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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

wäre.[1] „Den Böttner,“ sagte jener Freund, „habe ich selbst gekannt und muß ich gestehen, daß mir nie ein Mann vorgekommen mit einem, der Bauerntracht unbeschadet, gleich imponirenden Aeußern. Ich war häufig dort auf der Jagd, und nach der Jagd wurde gewöhnlich auf dem Sauerburgerhofe gegessen. Als ich den Böttner zum ersten Mal sah, erging es mir wie Kaiser Carl IV. mit Kuno von Falkenstein; ich sagte zu meinem Nachbar: ‚Den (Böttner) würden Helm und Harnisch besser kleiden, als der Kittel‘. Damals vernahm ich, daß er ein Sohn des Sickingen sei. Wahrhaft Respect gebietend war sein Benehmen und das seiner vier Töchter, alle vier von ausgezeichneter Schönheit. Unaussprechlich war der Eindruck, welchen dieser vier Jungfrauen würdige Haltung auf das wilde Heer der Jäger (circa 40 Stück aus allen Ländern zusammengetrommelt) übte; die unternehmendsten Gesellen hielten sich in den gemessenen Schranken des Anstandes und der Courtoisie. Den Burgfräulein fehlte lediglich die standesmäßige Kleidung.“

In diesem Kreise verlebte Graf Franz seine letzten Tage. Ohne Familie starb er doch in der Familie. Wer weiß, ob ihn die illegitimen Nachkommen nicht ebenso treu gepflegt haben, wie es von legitimen geschehen wäre. Im Angesichte der Ruinen der letzten Burg ging die letzte Ruine dieses edeln Namens nach den Einen mit 76, nach den Andern mit 81 Jahren zu Grunde. Sein Ende fällt in das Jahr 1836. Die Leiche wurde auf einem mit zwei Ochsen bespannten Karren nach dem Dorfe Sauerthal gebracht und auf dem dortigen Friedhofe eingesenkt. Ein Unbekannter, in dem man den Archivar Habel von Wiesbaden vermuthet, ließ ihm bei nächtlicher Weile ein hohes schönes Kreuz aus rothem Sandstein setzen, auf dem mit goldenen Lettern folgende Inschrift prangt:

Franz von Sickingen, Reichsgraf,
seines Stammes der Letzte.
Von einem Freunde vaterländischer Geschichte.

Auf der anderen Seite heißt es:

Er starb im Elend.

So endet die Geschichte dieses Stammes der Sickingen, und so macht uns die Sauerburg mit ihren kolossalen Trümmern den Eindruck eines gewaltigen Grabes, in welchem ein großes Stück untergegangenen deutschen Lebens ruht. Es hatte seine Zeit, dieses Leben der Ritter auf den Höhen; gönnen wir ihm den Frieden des Todes, dem es zum Glück neuer Geschlechter verfiel, und wünschen wir dem Feudaladel, der sich in unseren Tagen krampfhaft anklammert an die übertünchten Ruinen verfaulter Vorrechte und Ansprüche, daß ihm in dieselbe Ruhe recht bald einzugehen vergönnt sei! –

Wolfgang Müller von Königswinter. 


  1. Wir sagen „dieser Linie“, weil Graf Franz nicht der letzte Sickingen überhaupt ist; in Oesterreich blüht noch ein anderer Zweig dieses Namens.




Bilder von der deutschen Landstraße.
1. Der Fuhrmann von dazumal.
(Schluß.)
Die Pritsche der Wirthin. – Die Etiquette der Fuhrleute unter einander. – Die bedeutsamen Nullen der Wirthsrechnung. – Die Salzkärrner und die Kärrner aus Montjoie bei Aachen, die letzten ihrer Art. – Die Popendieker „Langspänner“ oder „Kuttenklepper“. – Der Hudelwagen. – Der große Frachtwagen. – Plantuch und Priesterrock. – Die Nürnberger „Rosen“. – Der blaue Brabanter Fuhrmannskittel. – Der Fuhrmannnsgasthof. – Die verschiedenen Fuhrmannsgruppen: Die Bergschen und Muntschauer – Die Westphälinger – Die Pfälzer – Die Schwaben und Franken – Die Baiern. – Die Eschweger und Fuldaer – Die Mündener und Popendieker – Die Harzer – Die Leister – Die „Oesterreicher“ – Die Langensalzer – Die Krahwinkler und Tambacher – Die Benshäuser und Suhlaer – Die Gräfenthaler – Die Grüneberger und Breslauer – Die Eilfuhren. – Das Deichselbrod. – Die Nachtstreu und die „Kotze“. – Die Zeche und ihre Hieroglyphen. – Der Lochgroschen. – Das Krippengeld der Knechte. – Fuhrmannsgrobheit und Fuhrmannsstolz. – Das Fuhrmannslied.

