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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

sehen, um zu wissen: Sie mußten sich wählen! Er schön und liebenswürdig, ein Edelmann, und Sie – womit beginn’ ich, wann würd’ ich aufhören, Sie zu loben? Und bei allen diesen Göttergaben sind Sie so reich, daß seine Armuth nicht in Rede kommt.“

„O, was ich besitze, soll sein Eigenthum werden. Man soll ferner nicht sagen: der arme Montigny! Ich lege mein Schloß, mein Gold und mich selbst ihm zu Füßen.“ - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

So schwärmte die junge Frau, entwarf Pläne künftigen Glückes und schwelgte im Jubel ausgesprochener Liebe. Während dessen kniete Waldenburg, ein elender, hoffnungsloser Mann, vor dem Crucifix im Thurmzimmer.

„Herr! Gott!“ rief er. „Aus den Tiefen der Verzweiflung schrei’ ich nach dir. Wo ist der Zug deines Antlitzes in ihrem Antlitz? wo dein Finger in diesen Schicksalen? Was ist dein Werk, wenn jene Creaturen Gottes Werk sind! ... Vergieb, daß ich mit meinem endlichen Leid dir nahe; du bist ja der Unfaßbare, der Unendliche. Aber der Schmerz, der mich durchwühlt, ist mein höchster Schmerz; was ich besaß, war mein Himmel auf Erden; was ich verlor, mein All! Und wenn ich auch der ganzen Welt und deiner Milliarden Sterne gedenke, mein Leid und mich kann ich über dem Ungeheueren nicht vergessen. Du liebst Nichts, wenn du Einen verzweifeln lässest! … Du dort, mit dem menschlichen Angesicht, du Dornengekrönter, riefst du nicht: Mich dürstet!? Neige dich zu mir! Nur einen Tropfen deiner Menschenliebe flöße mir wieder in die lechzende Seele! Denn mein ganzes Wesen ward in Bitterkeit und Haß verwandelt …“

Der Angstschweiß trat auf seine Stirn, er zitterte. „Mein Gebet ist vergebens,“ sagte er sich, „denn ich bin ein Frevler vor dem Ewigen. Ich habe das Geheimniß des Todes entweiht. Das Buch mit den sieben Siegeln versucht’ ich zu lesen und konnte doch nur dies entziffern: Alles eitel … Nun führe ich, am Tod und Leben rechtlos, eines Schattens Leben, der vom Baume fällt, indeß die Sonne schon unter ist …“

„Und wenn ich jetzt vor mein Weib, unter die Menschen träte und in alle Welt ausriefe, daß ich Heinrich bin – ich gewänne mein Weib und die Welt nicht mehr. Alle würden scheu vor mir zurückweichen, Alle mich fliehen und fliehend verdammen. Ich trüge den Fluch auf der Stirn, Jedem leserlich: Meine Sünde war Selbstmord!“

Eine Nachtigall schlug im Garten. Ihre schwermuthsvollen Töne zogen wie Trösterworte in das Ohr. Schmeichelnd trug der Abendwind den Duft von Rosen in’s Zimmer, und vom blauen Himmel nieder grüßte der Liebesstern.

Langsam legte sich der Sturm in Heinrich’s Brust, und er begann zu überlegen, was ihm zunächst zu thun. Mit dem Vorsatz, Stephanie zu warnen, begab er sich dann hinab und ließ die Gräfin um eine Unterredung bitten.

Diese saß, Edgar’s Heimkehr von der Jagd erwartend, im gelben Zimmer und ließ sich von Fräulein Fanny aus einem französischen Roman vorlesen. Als Titi den Kaplan meldete, flog das Buch unter die Sophakissen, und Fanny ergriff ein reichgebundenes Gebetbuch, das als Schaustück zwischen Albums und Illustrationswerken auf dem Tisch lag. Stephanie streckte sich auf den Divan und empfing Heinrich mit leidender Miene.

