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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Paar riß sich ungern los. Fanny lehnte schlaftrunken an einem Spiegeltisch, die Kammerjungfer ging vom Zimmer in’s Boudoir ab und zu, während Jene sich die Hände drückten, zusammen flüsterten und sich Gute Nacht sagten, nur um sich zu küssen.

„Wenn nun der Schatten wieder kommt?“ begann Montigny auf’s Neue.

„O, er kommt nicht,“ sagte Stephanie. „Er kommt heute ganz gewiß nicht. War’s ein Omen, so ist das Ereigniß eingetroffen, und war’s ein Gebilde meiner Phantasie, ein Traum, so hab’ ich heute süßere Träume.“

„Wenn aber der Schatten –“ Montigny unterbrach sich, legte den Arm um Stephanie und bat: „Verschließe Dein Boudoir und laß mich hier im gelben Zimmer wachen.“

Sie schlug ihm mit einem Kuß, aber bestimmt die Bitte ab. „Wenn Du so bedenklich davon sprichst,“ schloß sie, „erwacht meine Angst wieder.“

„Vergieb, mein Herz!“ erwiderte Edgar, „ich will ja nur auch den leisesten Schatten Dir aus dem Weg schaffen … Doch lassen wir die Todten –“ er biß sich ärgerlich auf die Zunge, „die Schatten, will ich sagen, den Schatten ruhen. Ich glaube wirklich, das frühe Zubettgehen verwirrt mich.“

„Wir wollen in der Residenz uns bessern. O, mein Leben beginnt mit dem Heute erst.“

Ein tieftöniger, nachhallender Schall durchdröhnte das Schloß, ähnlich dem Schlag auf eine Metallplatte oder Glocke.

„Was war das?“ sagte die Gräfin erschreckt.

„Eine Eisenthür krachte in’s Schloß,“ antwortete nach einigen stummen Secunden Montigny.

„Im ganzen Gebäude ist keine Eisenthür. – Der Schall kam von der Capelle her.“

„So fiel dort ein Leuchter oder Crucifix auf den Steinboden.“

„O, wie sehn’ ich mich, dies alte, unheimliche Gemäuer zu verlassen!“

„An Dir nur liegt’s, es bald zu verlassen.“

Stephanie drohte schelmisch mit dem Finger und sagte: „Davon sprechen wir morgen. Ich habe Herrn von Montigny eine sehr ernste Lehre zu geben – daß in solchem verwunschenen Schloß die Wände Ohren haben.“

„Was meinst Du damit?“

„Himmel! es geht auf Zwölf. Nun kein Wort mehr! Gute Nacht, Du schönster, geliebtester Mann! Gute Nacht!“

Sie trennten sich. Edgar begab sich nach seinem Zimmer, wo er Lafleur im Lehnstuhl eingeschlafen fand.

„Vergebung, Euer Gnaden,“ stammelte der unsanft geweckte Diener; „die Landluft macht Einen zum Murmelthier. Erst zwölf Uhr, und das ganze Haus schläft schon.“

Montigny entließ ihn und warf sich angekleidet auf den Divan.

Es erschreckte ihn ein unfaßbares Etwas in der Luft, eine unerklärliche Schwüle in seinem Innern, ein noch ungeborener Gedanke. Ja, dies Unbehagen war stärker als die Freude über Erfüllung seines höchsten Wunsches. Mit halbgeschlossenen Wimpern lag er schlaflos da. Gedanken kamen ihm und gingen, tasteten hierhin, dorthin, jeder in scheuer Furcht vor dem nächsten …

Die Schloßuhr schlug Eins, und immer noch fand Montigny nicht Schlaf. Er stand auf. Die Lampe war so gestellt, daß in Folge dieser Bewegung sein Schatten auf die Wand fiel. „Das ist’s,“ sagte er plötzlich, ergriff eine Schußwaffe und schlich leise, vorsichtig aus dem Gemach; leise, vorsichtig hinab bis vor die Thür des gelben Zimmers. Er legte das Ohr an – Alles still.

