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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Lieschens Gesicht war wirklich mehr als hübsch, es war schön, in seiner Regelmäßigkeit und edlen Form, und die dunkelbraunen Augen funkelten den an, mit welchem sie sprach, als ob es ein paar Brillanten gewesen wären. Wundervolles kastanienbraunes Haar hatte sie auch, und wußte es auf eine gar so geschickte Weise zu tragen. Mutter Barthold hatte sich schon den ganzen Morgen im Stillen den Zopf angesehen, um nur heraus zu bekommen, wie er geflochten und aufgesteckt wäre. Dabei war ihr Benehmen, wenn auch immer mädchenhaft, doch frei und ungezwungen, was sie jedenfalls in der Stadt gelernt hatte, und wenn sie lachte, zeigte sie zwei Reihen Zähne, wie Perlen, so regelmäßig und weiß.

Es war ein „wahres Prachtmädel“, wie der alte Barthold bei sich meinte. Wahrhaftig, er konnte es seinem Sohne nicht verdenken, daß er sich die zur Frau gewählt. Aber zu seinen Beobachtungen wurde ihm auch nicht lange Zeit gelassen, denn der Traubenwirth, der in derlei Dingen außerordentlich gewandt war und einen prächtigen Humor hatte, stand auf und brachte mit so künstlich und komisch gesetzten Worten einen Toast auf den Vater Barthold und auf die Mutter aus, daß sich Alle am Tisch halbtodt darüber lachen wollten. Und dann klangen die Gläser zusammen, und der feurige Ungarwein stieg der kleinen Gesellschaft bald in’s Blut und brachte Leben selbst in die Ruhigsten. Sogar Katharine, die sonst nie derlei starke Getränke berührte, hatte ein volles Glas davon geleert, weil sie mit Hans und dem auf ihrer anderen Seite sitzenden Traubenwirth ein paar Mal, erst auf den Vater, dann auf die Mutter und dann auf die Brautleute, anstoßen mußte – und zurückstehen konnte sie doch nicht bei einer solchen Gelegenheit. Wenn sie aber auch still blieb, bekamen doch ihre Wangen einen rötheren Schein und ihre Augen einen höheren Glanz, und der alte Barthold, der das bemerkte, nickte ihr freundlich zu und rief über den Tisch hinüber: „So recht, Kathrine, zeig den Leuten auch einmal, daß Du in Ungarn gewesen bist und seine Weine trinken kannst. Heute ist unser Ehrentag, und da muß Alles fidel und lustig sein.“

Hans besonders war ganz glücklich über seine wunderhübsche Braut. So gut hatte sie ihm noch gar nicht gefallen, wie heute Abend, und er konnte sich nicht satt an ihr sehen. Jedes Stückchen, das sie an sich hatte, musterte er, und dann mußte er ihr immer wieder in die dunklen Augen schauen. Wie die blitzten und funkelten!

„Wo hast Du denn die schöne Rose her?“ frug er sie da einmal, und zeigte auf die Blume, die sie vorn an der Brust trug. „Es ist schon so spät im Jahre; in unserem Garten blühen schon lange keine Rosen mehr.“

„Die hab’ ich geschenkt bekommen,“ sagte Lieschen neckend. „O, andere Leute können auch galant gegen mich sein.“

„So?“ lachte Hans, „wohl von dem jungen Herrn, der da neulich an der Treppe bei Dir stand?“

„Und wenn’s von dem wäre?“ frug Lieschen und sah ihn dabei gar so schelmisch an, „wärst Du eifersüchtig?“

„Nein,“ sagte Hans treuherzig, „wenigstens auf den geschniegelten und gebügelten Burschen noch lange nicht. Aber Du brauchst die Rose gar nicht,“ fuhr er leiser fort, „Deine Backen haben ein viel schöneres Roth, Du siehst gar so hübsch aus, Lieschen.“

Lieschen wurde jetzt noch viel röther, als die Blume war, und dann flüsterte sie Hans etwas zu, worüber dieser lachte, und nachher lachten sie Beide mit einander und plauderten den ganzen Abend.

Am schlechtesten kam eigentlich die arme Katharine dabei weg, denn um die kümmerte sich Niemand. Hans, ihr Nachbar zur Rechten, schwatzte natürlich nur mit seiner Braut, und der Wirth an ihrer Linken hatte soviel mit seiner Nachbarin, der Mutter Barthold, und dem alten Barthold zu reden, daß er an das stille Mädchen neben sich auch nicht denken konnte. Freilich durfte sie auch nicht immer sitzen bleiben und mußte viel aufstehen, um bald dies, bald Jenes zu besorgen, und da war es denn recht gut, daß sie Niemand vermißte. Unbemerkt stand sie von ihrem Platz auf, unbemerkt nahm sie ihn wieder ein, und so wurde auch Niemand dadurch gestört.

