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gedacht – aber warum verschwieg ich auch meine Ankunft? Ueberraschungen sind gewöhnlich mißlicher Natur. Nach einer Weile kamen die Boten und zwar freudigen Antlitzes zurück. Man öffnete mir Thüren und Thore, führte mich in ein niedliches Zimmer im ersten Stocke und trug mir im Namen des Herrn Manceau irgend eine Labung an. „Wer ist Herr Manceau?“ frug ich; „habt Ihr denn nicht mit Madame Sand gesprochen?“

„Die schläft noch fest,“ war die Antwort; „auch Mr. Manceau schlief, den haben wir aber geweckt. Da er alle Geschäfte des Hauses und der Wirthschaft besorgt, so mußten wir ihm ja Ihren Brief geben. Nun, Sie werden ihn schon beim Frühstück kennen lernen.“

Die liebe kleine Zelle, die mir angewiesen wurde, heimelte mich sogleich an. Alles darin war gar so wohnlich, und zum offenen Fenster drang der Duft blühender Clematis und das Girren der Turteltauben so lieblich herein! Ich warf mich in das reinliche Himmelbett und verträumte ein paar Stunden, bis die Glocke zum Frühstück rief. Das geschah um zehn Uhr – ich eilte in den Salon hinab, wo ich Maurice, den Sohn des Hauses, in einem Kreise mir fremder Leute fand. Er hieß mich freundlich willkommen und stellte mich den Anwesenden vor, unter anderen Herrn Manceau, der sich wegen der Schwierigkeiten entschuldigte, die mir gleich beim Eintritte in das Haus bereitet wurden. – Maurice Sand, den ich vor 21 Jahren als Jüngling verlassen hatte, war nun zum Manne herangereift. An seiner Seite saß sein liebes Weibchen, die Tochter des berühmten Kupferstechers Calamatta, die ihn erst vor wenigen Wochen mit einem Knäblein beschenkt hatte. Auf dem Antlitze der jungen Gatten ruhte der Friede einer glücklichen Ehe.

Schloß Nohant.

Maurice theilte mir mit, daß er die Malerei, seinen ursprünglichen Beruf, jetzt an den Nagel gehangen und ernste Wissenschaft zu seinem Lebenszwecke gemacht habe. Dabei treibe er Schriftstellerei, wozu er sich durch den glücklichen Erfolg von ein paar kleinen Werken aufgemuntert sehe. Nach einer Stunde bewegten Gesprächs trat die Herrin des Hauses, Madame Sand, rasch herein. Sin streckte mir mit unendlicher Freundlichkeit die Hände entgegen, hieß mich herzlich willkommen und fügte dann hinzu: „Armer Freund, Sie haben durch die Hände der Kerkermeister gehen müssen! Das war Ihre Schuld, warum haben Sie sich nicht vorher angekündigt?“ Ueberwältigt von der Freude des Wiedersehens und erstaunt über das so wenig veränderte Aussehen der Eintretenden, war ich kaum einer Antwort mächtig. Wie war es möglich, daß eine so lange Reihe von Jahren nicht stärkere Spuren auf Antlitz und Haltung zurückgelassen hatte! Das war noch dasselbe junonische, leuchtende Auge, die edel gebogene Nase, dasselbe volle Haar, das nur an den Schläfen ergraut war. Haben auch die nahen Sechziger manche Falte in das volle, südlich gefärbte Gesicht gezogen, so hat es, vorzüglich beim Sprechen, noch die fast jugendliche Frische und den heiteren Ausdruck der Vergangenheit. Das Organ ist unverändert, laut und klangvoll. Am meisten hat die Taille gelitten, die zwar früher auch nicht zu den schlankesten gehörte, jetzt aber die normale matronenhafte Stärke hatte. Die Toilette war ein einfaches Morgenkleid, darüber ein weißes Camisol, das Haar zur Seite geglättet, rückwärts in ein Netz von Chenille geschlagen, was dem Kopfe etwas Imposantes, Antikes verlieh.

Ich gebe diese Details zumeist meinen Leserinnen zu Liebe, denen ich auch die tröstliche Nachricht mittheilen kann, daß Mad. Sand eine Crinoline, wenngleich nur eine äußerst bescheidene, trägt. Weniger lobenswerth werden sie es finden, daß die Dichterin noch immer ihre kleinen Papiercigaretten raucht, die ihr Manceau schachtelweise liefern muß.

Die herrliche Wirthin war so guter Laune, so geschwätzig, wußte noch so manches Heitere zu erzählen, was wir im Freundeskreise vor mehr als zwanzig Jahren erlebt hatten, daß ich über die Kraft ihres Gedächtnisses staunen mußte. Es ist ein charakteristischer Zug dieser so groß angelegten Natur, für das Komische, selbst wenn es zum Kindischen wird, so frischen Sinn zu haben. Wie herzlich lacht die Frau nicht bei Veranlassungen und Worten, die gewöhnlich nur Kinder belustigen! – Plötzlich verlangte sie nach ihrem Enkelchen, das nun sogleich hereingebracht wurde. In wahrem Entzücken fiel sie darüber her, küßte dem Kleinen Händchen und Füßchen, nannte es ein über das andere Mal „notre Empereur“ und stellte ihn mir endlich mit hochtragischer Miene und den Worten vor: „Er heißt Marc Antonius. Kommen Sie in den Garten, meine Freunde, um das Kind anzubeten, es ist die Stunde dazu!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_300.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)