Die Nacht triefte von Mondlicht, und der Corridor war grell erleuchtet. Edgar lehnte sich mit dem Rücken an ein Fenster, das der Thür gegenüber lag. Im Zimmer, im ganzen Schloß kein Laut … Doch horch! Es raschelte in der Mauer. Neben der Thür befand sich eine flache Nische mit einer Marmorbüste. Von dort kam das Geräusch, und plötzlich sah Montigny zu seinem Entsetzen die Nische sich langsam, langsam drehen, und dann stand Heinrich ihm gegenüber … Im ersten Augenblick stürzte Edgar wüthend auf Jenen los, wollte ihn zu Boden schmettern, aber der Blick, die Ruhe des Mannes lähmten ihn. „Mensch,“ bebte er, „gestehen Sie oder ich vergesse mich – Was wollen Sie von uns? Wer sind Sie?“

Heinrich trat aus der Nische und sah Edgar mit einem drohenden, vernichtenden Blick fest in’s Antlitz. „Ich bin nur noch der Schatten dessen, der ich war,“ antwortete er, „aber Du, Edgar von Montigny, bist mit Fleisch und Blut, mit Leib und Seele ein ganzer Schurke.“

Edgar drückte die Waffe in seiner Hand nicht ab, riß den langsam Hinwegschreitenden nicht zurück. Leichenblaß, mit starren Augen sah er ihm nach und stammelte: „Er war’s – Heinrich lebt!“

(Schluß folgt.)




Ein Tag in Shakespeare’s London.
Zur dreihundertjährigen Shakespeare-Feier.
Von Julius Rodenberg.
2. Die Breter, die die Welt bedeuten.

Der Stutzer und der Mann von gutem Ton, der zu Elisabeth’s Zeit seine Morgenpromenade in St. Paul macht, kennt bereits die Titel der Stücke, welche heut in den Theatern von London aufgeführt werden: denn unter den andern gottesfürchtigen Ankündigungen an den Wänden dieser Kathedralkirche befinden sich auch die Theaterzettel. Für die profane Menge jedoch und das Publicum im Großen werden sie an die Pfähle geschlagen, welche man hier und da in den Straßen errichtet hat, um die Pferde daranzubinden. An ihnen erblicken wir die sieben Theaterzettel der sieben Haupttheater von London: der Rose, des Schwans, des rothen Ochsen und des Vorhangs, wahrscheinlich nach einem Bilde, ferner des Globus, der Fortuna und der Hoffnung, wahrscheinlich nach einer Figur so genannt, welche an einer besonders sichtbaren Stelle dieser Gebäude als das „Zeichen“ derselben angebracht war. Die Theaterzettel damaliger Zeit enthielten nur die Namen des Stücks, des Dichters, der Truppe und ihres Patrons; aber kein Personenverzeichniß. Leider besitzen wir kein Original eines solchen Zettels mehr; jedoch geben uns die Titelblätter zu den ersten Ausgaben Shakespeare’scher Stücke vielleicht eine Idee von dem Styl, in welchem jene abgefaßt wurden. Hier ist ein Beispiel:

Ihrer Majestät Diener werden heut aufführen:
Eine sehr amüsante und ausgezeichnet erfundene Komödie,
genannt:
Syr John Falstaff und die lustigen Weiber von Windsor,
untermischt mit sonderlich abwechselnden und vergnüglichen Einfällen des
Syr Hugh, eines wälschen Ritters, des Friedensrichters Schaaf, und seines weisen Cousins,
Herrn Schmächtig, nebst den Aufschneidereien des alten Pistol und Corporals Nym
von
Wm. Shakespeare,
wie sie verschiedentlich aufgeführt worden ist von des
Sehr Ehrenwerthen, des Mylord Oberkammerherrn Dienern
sowohl vor Ihrer Majestät als anderweit.

Shakespeare’s Truppe, die vornehmste und bedeutendste jener Zeit, hatte zwei Theater: ein Wintertheater, Blackfriars genannt, und ein Sommertheater, den Globe. Das Blackfriarstheater, das älteste in London, und das erste, in welchem überhaupt je gespielt worden ist (seit dem Jahr 1576), stand in der Nähe der heutigen Blackfriarsbrücke. Genau da, wo jetzt die vier kolossalsten Schnellpressen von London arbeiten und finstere Speicherthüren unausgesetzt die bedruckten Zeitungsballen der „Times“ ausspeien, da spielte einst Shakespeare den Geist von Hamlet’s Vater. Das Blackfriarstheater war ein sogenanntes Privat-Theater, d. h. es war kleiner, als die andern, welche im Gegensatz dazu die öffentlichen Theater hießen, hatte ein vollständiges Dach, hatte Sitze

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_260.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)