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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Blätter und Blüthen

Baierische Jäger und Wildschützen. Seit undenklichen Zeiten haust in unserem Hochgebirge ein unbarmherziger Kampf zwischen Jägern und Raubschützen. Nicht Rache und Nothwehr nur führen zu einem oft blutigen Ausgang, – es ist ein wahrhaftiger Erbkrieg, der mit traditionellem Zorn und jägerischer Leidenschaft geführt und dauern wird, so lange noch eine Gemse über den Schnee springt. Dabei glauben sich beide Theile im zweifellosen Rechte, was sie mit all der rücksichtslosen Entschlossenheit des altbaierischen Charakters vertheidigen. Der Eine vermeint sich in seinem Naturrechte schwer verletzt, weil er dafürhält, „das Wild sei ein allgemeines Ding, was nur der liebe Gott ernährt, und woran Niemand durch Wart’ und Pflege sich ein besonderes Anrecht erworben, und es gehöre Allen gemeinsam wie Luft und Wasser!“ Der Andere hält mit soldatischer Unbedenklichkeit am positiven Recht und übt einfach seine Pflicht, wie es einem tapferen und treuen Manne zusteht. Reue und Gewissensscrupel sind dabei nicht gebräuchlich.

So erzählte mir ein alter Jäger gelegentlich, daß er einmal lange am Schusse eines Wilddiebes darnieder gelegen, den er wohl gekannt, aber nicht angezeigt habe, weil er dies für unnütz und die Selbsthülfe sicherer hielt, und schloß endlich sehr lakonisch mit den Worten: „Auf d’letzt hab’n ihn halt doch d’Füchs noch g’fressen!“ Ein Anderer bekam gleich beim Eingang in den Wald aus einem Hinterhalte einen Streifschuß an der Wange. Rasch besonnen, riß er sein Gewehr herunter und streckte den davoneilenden Thäter nieder. Als er zu ihm hinging, um sich gleichsam kurz zu entschuldigen, daß er nach solchem Vorgang nicht wohl anders gekonnt habe, sagte dieser: „Halt’s Maul! jetzt ist’s schon einmal nicht anders! Hol’ mir lieber geschwinde den Herrn!“ (d. h. den Geistlichen.) Er sei nun auch über Hals und Kopf in’s nächste Dorf gelaufen und habe den Pfarrer geholt; als sie aber zurückkamen, fanden sie den Verwundeten bereits todt.

Der Jäger bedauerte durchaus nicht diesen selbstverständlichen Ausgang, sondern nur, daß er sich vergeblich abgehetzt habe und der Bauer doch ohne Beichte und Absolution gestorben war. Es mag von Humanitätswegen sehr viel gegen diese Zustände vorzubringen sein, die Hauptbetheiligten kümmern sich aber wenig darum und lesen auch die Oelblätter Elihu Burrit’s nicht, und so wird wohl noch manchen Mannes Gebein bleichen im Sonnenschein und Mondlicht droben in der Alpenwüste, ungesehen und unbegraben, bis der ewige Friede eingeführt wird! Man muß es hinnehmen als ein Stück Naturleben, das wie ein wilder Baum seine Schossen lustig hinaus in die freie Luft treibt, über das verstutzte Gestrüpp der Cultur. Es gehört zur Romantik der Berge und ist verwebt in ihr Leben, wie in ihre Sagen und Lieder! Ohne übrigens lange philosophische Betrachtungen anzustellen, will ich einige charakteristische Geschichten erzählen, wie sie dort zu Hunderten bekannt sind und stets mit neuen vermehrt werden. Ich entlehne sie aus dem hübschen Buche: „the chamois hunting in the mountains of Bavaria“ meines Freundes Charles Boner, der sich auf seinen Gemsfahrten viele dergleichen aus dem Munde der Betheiligten selbst hat erzählen lassen.

Der junge Forstgehülfe K. ging einmal – es war im Jahre 1848 – den steilen Bergrücken, die Geidauer Eibelspitz genannt, entlang. Gerade darunter liegt eine einsame Hütte auf einer grünen Alm am Fuße hoher wilder Felsen. Er sah um die Hütte eine Menge Menschen stehen, und als er mit seinem Fernrohr genau hinblickte, konnte er dreiundzwanzig Männer zählen, sämmtlich mit Gewehren. Es waren kurz zuvor zwei Jäger von Wilderern erschlagen worden. Da kam ihm der Jägerzorn und er sann und sann, wie er wenigstens einen Schuß unter die vermaledeite Bande anbringen könnte. Dabei ließ er sie nicht aus den Augen, bis sie sich endlich in Bewegung setzten und einen engen steilen Pfad, der gerade über die Eibelspitz führt, Einer hinter dem Andern, emporstiegen. Er schnitt ihnen nun den Weg ab und legte sich in den Latschen (Krummholzkieferstauden) in den Hinterhalt.