So lange blieben sie aber am Tische sitzen und so spät wurde es an dem Abend, bis sie Alles gesehen und besprochen hatten, daß Barthold unter keiner Bedingung zugab, sie dürften heute noch an den Heimweg denken. Ja, wenn es andere Leute von Wetzlau gewesen wären, denen hätte er den Heimweg im Dunkeln schon gegönnt, aber seine künftige Schwiegertochter und ihre Eltern wollte er nicht daran wagen, und so gern der Traubenwirth heut Abend noch zu Haus gewesen wäre, er durfte eben nicht fort.

Und was für Betten machte die Mutter jetzt, mit Katharinens Hülfe, für die lieben Gäste zurecht, eine wahre Welt von Federn, jedes einzelne, daß einem ordentlich der Athem ausging, wenn man hineinsprang und darin versank! Ein anderer Mensch als ein deutscher Bauer hätte auch gar nicht darin schlafen können. Aber der Ungarwein half, und Punkt zehn Uhr lag Alles in tiefer Ruhe.

(Fortsetzung folgt.)




Ein deutscher Volkstribun und Dichter.
Von Moritz Hartmann.

Die deutsche Volkspartei, und speciell die würtembergische, hat eine bedeutende, eine treue und unermüdliche Kraft verloren: sie hat in Ludwig Seeger einen Mann eingebüßt, der für bessere Zeiten zu einem Volkstribun des Stoffes viel in sich hatte. Die deutsche Wissenschaft verlor in ihm einen jener Wenigen, jener Seltenen in Deutschland, die sie aus Wust und Moder der Studirstube, aus Bücherstaub und Formelkram, trotz ihrer vom Stubenhocken eingeschlafenen Beine in’s frische, freie Leben hinauszuführen verstehen, sie mit Menschen menschlich reden lehren und aus ihr machen, was sie sein soll: eine Lehrerin und Wiederbeleberin des Volkes. Die deutsche Literatur verlor in ihm einen würdigen Schüler Uhland’s und würdigen Schüler der Zeit, einen Fahnenträger, einen von denen, von welchen geschrieben ist: Schlage die Trommel und fürchte Dich nicht! Wir dürften, von Ludwig Seeger sprechend, à la Ludwig Börne anfangen: Ein Eichenbaum ist gestürzt, eine Keule zertrümmert, ein Donner verhallt, ein Stahl zersplittert, eine Schanze gefallen, eine Trompete verklungen, ein Schlachtgesang verstummt, ein Liedeslied verweht. –

Es war ein harter, ein betäubender Schlag, als es am 22. März in Stuttgart hieß: heute Morgen ist Ludwig Seeger gestorben! Dieser Mann, der aussah, als ob man sich hinter ihm verstecken könnte, der im Bewußtsein seiner Lebensfülle immer behauptete, daß er es wohl auf ein Jahrhundert oder nahezu bringen werde, dieses Bild der Kraft, ja der Ueberkraft, dieser derbe kerngesunde Geist, dieser weithin tönende, in Philippiken donnernde oder in Witz lachende Mund, diese vielen und großen Entwürfe – Alles, Alles auf einmal hin. Heimtückisch und boshaft, wie so oft, kam diesmal der Tod, gerade als der Mann in der Fülle seiner Kraft, mit frischem Muthe und neu auflodernder Vaterlandsliebe an neue Unternehmungen und neue Thaten ging. Zu allen Zeiten rüstig, rührig, von außerordentlicher Ausdauer und keine Mühe von sich weisend, übertraf er sich selbst gerade in der letzten Zeit seines Lebens, da er in der Kammer, im Schleswig-Holstein-Comité zu Stuttgart, im Sechsunddreißiger-Ausschuß zu Frankfurt, in den verschiedensten Versammlungen für’s Vaterland wirkte, während er in der Stille seiner Studirstube als Publicist arbeitete und zugleich das ungeheuere Werk, den ganzen Shakespeare in neuem deutschen Gewand der deutschen Nation vorzuführen, mit liebevollem und riesigem Fleiße förderte.

Von der Arbeitsamkeit dieses Lebens hat Niemand eine Vorstellung, dem nicht ein Blick in die geheime Werkstatt desselben vergönnt war. Man weiß, was es bedeutet, den ganzen Aristophanes, den unübersetzbaren Beranger, den fruchtbaren Victor Hugo zu verdolmetschen und zwar so, wie es vor Seeger Keiner gethan; aber Wenige wissen, daß vor wie nach dem März 1848 Ludwig Seeger überall, überall mit thätig war, wo es galt, der kreißenden Mutter Zeit bei neuen Geburten zu helfen. Das kleinste Blättchen, das sich Mühe gab, Ideen der Freiheit und Volksthümlichkeit, in seinem engen Kreise zu verbreiten, war der Hülfe seiner leichtverständlichen, eindringlichen Beredsamkeit eben so sicher, wie die

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