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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

und es kommt auch kein Laut über seine Lippen. Es ist nicht möglich, daß, wer noch einen Bissen Brod, noch einige Pfennige besitzt, seinen Schatz nicht augenblicklich mit dem wortlosen, abgezehrten, hungernden Bruder theile!“ So schilderte noch zu Anfang des März ein ungarisches Blatt den Nothstand in dem sonst übervollen Getreidespeicher Europa’s, in Ungarn.

Der Hunger hat Menschen getödtet in dem Lande, das so arm an Menschen und so reich an Fruchtbarkeit ist! Auf wessen Sündenconto ist die Schuld solchen Unglücks zu schreiben?

Die Schuld liegt an der ohne alles Verhältniß ungleichen Vertheilung des Grundbesitzes in dem zunächst betroffenen Theile Ungarns, in „Alföld“ oder Niederungarn; denn während dieser weite Landstrich von mehr als tausend Geviertmeilen ausschließlich von einer Ackerbau treibenden Bevölkerung bewohnt wird, ist der größte Theil derselben vollständig besitzlos und lebt nur von der Arbeit, welche die Grundbesitzer ihm bieten. Diesen Tausenden sind somit alle Mittel entzogen, sich vor gänzlichem Mangel zu schützen, sobald die einzige Quelle ihres Erwerbs, die landwirthschaftliche Arbeit, wenn auch nur auf kurze Zeit, versiecht. Daß aber, trotz der sehr guten Ernte von 1863 in einem Drittel von Ungarn und der wenigstens mittelmäßigen im zweiten Drittel, eine einzige Mißernte im dritten Drittel ein so furchtbares Elend über das arme Volk bringen konnte, das erschien im Lande selbst als ein überraschendes Strafgericht für das unverantwortliche Mißverhältniß im Grundbesitzthum der Bevölkerung.

Die Wittwe Ludwig Batthyány’s.

Bei den ersten Nachrichten von der in Niederungarn auftretenden Noth schüttelte man im übrigen Ungarn ungläubig den Kopf; aber nur kurzer Zeit bedurfte es, um den Nothstand so zu entwickeln, daß die Schatten immer finsterer wurden, welche das kommende Elend vorauswarf? Die sengende Hitze, die Ursache der Noth, wüthete immer verderblicher. Bald waren auf den Weideplätzen alle Spuren der Vegetation bis in die tiefste Wurzel vernichtet, ungeheure ehemals üppig grüne Fluren waren im vollsten Sinne des Wortes zu Staubwüsten geworden, das Vieh irrte brüllend vor Hunger umher, und die Bewohner vieler Ortschaften zogen massenweise fort, um glücklichere Gegenden zu suchen. Die überwiegende Menge der Zurückgebliebenen mußte sich vor Allem ihres Viehes entledigen, für das sie kein Futter, oft auch nicht einmal Wasser hatte. Eine große Menge von Pferden, Ochsen, Kühen, Schafen verendete vor Hunger, – Viele verkauften ihr Hausvieh um die geringsten Preise, oder trieben es fort, um das Elend der armen Thiere nicht ansehen zu müssen. Um jene Zeit, zu Anfang des verflossenen Herbstes, traten hier und da noch einige Züge eines traurigen Humors hervor, gleichsam das letzte Lächeln eines Verzweifelnden. Ein Mann band ein Pferd an einen Pfahl und heftete einen Zettel daran, worauf er geschrieben hatte, daß Jedermann, der dazu Lust hätte, dieses Pferd als sein Eigenthum betrachten könne; als er am andern Tag nachsah, ob das arme Thier einen neuen Herrn gefunden habe, – fand er an denselben Pfahl noch mehrere andere herrenlose, hungerdürre Klepper gebunden. – In einem Ort, wo gerade Jahrmarkt war, bekam ein Knabe von seinem Onkel einige Kreuzer, damit er sich dafür ein Pferdchen, versteht sich ein hölzernes oder eines aus Pfefferkuchen, kaufe; der Knabe sprang fort und brachte für die wenigen Kreuzer ein lebendiges Füllen nach Hause. – Hatte die Hitze die armen Bewohner Niederungarns um ihr werthvollstes Besitzthum, um ihr Vieh gebracht, so riß die hereinbrechende Kälte des Winters auch das Bischen Hausrath mit fort. Was man nicht verkaufte, um den Hunger zu stillen, mußte man verbrennen, um sich die Glieder zu wärmen.

