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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Von Braunschweig eilte Faucitt, nachdem er sich hier seiner Aufgabe mit so glücklichem Erfolge entledigt, nach Kassel, wo seine Ankunft bereits mit Sehnsucht erwartet wurde. Das hessische Volk besaß damals und besitzt heute noch den kühnen kriegerischen Charakter seiner Vorväter, welche von den Römern nicht unterjocht werden konnten. Die Tapferkeit seiner Söhne hat sich auf allen Schlachtfeldern Europa’s glänzend bewährt, wie u. A. die Republik Venedig zum großen Theile den Hessen ihre Siege über die Türken zu verdanken hatte.

Landgraf Friedrich II. zählte damals ungefähr 56 Jahre und regierte seit beinahe sechszehn Jahren. Seine Erziehung war eine sehr sorgfältige gewesen, seine Gemüthsart aber war und blieb gemein und störrig. Die Gattin seiner Jugend, eine Tochter Georg’s II. von England, war die Liebenswürdigste und Sanfteste ihres Geschlechts, sah sich aber dennoch genöthigt, vor seiner unmenschlichen Behandlung bei seinem eigenen Vater Schutz zu suchen. Dreiundfünfzig Jahre alt, heirathete er noch einmal, lebte aber mit seiner zweiten Gemahlin auf keinem bessern Fuße, als mit der ersten.

Aus Widerwillen gegen „die plebejische Einfachheit der protestantischen Religion“, als deren Bollwerk sich das Haus Hessen von jeher betrachtet hatte, war er 1749 zur katholischen Kirche übergetreten. Allerdings zeigte er stets eine gewisse Toleranz, schaffte den Gebrauch der Folter ab und ließ ausgesprochene Todesurtheile nur in außerordentlich seltenen Fällen vollstrecken; gleichzeitig aber war er auch der sittenlose Repräsentant der schlimmsten Ausschweifungen seines Zeitalters. Ein Freund von Glanz und üppigem Leben, trug er seine Laster auf die schamloseste Weise öffentlich zu Schau.

Nationalsinn besaß er so wenig, wie fast alle deutschen Regenten der damaligen Zeit; französische Sitten und Gewohnheiten waren sein Ideal. Er hielt seine Oper, sein Ballet, während des Carnevals seine Maskeraden und sein französisches Theater. Eine abgelebte Französin war seine erste Favorite und ein französischer Theaterintendant sein Bibliothekar. Dennoch aber konnte nichts eine größere Unähnlichkeit mit Frankreich darbieten, als eben der landgräfliche Hof. Das Leben in Kassel war durch und durch geistlos, Anspruch auf Beachtung hatte nur der Adel, um Talent und Begabung kümmerte man sich nicht. So war der Hof beschaffen, dessen Fürsten Faucitt einen zweiten Brief vom englischen König überreichte. General Schlieffen, der Minister, mit welchem er die Unterhandlung zu führen hatte, deutete ihm an, daß er sich von vornherein unbedingt in jede Forderung zu fügen habe; der Landgraf sei außerordentlich launenhaft, und er möge sich gefaßt halten, denselben in übelster Stimmung zu finden. Gleichzeitig aber machte sich Schlieffen anheischig, seinen „gnädigsten Herrn“ zur Ueberlassung von wenigstens 12,000 Mann Infanterie für den englischen Kriegsdienst in Amerika zu bestimmen.

Der Landgraf, welcher sich nicht einmal selbst gestehen wollte, daß er seine Unterthanen aus bloßer Habsucht verschacherte, heuchelte den eifrigen Wunsch, die rebellischen Amerikaner zur Botmäßigkeit zurückgeführt zu sehen, und ward dabei so warm und so sanguinisch, daß er fast Lust zu fühlen schien, für die Sache der Monarchie an der Spitze seiner Truppen selbst in’s Feld zu ziehen. Dieser Eifer ließ vermuthen, daß für die erbetene Hülfe die übertriebensten Gegenforderungen gestellt werden würden. In der That wußte man Georg vor allen Dingen eine Summe von mehr als 40,000 Pfd. Sterl. für Hospitalauslagen abzupressen, die man während des letzten Krieges gehabt haben wollte. Das war eine geradezu unverschämte Forderung, denn die betreffende Rechnung war längst geprüft, bezahlt und abgeschlossen. Allein die große Verlegenheit der englischen Regierung zwang diese, den erhobenen Anspruch als begründet anzuerkennen und die Rechnung wirklich zum zweiten Male zu bezahlen.

