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Sobald daher bekannt ward, daß der König von England sich außer Stand sah, seine im Kampfe mit Amerika gelichteten Regimenter durch Anwerbungen innerhalb seiner eigenen Staaten wieder zu ergänzen und zu vermehren, und daß er deshalb Rekruten aus Deutschland zu beziehen wünschte, erboten sich, begierig von diesem Umstand Nutzen zu ziehen, eine Menge von Abenteuerern die gewünschten Truppen zu verschaffen. Anfangs trug Georg Bedenken, von diesen Anerbietungen Gebrauch zu machen. „Wenn ich,“ sprach er, „deutschen Officieren Auftrag gebe, mir Leute zuzuführen, so bin ich, gerade heraus gesagt, nicht viel besser als ein Seelenverkäufer, was nach meiner Ansicht kein sonderlich ehrenvolles Prädicat ist.“ Dennoch aber verstand er sich dazu, daß ein Contract mit einem hannoverischen Oberstlieutenant abgeschlossen würde, welcher sich verbindlich machte, ohne Zeitverlust viertausend Mann Rekruten in Deutschland anzuwerben. Ebenso gestattete er auch sein Kurfürstenthum Hannover als Sammel- und Werbeplatz zu benutzen und willigte ein, daß sein Feldmarschall dem Unternehmen den nothwendigen Beistand lieh. Damals hielten keine wechselseitigen Höflichkeitsrücksichten die Fürsten ab, einer des andern Soldaten zur Desertion zu verleiten, und ein höheres Handgeld, bessere Löhnung und die verlockende Aussicht, in Amerika, dem Goldlande, reiche Beute zu machen, bewog die vagabundirenden Veteranen früherer Kriege sehr bald, sich um das in Hannover aufgepflanzte Banner zu schaaren. Freilich hatte der deutsche Reichstag Truppenanwerbungen für fremde Fürsten innerhalb seines Gebietes untersagt, und das Cabinet von Wien sah sich daher, um wenigstens den Schein zu wahren, genöthigt, darauf aufmerksam zu machen, daß Großbritannien mit dem deutschen Reiche in keinem Zusammenhang stände, ihm mithin nicht das Recht zukäme, innerhalb Deutschlands Grenzen Truppen anzuwerben. Für England lag hierin blos eine zarte Aufforderung, das Werbegeschäft in Deutschland ein wenig verstohlen betreiben zu lassen. Der Lieferant hatte auch sehr bald eine kleine Abschlagssendung von 150 Mann beisammen und versprach raschern Erfolg, sobald das Unternehmen nur erst ein wenig besser im Zuge wäre. Hierzu kam, daß der Fürstbischof von Lüttich und der Kurfürst von Köln sich gern dazu verstanden, hinsichtlich der Anwesenheit englischer Agenten, welche auch Werbestationen in Neuwied und Frankfurt hatten, ein Auge zuzudrücken. So instruirten denn die englischen Minister ihre diplomatischen Vertreter an den kleinen Höfen, den Werbungen allen möglichen Vorschub zu leisten, allein dies nicht officiell oder im Namen ihres Königs zu thun.

Inzwischen hatte der Aufstand in Amerika immer größere Verhältnisse angenommen, und Georg, der zuerst mit Widerstreben daran gegangen war, von den kleinen deutschen Fürsten Soldaten zu kaufen, sah sich genöthigt, nunmehr alle diese Scrupel schwinden zu lassen. Seine Minister theilten ihm mit, daß der Herzog von Braunschweig, wenn er sonst wolle, recht wohl wenigstens dreitausend und der Landgraf von Hessen-Kassel fünftausend Mann stellen könnten, und im November 1775 wies Lord Suffolk seinen Agenten, Oberst Faucitt, dahin an: „Ihre Aufgabe ist, so viel Truppen zusammenzubringen, wie Sie nur können. Ich gestehe, daß meine eigenen Hoffnungen in Bezug auf das Ihnen übertragene Geschäft nicht sehr sanguinisch sind, und Sie werden daher, so lange Sie nicht gegründete Aussicht auf Erfolg haben, Ihre officielle Eigenschaft so wenig als möglich hervortreten lassen. Verschaffen Sie uns, wie gesagt, so viel Truppen, als gehen will, und obschon es Ihnen nur zur Ehre gereichen wird, wenn Sie dies unter möglichst billigen Bedingungen thun, so muß ich Ihnen doch bemerklich machen, daß im vorliegenden Falle auf Kostenersparniß nicht so viel Rücksicht genommen werden kann, wie unter andern gewöhnlichen Verhältnissen. Es ist die größte Thätigkeit nothwendig, denn dem König liegt außerordentlich viel daran, das Unternehmen zu Stande gebracht zu sehen, und Sie werden daher sowohl von Braunschweig, als auch von Kassel aus, sobald Sie wissen, ob Truppen zu erlangen sind oder nicht, augenblicklich einen Courier an mich absenden, ohne erst auf Nennung der Bedingungen zu warten.“

Die Befürchtung des englischen Ministers, daß der beabsichtigte Menschenhandel nicht zu Stande kommen werde, war leider eine höchst überflüssige. Eine Menge kleiner Fürsten drängte sich herzu, Truppen anzubieten. „Ich,“ schrieb unter andern der Fürst von Waldeck, „werde es als eine hohe Gunst betrachten, wenn der König von mir ein Regiment von sechshundert Mann annehmen will, dessen Officiere und Mannschaften eben so wie ihr Fürst sicherlich nichts inniger wünschen, als eine Gelegenheit zu finden, sich für Seine Majestät zu opfern.“ Natürlich ward dies freundliche Anerbieten unter den jetzt obwaltenden Umständen mit tausend Freuden acceptirt.