Noch aber war die Ceremonie des Ritterschlags nicht vollendet, noch wurde keine Flasche entkorkt, vielmehr öffnete der Wirth neben der Stubenthür einen Schrank und nahm aus demselben ein großes Buch, welches nur bei solcher Feierlichkeit gesehen ward, sonst aber immer unter gutem Verschluß blieb. Hierauf stellte sich der Wirth, das große Buch auf der Tafel aufschlagend, dem jungen Fuhrmann gegenüber und befahl ihm, aufzustehen, unverwandten Blickes auf ihn – den Wirth – aufzumerken auf das, was ihm jetzt zum ersten Male in seinem Leben von alten Weisthümern, Ordnungen und Gebräuchen des Fuhrmannswesens vorgelesen werden solle. Unter lautloser Stille aller Anwesenden, welche ihre Gesichter in ernste Falten legten, begann der Wirth hierauf also: „Beim Anfahren an einem Wirthshause soll der Fuhrmann nur einmal klatschen!“ – Das letzte Wort dieses Gebotes wurde aber trotz der kräftigen Stimme des Wirthes nicht gehört, denn in demselben Augenblicke schwang die Wirthin eine mächtig lange Pritsche, welche inzwischen heimlich aus dem erwähnten Schranke, ihrer gewöhnlichen stillen Behausung, die sie mit der hölzernen Zange theilte, herbeigeholt worden war, und schlug unter herzerschütterndem Lachen der Gäste unsern jungen Kärrner oder Fuhrmann so unbarmherzig auf seine hinteren Fleischtheile, daß dieser ganz erschrocken sich umwandte, ein klägliches Ach und Weh ausstieß und mit den Händen nach der schmerzenden Stelle griff, um auch diese die Bekanntschaft der Pritsche machen zu lassen. Hatte sich inzwischen der Tumult wieder etwas gelegt, so bedeutete der Wirth den jungen Fuhrmann, daß diese kleine Erschütterung zur Kräftigung des Gedächtnisses nöthig sei und daß man ein altes Herkommen nicht abändern dürfe. Unter der Versicherung, daß er von nun an nichts mehr zu befürchten habe, wurde der zweite Punkt unter allgemeiner Stille verlesen, dem natürlich wie allen folgenden beim letzten Worte zur Bekräftigung wieder eine Pritschenfanfare unter homerischem Gelächter der Fuhrleute nachfolgte. Dieses Siegel- oder vielmehr Pritschenamt ging, wenn die Wirthin nicht zur Stelle war, auf den Hausknecht über, der – im Vertrauen gesagt – meist vorher durch ein klingendes Stück Geld „gestimmt“ wurde, so daß er bei Ausübung seines Amtes oft einen humaneren „Zug“ an den Tag legte, als die dicke Fuhrmannswirthin. –

Von den übrigen „Punkten“ wollen wir noch einige charakteristische herausheben. Der Fuhrmann soll, sobald er die Pferde in den Stall führt, in der Krippe nachsehen und diese eventuell reinigen; – wenn er in die Stube kommt, hat er sich sauber zu waschen. Er darf als ein jüngerer sich nicht zuerst an den Tisch setzen, auch soll er aus der Schüssel nur dasjenige Stück Fleisch etc. herausnehmen, welches seinem Sitze zunächst liegt. Der jüngere Fuhrmann darf vor dem älteren weder in die Schüssel fahren, noch ein Glas ergreifen. Jeder Fuhrmann hat vor dem Essen still sein Gebet zu verrichten. Wenn die Pferde auf der Straße nicht mehr ziehen wollen, so sind sie zu dreien Malen anzuregen; kommt das Geschirr trotzdem nicht in Zug, so hat der Fuhrmann nach Hülfe zu gehen und die Pferde nicht wie ein Schinderknecht zu behandeln. Wenn Fuhrleute auf der Straße einander begegnen oder im Wirthshause zusammentreffen, so sollen sie gegen einander freundlich sein und einander die Hände reichen. Die Alten sind mit „Ihr“, die Jüngeren aber mit „Du“ anzureden. Wenn der Fuhrmann an einen Hohlweg kommt, so hat er zwei bis drei Mal zu klatschen; hört er hierauf aus der Hohle nicht wieder klatschen, so hat er zwei bis drei Mal in dieselbe hineinzurufen; „denn sonst hat er kein Recht!“ etc. Ordnung und feste Sitte sind in diesen Satzungen gewiß nicht zu verkennen.

Schon nach der ersten Pritschenentfaltung wurden die Gläser gefüllt. Auch Punsch und Pfefferkuchen durften bei einer solchen Veranlassung nicht fehlen. War die Ceremonie zu Ende, so stimmte ein junger Fuhrmannsbursche ein allgemein bekanntes Fuhrmannslied an, und unter gemüthlichem Geplauder verstrich der Abend. Zuweilen wurde auch noch ein Hackebret herbeigeschafft, welches die Stelle unserer heutigen Orchester vertrat.

Die Kosten eines solchen Abends anlangend, so ist zu berichten, daß der Wirth keine specificirte Rechnung aufstellte, daß aber auch eine solche nicht verlangt wurde. Jedem Fuhrmann, der an selbigem Abende anwesend war, schrieb der Wirth beim Abfahren, wenn die Zeche gemacht wurde, eine oder mehrere Nullen mehr

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_279.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)