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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

genossen, das die Alpen je zu bieten vermögen, und wie oft ich später die Berge bestiegen, es ist mir nie wieder zu Theil geworden. Wie heut, währte auch damals das Alpenglühen in seiner reichsten Pracht kaum zehn Minuten, – ein rechtes Bild von der Vergänglichkeit des Schönsten auf dieser Erde.“ –

Wir waren mittlerweile bei der Wohnung des Malers angelangt. Er verabschiedete sich mit den Worten: „Ich kenne noch ein Feuer- und Farbenspiel, das dem Alpenglühen an die Seite gestellt werden kann: das Meeresleuchten, namentlich in unsern nordischen Gewässern. Auch dabei gehöre ich zu den Glückskindern, indem ich eines der schönsten vor einer Reihe von Jahren auf der Insel Helgoland erlebte.“

„O, davon müssen Sie uns erzählen,“ baten Albertine und Sophie aus einem Munde.

„Sobald wir wieder im Gärtchen an der Saalach sitzen,“ verhieß der Maler, „soll es mit Vergnügen geschehen. Für heute aber wollen wir dem Himmel danken, daß er uns eines so prachtvollen Alpenglühens würdigte.“




2.

Wieder saßen wir in Oberbaiern am grünen Ufer der Saalach, deren geschwätzige Wellen sich liebliche Märchen erzählten aus den Heimathbergen Tyrols; wieder ruhte die Riesenpyramide des Hochstaufen im tiefsten Blau, und die Berge im Abend begannen ihre Schatten über die grünen Matten zu legen. Albertine hielt einen frischgepflückten Strauß Edelweiß in der Hand und betrachtete sinnend diese von der Poesie der Berge reichumklungenen weißsammtnen Sternenblumen.

„Erzählt mir doch, ihr weißen Blüthen,“ sprach das schöne Mädchen, „wie hoch seid ihr gewachsen auf wolkenthronenden Bergen, vielleicht umstarrt von Schnee und Eis?“

„Dieses Gnaphalium leontopodium,“ begann der gelehrte Bruder, „liebt allerdings die höchsten Berge. Dies möchte sein; auch die Rosa alpina thut dasselbe; aber das Gnaphalium ist die Sirene unter den Blumen der Alpenwelt. Es blüht fast nur an den abschüssigsten und gefährlichsten Stellen. Ich kann diese Blume daher nie ohne einen gewissen Schauer betrachten. Es sind mir zu viele traurige Geschichten davon bekannt worden. Wie mancher junge Wagehals stieg seiner Traudi, Walli, Elsi zu Liebe nach dieser Blume in die Wolken, und man fand seinen Körper, die Hand voll Edelweiß, zerschmettert im Abgrunde.“

Der Maler erklärte den Schwestern, daß es seit urdenklichen Zeiten unter den jungen Burschen Sitte, ihre Schätze mit Edelweiß zu beschenken, als einen Beweis ihres Muthes und ihrer Liebe. Je schöner das Edelweiß, desto größer der Muth, desto stärker die Liebe; denn das schönste Edelweiß wächst eben an den höchsten und gefahrvollsten Stellen. Da gehöre es denn nicht zu den Seltenheiten, daß Einer oder der Andere „abfalle“, wie das Verunglücken in den Bergen hierorts genannt werde.

„Das sind traurige Geschichten,“ fiel Albertine ein; „erzählen Sie lieber vom Meeresleuchten, wie Sie es versprochen.“

„Recht gern bin ich hierzu bereit,“ versetzte der Angeredete; „nur muß ich wohl zu bedenken geben, daß ich nur von dem Meeresleuchten, wie solches sich zuweilen in der Nordsee zeigt, berichten kann. Diese, so zu sagen, geisterhafte Naturerscheinung entfaltet aber ihre höchste Pracht nur in den Meeren der heißen Zone.“

Der Göttinger Docent warf die Bemerkung dazwischen: „Die Ursachen des Meerleuchtens sind in neuer Zeit so gründlich erörtert, daß alle früher darüber aufgestellten und oft sehr wunderlichen Hypothesen sich als unhaltbar erweisen.“

Die Damen wurden ungeduldig über die wissenschaftliche Discussion, die sich zu entspinnen drohte, der Maler fuhr daher fort: „Mehrere Wochen schon lebte ich auf der Insel Helgoland. Ich hatte mir auf dem Oberlande in einem idyllisch umgrünten Häuslein, dessen blankgescheuerte Fenster freundlich blitzten, ein niedliches mit holländischer Sauberkeit ausgestattetes Stübchen gemiethet. In dem Gärtchen davor blühten noch wunderschön die Centifolien, und von dem kleinen Altan vor dem Hause genoß man die prachtvollste Aussicht über das Meer. Dieser umrankte und umblühte kleine Altan war ein reizendes Plätzchen. Wie oft saß ich hier an schönen Abenden, wenn das Meer wie eine endlose Wüste, oder, poetisches, wie eine blaue Krystallblume, deren Mittelpunkt und Herzblatt die grüne Insel, vor mir lag und von dem Conversationsgarten des Unterlandes die böhmische Capelle ihre lieblichen Weisen ertönen ließ! Wie klang das so bezaubernd über die Wellen, während am fernen Horizonte auf der großen Straße von Deutschland nach England die Segel wie weiße Schwäne, im Golde der Abendsonne, still dahinzogen!