Am 24. November machte Faucitt, nachdem er in Stade seine Instructionen erhalten, sich auf den Weg nach Braunschweig. Herzog Karl von Braunschweig war damals ungefähr 63 Jahre alt. Während der vierzig Jahre seiner Regierung hatte er die Millionen seines Einkommens an seine italienische Oper, an sein Balletcorps, auf Reisen, an Maitressen, am Spieltische und mit alchymistischen Experimenten verschwendet und außerdem zwölf Millionen Thaler Schulden gemacht. Das Meiste aber hatte ihm seine kleine Armee gekostet, die jetzt im Alter, wo er für andere Lebensgenüsse unfähig geworden, seinen Stolz und seine einzige Freude ausmachte. Seit drei Jahren hatte er den Erbprinzen Ferdinand, der mit Georg’s III. Schwester Auguste vermählt war, zum Mitregenten erkoren. Dieser sowohl, als seine Umgebung, war von der Machtvollkommenheit eines legitimen Fürsten durchdrungen. Er liebte zu herrschen und verlangte blinden Gehorsam. Uebrigens war er nicht ohne Anlagen. Sein Stolz war, sein Tagewerk gut und pünktlich zu verrichten, und wirklich führte er in mehrern Zweigen der öffentlichen Verwaltung zweckmäßige Ersparnisse ein. Wenn auch den sinnlichen Vergnügungen ergeben, war er doch daneben unermüdlich in der Arbeit. Aber er hatte kein Gemüth und war deshalb weder der Dankbarkeit, noch der Liebe fähig. Ein guter Unterofficier und die personificirte Gamaschenpedanterie, sah er mit peinlicher Strenge darauf, daß im Mechanismus des Regiments nicht das kleinste Rädchen in’s Stocken kam, – eine Armee im Feld zu führen, dazu fehlten ihm alle Kenntniß und aller Umblick, wie er dies als Feldherr der preußischen Armee in der Schlacht bei Jena 1806 so unheilvoll beweisen sollte.

Noch am Abend seiner Ankunft hatte Faucitt eine Conferenz mit dem Erbprinzen, an welchen ihm der König von England einen besonderen Brief mitgegeben hatte. Ohne die geringste Weiterung erklärte sich Ferdinand mit dem englischen Antrag von Herzen einverstanden und versprach, sich zu Gunsten desselben bei seinem Vater zu verwenden. Dieser gab auch, obschon es ihm an’s Leben ging, sich von einem Spielzeug trennen zu sollen, welches der einzige Zeitvertreib seiner alten Tage war, doch aus Rücksicht auf den immer noch mißlichen Zustand seiner Finanzen seine bereitwilligste Zustimmung zu dem Schacher.

Die nächste Aufgabe des englischen Unterhändlers war nun, mit Ferrance, dem braunschweigischen Minister, über den Preis der Truppen zu unterhandeln, welche mit Beginn des Frühlings bereit und aus 4000 Mann Infanterie und 300 Mann Dragonern zusammengesetzt sein sollten. Die Letzteren wurden zwar nicht gebraucht, Faucitt aber nahm sie an, um nicht „difficil“ zu erscheinen.

Als Handgeld verlangte Braunschweig sechszig deutsche Thaler für den Mann; doch einigte man sich zuletzt auf fünfundvierzig Thaler. Für jeden Soldaten, welcher das Leben verlöre, sollte das Handgeld noch einmal bezahlt werden. Drei Verwundete waren dem Uebereinkommen gemäß als ein Todter zu rechnen. – Ein weiterer Gegenstand der Erörterung war der Tag, von welchem an die englische Löhnung gezahlt werden sollte. Braunschweig forderte, daß damit drei Monate vor Ausmarsch der Truppen begonnen würde, begnügte sich indeß zuletzt mit zwei Monaten. Wegen des jährlichen Miethpreises stritt man zwei Tage hin und her, bis man sich endlich dahin einigte, daß von dem Tage der Unterzeichnung des Vertrags an jährlich eine Summe von 64,500 deutschen Kronthalern und nach Rückkehr der Truppen in die Heimath zwei Jahre lang das Doppelte dieser Summe gezahlt werden solle.

Im Verlaufe des englisch-amerikanischen Krieges lieferte Braunschweig zusammengenommen 5723 Miethlinge, eine Zahl, die den sechsten Theil der gesammten waffenfähigen Mannschaft des Herzogthums betrug. Die Folge hiervon war, daß nur zwei der für den englischen Kriegsdienst bestimmten Bataillone aus wirklich regulären Truppen bestanden. Die übrigen waren, ohne daß man sich an die gegebenen Versprechungen gekehrt hätte, zum großen Theil aus noch ungeübten Rekruten, alten Leuten, bartlosen Knaben und aus aller Herren Ländern herbeigeschleppten Vagabunden zusammengewürfelt. –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_296.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)