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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Tafeln“ genannt, in welche sie während der Vorstellung eifrig nachschrieben, aber nur die Witze, die ihnen am besten gefielen, um sie hernach bei Hof und in der Taverne nachzuerzählen, oder gelegentlich in das Gespräch zu mischen. Solch’ ein Buch bei sich zu haben und mit dem Beginn des Schauspiels hervorzuziehen, galt für ein Zeichen literarischer Bildung und guten Geschmacks. Außerdem hatte der galante Mann jener Zeit sein Spiel Karten, seine Pfeife und seine drei Sorten Tabak bei sich, von denen „der wirkliche Trinidado“ am meisten geschätzt wurde. Sich die Pfeife zu stopfen, war das Erste, was der Cavalier that, nachdem er seinen dreibeinigen Stuhl auf der Bühne eingenommen; dann zündete er sie an, wobei er die brennende Lunte auf der Spitze seines Degens umherreichte oder von seinem Nachbar sich ausbat. Das Rauchen war damals eine vollkommene Kunst; man nahm Unterricht im Rauchen, wie man heute Unterricht im Tanzen nimmt, man hatte die verschiedensten Manieren, um den Dampf zu „nehmen“ und wieder auszublasen, nämlich den „Whiff“ und den „Sniff“ und den „Euripus“, und für den besten Ort, um zu zeigen, was man bei seinem Professor gelernt, hielt man die Bühne.

Dies also war Shakespeare’s Theater, von dem die nach authentischen Vorlagen aus jener Zeit entworfene Abbildung eine deutliche Vorstellung giebt; eine Bühne, 53 Fuß breit und 271/2 Fuß tief; ein Raum von 121/2 Fuß Breite rings um den Rest des Gebäudes für Logen, Galerien, Garderobe und Gänge, so daß der eingeschlossene „Hof“ etwas wie 55 Fuß zu 40 maß, die Wände von Holz und Tünche gegen 32 Fuß hoch – Alles voll von rauchenden, lärmenden, trinkenden, essenden, liegenden, sitzenden und stehenden Menschen und über ihnen des Himmels Dach, blau und sonnig heute, trüb und regnerisch morgen.

Nur die Bühne war gegen den Wechsel der Witterung durch ein Strohdach geschützt, und der Raum auf derselben, wo gespielt werden sollte, von demjenigen Raum, welchen die Stutzer und Schöngeister einnahmen, durch eine Gardine von gewirktem Stoff getrennt. Sie hing, wie jede andere Gardine, in Ringen an einer Stange und ward in der Mitte nach beiden Seiten auseinandergezogen. –

Jetzt schlägt es drei, und der dritte Trompetentusch erschallt von oben. Sogleich bewegt und theilt sich der Vorhang. Der Prolog tritt auf: in einem schwarzen Mantel und ein Lorbeerreis um die Stirn geschlungen. Er liest seinen poetischen Gruß an die Zuhörer, mit dem er sie gleichsam bewillkommt und zu dem Schauspiel vorbereitet, von einem Blatt ab, welches er in der Hand hält. Sobald er geendet hat und abgetreten ist, beginnt das Spiel. Nach dem Ende desselben erscheint der Epilog, gewöhnlich (in Shakespeare’s Stücken fast regelmäßig) eine von den Personen des Drama’s, welche die Zuschauer einlädt, mit dem Beifall nicht zu kargen. „Nun gute Nacht,“ sagt der Epilog des „Sommernachtstraums“,

– Das Spiel zu enden,
Begrüßt uns mit gewognen Händen!

Nach dem Epilog kam der „Jig“ ein Quodlibet von Rede, Gesang und Tanz, zugleich Couplet und Ballet, voll von Anspielungen auf Ereignisse und Persönlichkeiten des Tages, ausgeführt von den „Clowns“ der Gesellschaft und begleitet von Musik. Der Schluß der ganzen Vorstellung wurde damit gemacht, daß alle Mitglieder der Truppe noch einmal erschienen, vorn am Rand der Bühne niederknieten und ein Gebet für die Königin sprachen – eine Sitte, die sich im heutigen England erhalten hat, wo man kein Schauspiel, keine Oper und kein Concert verläßt, ohne daß vorher die Nationalhymne angestimmt würde.