Wenn solcher Mangel sich über viele Hunderte von Quadratmeilen erstreckt, so ist es kein Wunder, daß nicht allem Elend abgeholfen werden konnte, trotzdem der Reichsrath in Wien zwanzig Millionen zum Ankauf von Saatfrucht, zu verschiedenen öffentlichen Arbeiten und zu Darlehen für Gemeinden und Grundbesitzer votirte, – trotzdem ferner der Adel und die Geistlichkeit den vom Nothstand heimgesuchten Bewohnern des Alföld große Quantitäten von Lebensmitteln schenkten, und trotzdem allenthalben erkleckliche Summen Geldes für die Armen gesammelt wurden. Sogar Bälle, Concerte, Dilettanten-Theatervorstellungen und derlei rauschende Vergnügungen veranstaltete man zum Besten der hungernden und frierenden Brüder! –

Auch die Wohlthätigkeit bedarf in unsern Tagen der Unterstützung der Speculation. Neben den vielen und großartigen Versicherungsgelegenheiten gegen alle möglichen Unfälle wird „das gute Herz“ nur da mit Erfolg angesprochen, wo unverschuldetes Unglück um Hülfe ruft; dem Einzelnen oder Wenigen wird dann auch durch die vielen, wenn auch im Durchschnitt kleinen, Gaben geholfen. Rufen aber Tausende in einer Noth, da müssen künstliche Mittel die Einnahmen mehren, und es kommt alsdann allerdings sehr darauf an, eine Form der Speculation zu finden, die mit dem Elend, gegen das sie gerichtet ist, nicht in allzustarkem Contraste steht.

Eine solche Form war es nun, welche für den vorliegenden Fall die Gräfin Ludwig Batthyány, die gefeiertste Frau Ungarns, in dem Bazar fand, dem diese Zeilen gewidmet sind. Die Gräfin ist Ausschußmitglied des „Vereins der ungarischen Hausfrauen“, und dieser Verein schloß sich ihr sofort zur Ausführung ihres schönen und originellen Wohlthätigkeitsplans an. Es ist eine alte Wahrheit: ein guter Gedanke und ein wohlgebildeter Mensch kommen leicht durch die Welt. Dies bewährte sich auch hier. Kaum war die Idee ausgesprochen, so schlug sie auch Wurzel, und ehe wenige Wochen vergingen, so war sie in überraschender Weise ausgeführt. Vornehme Damen, ausgezeichnet durch Rang, Geist, Schönheit, Reichthum, kurz die Blüthen der Blüthe des Landes, erklärten sich bereit, in dem projectirten Bazar das Amt der „Ladenjungfern“ zu übernehmen, und die Pesther Lloydgesellschaft bewilligte die Räumlichkeiten der ehemaligen Getreidebörse, durch deren Vermittelung sonst der Ueberfluß des Landes seinen Abzug nach andern Ländern fand, zur Veranstaltung jener Börse, durch deren Vermittelung jetzt die Spenden der Wohlthätigkeit den Stätten des Mangels zugeführt werden sollten. Die erwähnte Räumlichkeit, eine schöne durch zwei Säulenreihen in drei Schiffe abgetheilte Halle, ward zu dem reizenden Bazar ebenso geschmackvoll, wie zweckmäßig hergerichtet. In den beiden Seitenschiffen befanden sich zwischen je zwei Säulen die Verkaufsbuden, und zwar waren an jeder der beiden Seiten sechs, also im Ganzen zwölf Buden angebracht, die alle mit Vorhängen geschmückt und mit ihren waarenbeladenen Pulten dem Ganzen das phantastische Aussehen eines Bazars und Ballsaals zugleich gaben. Doch wir sind

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_284.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)