auf die Stifte B und C, wodurch, wie C² zeigt, an den entsprechenden zwei Goldspitzen Gas entwickelt wird, welches den Löffel in die Höhe hebt, der am Ende eines gebogenen Hebels bei C¹ auf dem Glaskasten über B und C beweglich angebracht ist. Er kömmt dadurch in die bei C¹ punktirte Lage, das am anden Ende aufgesteckte Bleikügelchen fällt durch den Trichter auf die Schale des Weckers D und löst ihn aus, daß er zu schlagen anfängt.

Der im Mai 1811 aus Paris zurückgeschickte Apparat hatte die Ehre, die Erfindung Soemmerring’s auch vor den dritten Kaiser Europa’s zur Parade zu bringen. Ein russischer Graf Potocki ließ denselben am 5. Juli in Wien vor Franz I., der Kaiserin und den Erzherzogen Karl und Johann operiren. Seine Majestät waren „enchantirt“ und wünschten sich einen solchen Telegraphen zur Verbindung von Wien und – Laxenburg. Selbst dieser bescheidene Wunsch blieb unerfüllt.

Am meisten schien Dalberg, der damalige Großherzog von Frankfurt, die interessante Neuigkeit zu würdigen, denn er überraschte Soemmerring dafür mit einem sehr ehrenden Schreiben und einer goldenen Medaille mit seinem Bildniß. Auch anderswo, in der Schweiz und in Holland, fand der Apparat laute Anerkennung.

Trotz aller dieser Zeichen von der erkannten Wichtigkeit der Erfindung blieb sie eine wissenschaftliche Rarität ohne praktische Anwendung; selbst der berühmte Mathematiker und Astronom Gauß in Göttingen, der im April 1815 ihretwegen nach München reiste, schien ihr damals noch keine andere Bedeutung verschaffen zu können.

Weil nun weder die drei Kaiser, noch die übrigen intelligenteren Fürsten, noch die Gelehrten des Continents dem großen Werke Soemmerring’s die ihm gebührende Bahn zu eröffnen verstanden hatten, so suchte endlich auch Soemmerring sein Heil in England. Er übergab am 15. Mai 1816 dem damaligen englischen Legationssecretair Sir Lyonel Harvey in München einen Telegraphen mit einer ausführlichen Abhandlung für Humphrey Davy, den größten Chemiker Englands. Die Sendung kam jedoch zurück, angeblich weil die englischen Zollbehörden dem Apparat den Eingang verweigerten! – – Eine zweite Zuschrift an Harvey, der indeß britischer Gesandter in München geworden war, datirt vom 20. Mai 1819 und schließt mit den denkwürdigen Worten: „Ich übergebe meine Erfindung mit allem Vertrauen der tiefen Kenntniß, dem unparteiischen, nachsichtigen und edlen Charakter Sir Humphry Davy’s in der Ueberzeugung, daß unter seinem Schutze dieser elektrische Telegraph nicht nur manche Verbesserungen gewinnen, sondern sehr bald zur höchsten Vollendung und zum beständigen Nutzen Großbritanniens gediehen sein wird.“ Und an Davy selbst schrieb er: „Sie werden es vielleicht noch erleben, daß der Telegraph durch den Canal geführt wird.“ So sicher blickte Soemmerring in die Zukunft seiner Erfindung.

Doch auch dieser Schritt blieb ohne Erfolg. Im folgenden Jahre wurde Oerstedt’s, des großen dänischen Physikers, Entdeckung des Elektromagnetismus bekannt, den der oben genannte Baron Schilling v. Cannstadt sofort zur Construirung eines elektromagnetischen Telegraphen (mit zwei Leitungsdrähten) benutzte. In dem selben Jahre siedelte Soemmerring von München wieder nach Frankfurt am Main über, wo er am 2. März 1830 starb.

Der Mann war todt, sein Werk konnte nicht untergehen, – aber sein Name konnte von diesem Werke getrennt, verschwiegen und endlich sogar vergessen werden.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_319.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)