Das Handgeld scheint in Hessen eben so viel betragen zu haben, wie das, worüber man sich mit Braunschweig geeinigt; da es aber in Kassel nicht blos für die Mannschaften, sondern auch für die Officiere bezahlt werden sollte, so ergab der hessische Contract einen Mehrgewinn von zwanzig Procent. Sein Meisterstück aber lieferte Schlieffen durch die Feststellung der jährlichen Miethsumme. In ähnlichen früheren Verträgen hatte man auf wenigstens vier Jahre stipulirt. Jetzt sprach Schlieffen von einem sechsjährigen Zeitraum. Zwar ging der englische Unterhändler darauf nicht ein, denn er glaubte, daß es zur Beendung des Krieges nur eines einzigen Feldzuges bedürfen würde, aber der Hesse wußte mit seinem Vorschlage doch eine doppelte Miethsumme zu erlangen, welche vom Tage der Unterzeichnung des Vertrags an bis zum Erlöschen desselben bezahlt werden sollte. Außerdem ward auch noch ausbedungen, daß das Geld nicht, wie an Braunschweig, in deutschen Kronthalern, sondern in Banco-Kronthalern bezahlt werden sollte, was dem Landgrafen einen fernerweiten bedeutenden Gewinn abwarf, um so mehr, als der Vertrag zehn Jahre lang in Kraft blieb. Kurz, diese einzige Bedingung spielte dem Landgrafen das kleine Sümmchen von sechs Millionen Thalern in die Tasche! Um aber seinen treuen Unterthanen einen Beweis von seiner väterlichen Gesinnung zu geben, setzte er die zur Bestreitung des Aufwandes für die nun vermietheten Truppen neu erhobenen Steuern bis zur Rückkehr der Truppen huldvoll auf die Hälfte herab; die andere Hälfte ward dagegen um so unerbittlicher eingetrieben!

Wohlweislich hatte man sich ausbedungen, daß die von England zu erhaltende Löhnung, welche bedeutend höher war, als die hessische, nicht unmittelbar an die Mannschaften selbst, sondern direct an die hessische Staatscasse gezahlt werden sollte, wodurch abermals Gelegenheit zu allerhand Uebervortheilungen gegeben ward. Auch wußte man es einzurichten, daß die Löhnungsregister schon vom zweiten Monat an stets die Namen von mehr Mannschaften enthielten, als wirklich im Dienst waren. Mit Braunschweig hatte sich der englische Agent, wie wir wissen, über einen für Todte und Verwundete zu zahlenden Preis geeinigt; der Landgraf von Hessen ließ sich dagegen auf kein derartiges Abkommen ein, sondern behielt sich das Recht vor, für jeden Mann, den er einmal für den englischen Kriegsdienst gestellt, mochte derselbe lebendig, oder dienstunfähig, oder todt sein, bis zum Ablauf des Vertrags volle Löhnung zu verlangen. Faucitt stellte dem Minister vor, daß es unumgänglich nothwendig sein werde, den hessischen Soldaten den vollen und uneingeschränkten Genuß ihrer Löhnung ebenso zu gestatten, wie den englischen. „Auf diese Bedingung wage ich nicht einzugehen, denn der Landgraf könnte sich dadurch verletzt fühlen,“ antwortete der hessische Minister, und als die Sache dennoch vor dem Landgrafen zur Sprache kam, rief dieser: „Sind meine Soldaten nicht meine Cameraden? Und habe ich wohl eine andere Absicht, als sie gut zu behandeln?“

Die kranken und verwundeten braunschweigischen Truppen sollten in englischen Hospitälern verpflegt werden, für die Hessen dagegen beanspruchte der Landgraf das Recht, eigene Hospitäler zu errichten und sich wegen des dabei gehabten Kostenaufwandes später mit der englischen Regierung zu berechnen. Zwar hatte man die für die gemietheten Truppen erforderliche Bekleidung von in England fabricirten Stoffen anfertigen lassen, der Landgraf aber gestattete nicht, daß ihm auf diese Weise die Gelegenheit abgeschnitten würde, auch hierbei ein „Profitchen“ zu machen. Georg hatte geglaubt, der Landgraf könne höchstens 5000 Mann Infanterie liefern; der dafür bewilligte Preis war aber ein so verlockender, daß der Landgraf, nachdem er die Lieferung von 12,000 Mann abgeschlossen, der englischen Regierung erst noch 400 Mann Scharfschützen, dann noch 300 Mann Dragoner und endlich noch drei Artilleriecorps aufdrang, natürlich gegen Erlegung von Handgeld und verhältnißmäßige Erhöhung der jährlichen Miethsumme.

Um nicht von den das Land durchstreifenden Werbern mit Gewalt unter die Soldaten gesteckt zu werden, floh eine Menge junger Leute über die Grenze nach Hannover, und König Georg von England, welcher zugleich Kurfürst von Hannover war, ward daher aufgefordert, den Aufenthalt hessischer Unterthanen auf hannöverschem Boden nicht zu dulden, weil der Landgraf sich außerdem am Ende in die Unmöglichkeit versetzt sehen könnte, seine in Bezug auf Truppenlieferungen eingegangene Verpflichtung pünktlich zu erfüllen. Ebenso hielt man es für sehr wesentlich, die vermietheten Truppen durch das Kurfürstenthum Hannover nach ihrem Einschiffungsplatze zu dirigiren; denn wenn die Hessen das linke Weserufer entlang durch preußisches Gebiet und vielleicht ein halbes Dutzend kleiner Fürstenthümer marschirten, so würden, daran zweifelte man keinen Augenblick, sicher mindestens die Hälfte der Soldaten unterwegs davonlaufen. Ein großer Theil ging freilich gern und willig; hatte man den Soldaten doch vorgespiegelt, Amerika sei das Land goldener Beute und es würde ihnen dort freistehen, nach Herzenslust zu plündern und in allen Genüssen zu schwelgen.

Nachdem so jeder streitige Punkt den kategorischen Anforderungen des Landgrafen gemäß entschieden war, kam der Vertrag

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