Seite:Die Gartenlaube (1864) 272.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Richtungen hin vertraut zu machen. Nach achtzehn Monaten langte Eduard am Kaukasus im Hauptquartiere Woronzow’s an, und von hier verfolgen wir seine Carrière nicht mehr im Einzelnen.

1852 verließ Schreiber dieser Zeilen Rußland für immer. Wenige Tage vor seiner Abreise ließ sich der Generallieutenant Eduard K. anmelden. „Seit sieben Jahren bin ich ohne Nachricht von meinem Bruder," sprach er; „hätten Sie wohl die Gefälligkeit, ihn in Deutschland aufzusuchen und ihm diese tausend Rubel in Gold zu überreichen?" Ich begab mich nach der kleinen Residenz und traf den Bruder des Generallieutenants K. als — Schreib- und Rechenlehrer an der Mädchenschule daselbst.

Zum Schlusse fügen wir noch hinzu, daß der General Eduard durch richtig getroffene Vorkehrungen im Jahre 1860 so glücklich war, den Plagegeist Rußlands, Schamyl, gefangen zu nehmen. In der Heimath ist sein Name vergessen, in Rußland aber glänzend in die Annalen des Krieges am Kaukasus eingeschrieben. — Wie viele seiner besten Kräfte hat Deutschland an Rußland verliehen, von Münnich, Ostermann, der großen Katharina an bis auf Diebitsch, Cancrin und den General Eduard, die in der Heimath vielleicht nie zu ihrer Entfaltung gekommen wären; wie unendlich viel ist Rußland dem deutschen Geiste, der deutschen Kraft und der deutschen Bildung schuldig geworden! —




Die Bombe kommt! Auszug aus dem Briefe unseres Specialartisten. — Gut, daß der grausame Ernst des Krieges doch auch seine gemüthlichen und ergötzlichen Intermezzos hat, daß ich Ihnen nicht immer nur Lazarethscenen und Kampfepisoden zu zeichnen brauche, sondern ab und zu auch einmal ein heiteres Stücklein schicken kann, wie meine heutige Skizze eines ist.

Es war bei Wenningbund. Die Dänen drüben erwiderten das Feuer unserer Preußen so träge und langsam, daß wir uns etwas weiter vorwagten und einige Schritte von den sogenannten Blendagen entfernten. Dies sind in die Erde gegrabene Löcher, in die sich Alles, so gut es eben gehen will, vor den feindlichen Kanonenschüssen verkriecht. Wir waren unser fünf, ein Bataillonsarzt mit seinem Assistenten, ein Artilleriehauptmann, der Berichterstatter einer bekannten großen Zeitung und ich, Ihr kriegsschauplätzlicher „Sonderkünstler" — das „Specialartist" fängt an, abgedroschen zu werden —; wir sahen uns bald die Augen aus dem Kopfe, aber Hannemann drüben blieb still und ruhig, und so gaben wir Ordre, uns den Morgenimbiß herbeizubringen, auf daß wir in unserem schweren Geschäfte eine kleine Erholungspause eintreten lassen und uns zu neuen Thaten stärken könnten. Mit einem Male ruft der Bursche, der das Pferd des Doctors hält, „Bombe!" Wetter, das schreckt uns zusammen! Und richtig, jenseits steigt aus der Schanze Nr. 2 der dichte weiße Rauchball auf, der uns schon so wohlbekannt geworden ist. Da galt’s kein Säumen mehr! Genau in 31/2 Secunden kam das Ungethüm herangedonnert, das hatten wir gründlich studirt, und nun keine Blendagen zur Hand, uns hineinzuretiriren! Also geschwind auf die Erde geworfen! Ach, wenn Sie gesehen hätten, zu welcher grotesken Gruppe sich unser kühnes Kleeblatt hinter einer kleinen Bodenerhebung zusammengekauert hatte, wenn Sie vollends bemerkt, mit welchem kreideweißen Antlitz College Journalist um sich schielte und wie er doch nicht lassen konnte, nach dem Frühstückskorbe mit dem verlockenden Flaschenhalse zu blinzeln, ob auch dieser wichtige Begleiter gehörig in Sicherheit war, — Sie hätten trotz Bomben und Granaten aus vollem Halse gelacht. Und summ! summ! saust das Mordgeschoß heran

Die Bombe kommt.
Nach der Natur gezeichnet bei Wenningbund von unserm Specialartisten Otto Günther.

und schlägt uns zur Linken in den Boden, daß wie aus einem Krater ringsum Lehm und Rasen aufstäuben, aber glücklich hoch über unsere Köpfe wegfliegen. Gott sei Dank, auch die Rumflasche und Schinken und Wurst sind unverletzt geblieben, — und Roß und Bursche dazu, obschon das erstere noch an allen Gliedern zittert und sich hoch aufbäumt.

Erst nach länger als einer halben Minute erfolgt das gedämpfte Dröhnen des Schusses, dem wir glücklich entgangen sind und der auch sonst keinem der Unseren ein Leids gethan hat. Indeß fanden wir, nach hurtig vertilgtem Frühstück, doch für gut, vor einem ähnlichen zweiten Intermezzo das Feld zu räumen und uns in gedecktere Position zurückzuziehen. Da im Dorfe Gammelmark in einer von Officieren und Dampf erfüllten elenden Bauernstube eroberte ich mir ein Eckchen, wo ich die eben erlebte Scene brühwarm für Sie skizzirte, und nun können Sie und alle Ihre Leser unsere classische Attitüde, Ihren „Sonderkünstler“ in seinem Urwäldlercostüme mit den gewaltigen Wasserstiefeln und den deutschen Berichterstatter in seiner vollen Glorie bewundern.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_272.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)