Nach ungefähr einer Stunde hörte er sie zusammen sprechen und bald wurde er ihrer an einer Wendung des Pfades ansichtig. Als der Vorderste auf achtzig Schritte an ihm war, nahm er ihn auf’s Korn und schoß ihn mit dem Büchsrohr seines Doppelgewehres steintodt nieder! Die Bauern prallten zurück, und er hörte sie nun laut und heftig debattiren, was da zu machen sei, ob man umkehren solle oder die Latschen durchsuchen. Einige waren für den Rückzug. Einer aber stellte ihnen lebhaft vor, daß es doch eine Schande sei, so ohne Weiteres davonzugehen! und wenn auch sechs und sieben Jäger in den Latschen versteckt lägen, was wolle das bedeuten gegen ihre Uebermacht, und für zweiundzwanzig Männer sei es ja eine entsetzliche Feigheit, vor so einer Hand voll Feinden zu weichen! Er schloß endlich: „Komme es, wie es wolle, und ob die Anderen ihm folgen würden oder nicht, sie könnten’s halten, wie sie wollten, er aber werde vorwärts gehen!“ und damit schritt er mit gespanntem Hahne gerade auf den Platz los, wo K. versteckt lag. Dieser ließ ihn auf sechszig Schritte herankommen und drückte den linken Lauf auf ihn ab. Der Bauer drehte sich um und um, stand noch einen Augenblick und fiel zu Boden.

Die Bauern kehrten um, K. aber, der nun nichts mehr im Gewehr hatte, huschte so schnell und leise als möglich durch die Latschen zurück, den entgegengesetzten Abhang hinab und schlug den Weg nach Bairisch Zell ein.

Als er an den Steg kam, der dort über einen Wildbach führt, hielt er an, um sein Gewehr zu laden. Es fing bereits an zu dunkeln, und er that deshalb nur in den Büchslauf eine Kugel, in den andern aber auf alle möglichen Fälle einen tüchtigen Schrotschuß. Beim Laden kam ihm der Gedanke, ob die Bauern nicht vielleicht diesen Steg auf ihrem Heimweg passiren müßten und er sie noch einmal mit einer Ladung bewillkommnen sollte; er setzte sich daher auf Schußweite vom Stege in die Büsche.

Er mochte wohl eine Stunde gepaßt haben, als er Stimmen hörte, und bald darauf kam zu seiner Freude die ganze Rotte daher. Es war indeß ziemlich dunkel geworden, und er konnte gerade noch unterscheiden, daß sie Alle Gewehre trugen und also seine alten Bekannten waren. Als sie nun am Eingange des Steges dicht gedrängt aneinander standen, feuerte er mit Schrotschuß mitten in die Rotte hinein. Man kann sich das Erstaunen des Haufens denken, auch da wieder auf den räthselhaften Feind zu stoßen. Der Jäger zog sich aber sogleich ganz sachte rückwärts und ging, ohne sich weiter um etwas zu bekümmern, auf heimlichen Wegen ruhig nach Hause.

Die Bauern laborirten aber noch lange an dem Schrecken, den ihnen der unsichtbare Schütze eingeflößt hatte, und haben wohl noch bis auf den heutigen Tag nicht erfahren, wer es war! K. erzählte es erst seinen Cameraden, als er schon längst aus der Gegend wegversetzt worden war. Uebrigens war nur der, auf welchen der erste Schuß fiel, todt geblieben. Dem zweiten war der Arm zerschmettert, so, daß derselbe amputirt werden mußte; der Schrotschuß hatte zwar einige tüchtig getroffen, sie kamen aber ohne weiteren Schaden davon. Der Gebliebene war der einzige Sohn eines wohlhabenden Bauern bei Schliersee. In der Mitternacht nach dem Vorfall klopfte es bei seinen Eltern an’s Fenster, und eine ihnen ganz unbekannte Stimme rief: „Wenn Ihr Euren Buben sucht, so geht auf die Geidauer Eibelspitz!“

Da fanden sie ihn denn am andern Morgen richtig genug!

Wenn vorstehende Erzählung die Todfeindschaft zwischen Jägern und Wilderern zeichnet, so mag die nachfolgende diesen Groll verzeihlich finden lassen, und die Jäger einigermaßen entschuldigen, wenn sie zuweilen sich gezwungen glauben, wenig Federlesens zu machen.