Wie aber sah es nun auf Shakespeare’s Bühne während der Vorstellung aus? Sehr primitiv, die Leser können sich darauf verlassen! Da war keine Decoration und keine Scenerie, da war Nichts als ein großes Bret im Hintergrund, mit der Inschrift: „France“, wenn die Scene in Frankreich lag, oder „Venetia“ und „Verona“, wenn der Dichter uns in das Land versetzen will, wo Othello sein Weib aus Eifersucht erwürgt, wo Romeo und Julia geliebt haben und gestorben sind um ihrer Liebe willen. So rasch wie dieses Bret gewechselt wird, wechselt auch der Schauplatz: Puck selber kann nicht schneller fliegen; in einem Act sind wir zuweilen an sechs verschiedenen Ecken und Enden der Welt, und Alles durch ein Bret! Dieses daher, in Shakespeare’s Sinne, sind „die Breter, die die Welt bedeuten.“ – Wie in jedem guten Hause damaliger Zeit ist auch der Boden der Bühne mit Binsen bestreut, die Wände sind mit Teppichen behängt, ein Balcon ist da und mehrere Vorhänge im Hintergrund. Der Balcon ist für die Belagerungen, wenn die Bürger „auf den Mauern“, oder die Soldaten „auf den Thürmen“ erscheinen; die Vorhänge, „Traversen“ genannt, sind für die Herstellung eines zweiten Zimmers auf der Bühne, wo es erfordert wird, oder wo, wie in „Hamlet“, ein Spiel im Spiele vorkommt. Man half sich in Allem so gut es anging. In einem Stücke soll ein muselmännischer Held begraben werden; das Einzige, was der Dichter thut, um der Einbildungskraft des Zuschauers zu Hülfe zu kommen, ist die Notiz: „Man stelle sich den Tempel Mahomet’s vor.“ In einem andern Stücke soll ein Bauer seinen Nachbarn einladen; um die Zuschauer zu unterrichten, daß die Einladung angenommen sei und daß die Beiden in die Hütte treten, lautet die Bühnennotiz: „Hier bellt ein Hund,“ und der scenische Effect ward dem Schauspieler überlassen, welcher am besten bellen konnte. Zuweilen war auch nicht einmal so viel gethan, um das Publicum über das Wo? und Wie? der Handlung zu unterrichten. Aber doch war das Shakespeare-Theater nicht ganz ohne Vorrichtungen für eine bescheidene Art der Effecte. Es hatte z. B. Fallthüren, welche die Stelle unserer Versenkungen einnahmen. Der Hexenkessel in „Macbeth“ versank durch eine solche Fallthür. In einem andern Stücke heißt es: „Die Magier schlagen mit ihren Stäben auf den Grund und von unten herauf kommt ein braver Baum.“ Es gab auch Mittel, die Figuren nach oben entschweben zu lassen; aber diese waren von einer etwas derberen Substanz, als die unsichtbaren Drähte unserer Zauberstücke. So heißt es in einem Stücke jener Zeit: „Venus geht ab; oder, wenn man es einrichten kann, lasse man von oben eine Kette herab und ziehe sie herauf.“ –

Von Shakespeare’s Theatern stand das in Blackfriars eine lange Zeit, bis es vor Altersschwäche in sich zusammenstürzte; aber der Globe hatte nur ein kurzes Leben. An einem Abend, im Jahre 1613, als Shakespeare’s „Heinrich VIII.“ aufgeführt ward, fiel ein brennender Spahn auf die ausnahmsweise mit einer Strohmatte bedeckte Bühne. Die Flammen griffen reißend um sich in dem hölzernen Gebäude, und es war bald zu Asche verbrannt.

Drei Jahre darauf starb auch Shakespeare; die Asche des Globe-Theaters sollte symbolisch werden für das Schicksal seiner Dichtungen. Denn nun kam der Tag, welchen der Puritaner am Kreuz von St. Paul vorhergesagt – Carl I. ward enthauptet und Cromwell’s eisernes Regiment begann. „Jene Flaggen des Trotzes gegen Gott“, welche von den Theatern geweht hatten, wurden eingezogen; „jene Trompeten, die geblasen worden waren, um die Leute zur Sünde zu rufen“, verstummten. Ein langer Bußtag wurde verkündet, und England saß in Sack und Asche. Die Schauspieler wanderten aus und die Theater wurden geschlossen.

Als diese in dem tollen und kurzen Fasching der letzten Stuarts wieder geöffnet wurden, da waren es andere Theater – Theater, die Shakespeare nicht mehr kannten. Lustige Tänzer und Musikanten aus Italien, schöne Schauspielerinnen und bunte Decorationen aus Frankreich kamen mit dem zweiten Carl aus der Verbannung; aber Shakespeare war vergessen.

Und er blieb es, wohl an die hundert Jahr, bis unser Lessing kam und ihn der Welt zurückgab, bis Schiller und Goethe kamen, die ihn den Unseren nannten, und Schlegel und Tieck, die ihn zu dem Unseren machten. Und so, als den Unsern, wollen wir ihn feiern, dankbar dem Lande, das ihn uns gegeben, aber vor Allen auch denen, die ihn aus hundertjähriger Vergessenheit wieder emporgehoben und dem Gold seiner Dichtung die Zeichen deutscher Arbeit, deutschen Ernstes und deutscher Geisteskeuschheit aufgeprägt haben!




Aerztliche Winke für Badegäste.
Zur Beherzigung für die herannahende Curzeit.

Das Frühjahr kommt, und wieder werden Tausende von Menschen, wie alljährlich, in die verschiedensten Bäder wandern, um die Heilung ihrer Leiden zu suchen, welche sie in der Heimath nicht fanden. Viele der armen Kranken kehren mit getäuschter Erwartung zurück, die Einen, weil sie mit falschen Hoffnungen hingingen, die Anderen, weil sie die Cur nicht zu brauchen verstanden. Das Letztere

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_263.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)