Ueberhaupt hatte ich während meines Aufenthaltes keine Gelegenheit verabsäumt, die Naturschönheiten und Merkwürdigkeiten des interessanten kleinen Insellandes kennen zu lernen. Wie oft hatte ich am alten Feuerthurme gesessen und hinausgeschaut über das brandende Meer, wenn im ewigen Sichneugebären die graugrünen Wasserberge mit ihren Schneekronen daherkamen, ihre tausendjährige Wuth an dem kleinen Felseneilande auszulassen, und ihr zorniger Schaum hochaufgeworfen ward an den zerklüfteten Wänden der Ostseite! Und wieder welch ein Frieden, wenn ich auf der Bank am Südcap saß und die Sonne begraben ward, golden und schön im blauen Meer – wenn dann der Mond hervorlauschte, erst verschwimmend und bleich, aber allmählich siegessichrer hervortrat und in Silberpracht und Sabbathstille seine kühlen Strahlen sandte über das weite nächtliche Meer – wie dann die weiße Düne wie eine Geisterinsel herüberschimmerte in magischem Lichte!

All diese erhabenen und prachtvollen Bilder waren vorübergezogen und hatten einen unverlöschlichen Eindruck in meiner Seele zurückgelassen, und nur das Eine, wie oft ich während meines Aufenthalts davon hatte erzählen hören, sollte mir vorenthalten bleiben. Es war das – Leuchten des Meeres.

Ich hatte die Farbenpracht des Meeres in all ihren zahlreichen Schattirungen zu beobachten Gelegenheit gehabt, vom graugrünen Malachit bis zum prachtvollsten Smaragd, vom tiefsten Amethyst bis zum holdesten Himmelblau, – aber das Meer aufleuchten zu sehen in nächtlicher Stunde, diese Sehnsucht war immer unerfüllt geblieben.

Wie oft war ich, von Helgolander Schiffern veranlaßt, in einem Boote zu nächtlicher Stunde hinausgefahren! Sobald nämlich der verdienstlustige Helgolander auch nur die entfernte Hoffnung hat, daß Meerleuchten eintreten könne, ladet er den fremden Besucher der Insel gern zu einer Wasserpartie ein für Billiges. Meine Erwartung bei diesen Fahrten war aber auch hinter den bescheidensten Wünschen zurückgeblieben. Höchstens, daß hier und da einmal ein vereinzelter heller Tropfen sichtbar wurde, sobald das Ruder die Wellen berührte.

So saß ich eines Abends bei einem Fläschchen Pale Ale in der freundlichen Restauration zum „Fremdenwillkommen“ und studirte die Hamburger Börsenhalle, als plötzlich ein Bremer Freund hastig und mit den Worten „prächtiges Meeresleuchten!“ in’s Zimmer trat. Wie durch einen Zauberruf freudig aufgeschreckt, sprang ich empor, und wir eilten nach dem Strande. Zahlreiche Gruppen hatten sich hier bereits eingefunden.

Es war die weichste, wohligste Augustnacht des ganzen Sommers; eine wahrhaft italische Milde ruhte über Land und Meer. Der Himmel strahlte in reicher Sternenpracht, und von Deutschland herauf zog ein Gewitter mit beständigem Wetterleuchten. Im Hintergrunde lag Helgoland mit seinen erleuchteten Hotels des Oberlandes. Der „rothe Felsen“, wie dies Inselland von den Eingeborenen genannt wird, wurde fast ununterbrochen vom Blitze erhellt; und damit die Kunst hinter der Natur nicht zurückbleibe, ließen ein paar Engländer auf dem Südcap zur Rechten Raketen und buntfarbige Leuchtkugeln steigen, untermischt mit bengalischen Flammen, welche die nächste Umgebung magisch beleuchteten.

Ununterbrochen stießen Boote mit heitern Gesellschaften vom Ufer und andere kamen an. Doch was war das?! Welche nie erlebte prächtige Erscheinung?! Jede Welle, sobald sie dem Ufer nahte, verklärte sich zu einem Silbergürtel, der sich wie ein kostbarer Brillantschmuck an das Ufer legte, wo er einige Secunden glänzend aufleuchtete und dann erlosch. Es war wie Zauberei.

Ich hielt anfangs den Brillantschmuck für optische Täuschung; doch so wie ich mich bückte und darnach faßte, behielt ich die ganze Hand voll Silber und silberne Tropfen fielen glänzend zur Erde.

Dieses ebenso ungewohnte wie reizende Schauspiel gab bald Veranlassung zu den interessantesten Scherzen. Herren und Damen bewarfen sich verschwenderisch mit flüssigem Silber und Brillanten, die eine Zeitlang an den Kleidern fortleuchteten. Mein Bremer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_313.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)