Zacharias Werner, gewöhnlich kurzweg Zacherl genannt, war einer jener vielseitigen Bursche, wie sie in seiner Heimath oft vorkommen. Er war Zimmermann, Gärtner, Fischer und noch allerlei anderes zugleich, vor allem aber ein unverdrossener Jäger aller Künste. Zur Zeit des Vorfalls war er Jagdgehülfe zu Reichartsbeuern bei Tölz an der Isar. Bei einem seiner gewöhnlichen Pirschgänge kam er an eine der kleinen Heuschoppen, wie sie im Gebirge zerstreut liegen und dem Jäger, oder wer sonst die Nacht über kommt, ein stets bereites Lager bieten. Es war mitten im Sommer und noch gut an der Zeit. Er mochte aber nicht nach Hause gehen, weil er den ganzen Tag kein Wild gesehen hatte und lieber droben übernachten wollte, um mit dem frühesten Morgen sein Glück noch einmal zu versuchen. Er legte sich mit seinem Schweißhunde in’s Heu und schlief bald ein. Nach einigen Stunden etwa weckte ihn das Knurren seines Hundes; er glaubte aber, dieser träume nur, und legte sich wieder zum Weiterschlafen zurecht. Plötzlich hörte er aber ein Geräusch in der Hütte und, ehe er nach seinem Gewehre greifen konnte, war er schon von drei Kerlen gepackt und unter dem Rufe hervorgezogen: „Haben wir Dich endlich einmal, Bursche! Jetzt sollst’ mal sehen, was wir mit Dir anfangen!“ Er erkannte gleich in den Angreifern drei Wildfrevler, welche er zuvor schon einmal gefangen und zur Strafe gebracht hatte.

Wahrend ihn zwei hielten, schlug der dritte mit einem Knittel solange auf ihn los, bis er völlig bewußtlos zusammensank. Als er, von heftigem Schmerz gepeinigt, wieder zu sich kam, waren sie gerade dran, ihn mit ausgespannten Armen und Beinen an die Wand zu nageln. Da sie keine eisernen Nägel hatten, spitzten sie harte Holzpflöcke und trieben sie durch seine Hände und Füße in die Spalten der hölzernen Hüttenwand. Nach dem sie ihn so in bester Form gekreuzigt hatten, gingen sie davon.

„Mein Hund,“ erzählt Zacherl, „verfolgte sie eine Strecke, kam aber bald zu mir zurück, und obwohl ich zu erschöpft war, um viel aufzumerken, so erinnere ich mich doch noch, wie jämmerlich das arme Thier winselte und wie mitleidig es zu mir aufsah! Ich mochte eine gute Weile gehangen haben, da stieg die Sonne langsam über die Berge herauf. Ich freute mich, sie wiederzusehen, wenn auch zum letzten Mal! Das Morgengebet daheim wird wohl mein Sterbeglöcklein sein, dacht’ ich so bei mir, und ich war todbetrübt in meinen Schmerzen und daß ich so elendiglich zu Grunde gehen mußte; und ich dachte an unseren lieben Heiland Jesus Christus und an sein bitteres Leiden! Bald daraus fühlte ich aber nichts mehr, und als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Grase, und sie wuschen mir meine Wunden mit frischem Wasser, vom nahen Quell, aus. Mein Hund hatte durch sein unaufhörliches Heulen und Bellen einen Hirtenjungen herbeigerufen, welcher Hülfe holte. Ich konnte nicht stehen, und ein Paar Holzknechte schleppten mich nach Hause. Nach drei Wochen konnte ich schon wieder ausgehen, und nur meine Hände waren noch sehr geschwollen. Die hölzernen Nägel hatten mir weder Knochen noch Sehnen verletzt und es ist mir nichts geblieben, als die Narben, die ich wohl bis an mein seliges Ende behalten werde. Ich habe dem lieben Gott viel tausendmal gedankt, daß er mich so gnädig errettet hat! Die drei Männer, die mich gekreuzigt, habe ich seitdem oft wiedergeseh’n im Wirthshaus und im Feld. Ich dachte aber: ich will nicht ihr Richter sein! Kommen wir aber noch einmal zusammen, in Berg oder Wald, droben in meinem Gebiete, dann werd’ ich thun, wie ich immer gethan habe!“

Zacherl, beim Volke nur „der gekreuzigte Jäger“ genannt, starb 1848. Er wohnte in seiner letzten Zeit am Starenberger See, und der Verfasser des genannten Buches hat ihn wohl gekannt und sich sein grausliches Abenteuer oft erzählen und seine Wundenmale zeigen lassen.




Der fliegende Holländer. Nach der Seemannssage ist der fliegende Holländer ein Unglücksbote in der Gestalt eines vollständig ausgerüsteten düster aussehenden Schiffes, welches mit vollen Segeln fahrend ebenso plötzlich verschwindet, wie es über dem Horizonte auftauchte. Dem Phänomen, das gewöhnlich in der Nähe des Caps der guten Hoffnung, mitunter auch in andern Meerestheilen stattfinden soll, folgen die furchtbarsten Stürme, aus welchen Schiff und Mannschaft selten entkommen. Die Sage erzählt dann weiter, ein holländischer Schiffscapitain sei, der gegen Standesgenossen und Untergebene verübten Verbrechen halber, für ewige Zeiten dazu verdammt, durch sein Erscheinen dem Seefahrer das ihm drohende Unglück zu verkünden. Daß das räthselhafte Schiff bei seiner Erscheinung nur Unglück im Gefolge haben kann, ist dem Seemann so klar, wie es früher für Jedermann bezüglich der großen Kometen war und selbst im 19. Jahrhundert leider – noch für Viele ist.

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