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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

auf Montigny. Endlich kommt er, heiß und erregt, jedenfalls lustig erregt. Er entschuldigt sich: das Wetter hat ihn überrascht, der Wendelsteinerwald ihn in die Irre geführt – man muß ihn abholzen, den verwünschten Wald! – Stephaniens Unwille verwandelt sich sofort in Liebe, Freude, innigste Theilnahme. Sie streicht ihm das feuchte Haar aus der Stirn und sagt: „Du Aermster!“ Er soll das Souper nachholen, aber Montigny dankt, er will nur trinken. Zwei, drei Gläser des goldigen, perlenden Weines stürzt er hinab. Ah – das erfrischte! Nun ist er wieder der alte, fröhliche Montigny, nein, fröhlicher, lauter, als man ihn je gesehen.

Seine wilde Lust steckt die Andern an; das Gespräch wird ausgelassen, man klatscht in die Hände und lacht unbändig. Die Gläser klingen; die Damen müssen trinken. Aßperg improvisirt einen Toast. Er wird dafür mit Blumen geschmückt. Stephanie steckt auch ihrem Geliebten eine Rose an die Brust.

„Rosen! Rosen statt Wunden auf der Brust!“ ruft Edgar. „Keine Wunde, kein Blut, das ist die Hauptsache.“

„Treuloser! ist Dein Herz nicht verwundet?“

„O, mein Herz liebt. Liebe aber ist ein Kuß, ein Tanz, ein Flug in’s Blaue! Verwünscht seien die Poeten, die vom Pfeil der Liebe und blutenden Herzen sprechen! Ich will mit dem häßlichen Blut nichts zu schaffen haben.“ Er sprang empor und öffnete weit die Fensterflügel. Musik klang vom Erdgeschoß herauf; aber die Musik im Dorfe klang nicht mehr.

„Musik!“ rief er. „Auch wir wollen Musik.“

Fanny setzte sich an den Flügel und spielte eine rauschende Weise.

Montigny wollte Aßperg um den Hals fallen und umarmte statt dessen die Baronin. Stephanie rief ihn zur Ordnung und erhielt ein Dutzend Küsse dafür.

Die Sauerburg im Wisperthal.

„Horcht!“ sagte plötzlich der Baron, der sich dem Fenster genähert hatte. Vom Dorf her klang ein verworrenes Rufen, ein wüster Lärm.

„Das Pack prügelt sich,“ erwiderte Montigny, dessen Lippen leise zu zucken begannen. „Trinken wir! Liebstes, bestes Fräulein, noch einen Walzer!“

„Still,“ sagte Aßperg. „Der Lärm nähert sich; die Musik drunten bricht plötzlich ab.“

„Man wird uns ein Hurrah bringen,“ versetzte der Andere ungeduldig. „Bitte, mein Fräulein!“

Das Mädchen beginnt zu spielen, doch bald unterbricht sie sich, denn jetzt hören sie Alle ein dumpfes Stimmengewirr und wiederhallende Schritte, dazwischen das kurze Geheul eines Hundes.

Die Damen werden ängstlich, Montigny blickt leichenblaß. Es ist, als ob er sich Muth zu trinken hätte, so hastig füllt und leert er sein Glas.

Sie sind nun im Schloßhof, den murmelnden Stimmen, den tapsenden Schritten nach viele, viele Leute.

„Man bringt einen Verunglückten,“ sagt Aßperg, den Kopf aus dem Fenster zurückziehend.

„Jesus! Der Kaplan!“ schreit Fanny in Ahnung auf.

„Wie unangenehm!“ spricht die Baronin ärgerlich, und Stephanie ist noch mehr empört, als erschrocken darüber, daß man ihr einen Todten in’s Haus bringt. Montigny sitzt stumm. Er weiß es: sie bringen Ihn ….

Und jetzt schreitet’s und tönt’s die Treppe herauf. Die Flügelthüre wird weit geöffnet; Männer und Frauen drängen sich auf der Treppe, im Corridor. Sie machen scheu dem Priester Angelo und der Bahre Platz, die man langsam emporträgt.

Und die Bahre mit einer entstellten, triefenden Leiche wird in den glänzenden, parfümirten Saal, wird mitten unter die aufkreischende vornehme Gesellschaft gesetzt; Angelo aber tritt an den schlotternden Edgar heran und sagt ruhig, ehern, unwiderleglich mit der Stimme der Nemesis: „Edgar von Montigny, kennst Du diesen Todten?! Ich zeihe Dich des Mordes am Grafen Heinrich von Waldenburg!“




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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_277.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2021)