„Sie entschuldigen mich, Herr Stein,“ sagte sie, „ich fühle mich sehr schwach, sehr elend. Uebrigens,“ setzte sie mit einem Blick auf Waldenburg’s blasses, gramentstelltes Gesicht hinzu, „finde ich auch Sie krank aussehend. Sind Sie nicht wohl? Ich habe keinen Arzt mehr im Schloß, denn meines Mannes Leibarzt nahm räthselhafter Weise unmittelbar nach Heinrich’s Tod seinen Abschied und lebt, wie ich höre, gegenwärtig in Amerika. Ich fürchte, er hat den theuern Todten auf dem Gewissen. Aber in Wendelstein wohnt ein trefflicher Arzt; ich werde ihn holen lassen, er mag uns Beide behandeln.“

Waldenburg lehnte die Hülfe ab; diese Blässe sei seine natürliche Farbe. „Sie denken, Sie studiren zuviel, Herr Kaplan,“ ergriff Fanny das Wort. „Es ist bereits verrathen, daß man heute am frühen Morgen Ihre Lampe brennend und Sie noch wach und in Kleidern bei den Büchern fand.“

„O, das müssen Sie nicht thun,“ versetzte Stephanie lebhaft.

„Mein Mann dachte und las auch soviel des Nachts, und das untergrub seine Gesundheit, zerstörte seine Nerven. Folgen Sie hierin nicht dem Rath Pater Angelo’s, den ich für keinen Menschen, für einen Dämon halte. Ich will heitre Wesen um mich sehen … Doch, ach! ich predige Fröhlichkeit und bin selbst zum Sterben betrübt. Der Schatten, der furchtbare Schatten erschien auch in der vergangenen Nacht.“

„Vereinigen Sie Ihre Bitten mit den meinigen, Herr Kaplan!“ sagte Fanny. „Die gnädigste Gräfin muß in einem andern Zimmer schlafen.“

„Umsonst!“ entgegnete Stephanie, welche die Erinnerung an das Phantom jetzt wirklich traurig machte. „Er wird mir auch dahin folgen.“

„So löschen wir wenigstens die Lampe vor dem Schlafengehen und schließen die Thür Ihres Boudoirs.“

„Nein, nein,“ rief die Gräfin, „er würde in mein Gemach selbst, würde auf mein Lager fallen. Ich würde ihn fühlen die ganze Nacht, wie Eis, wie den kalten Tod auf meinem Herzen.“

„Dann bin ich rathlos, um so mehr, da er für mich durchaus nicht sichtbar sein will. Er war auch heute wieder verschwunden, als ich der Gräfin zu Hülfe eilte.“

„O,“ sagte Stephanie nachdenklich, „Niemand wird ihn sehen, Niemand an ihn glauben, außer mir. Ich aber werde ihn Nacht für Nacht schweigend kommen und gehen sehen, wie einen Arzt an’s Lager einer Hoffnungslosen. Er wird kommen und gehen, bis ich selbst in’s Reich der Schatten sinke … Ich habe über Ihre Worte von gestern nachgedacht, Herr Stein, doch find’ ich keinen Aufschluß durch sie. All mein Denken war bisher einem sorglosen Blick in’s Blaue gleich, und die Menschen, die ich liebe, die mir werth und wichtig sind, leben noch, sind frisch und froh und nächtlichem Spukwerk fremd.“

„Leben Alle, die Sie lieben?“ fragte Heinrich leise.

„Alle. – Außer meinem Gemahl,“ setzte sie leicht erröthend hinzu. „Aber Heinrich war so sanft, so gut. Er wird mich auch im Tod nicht kränken und schrecken.“

Waldenburg senkte sein Haupt.

„Der Schatten wird wohl nicht wieder kommen,“ sprach er nach einer Pause … „Doch, gnädigste Gräfin, bevor Ihre Gäste Sie beanspruchen, bitte ich in einer Angelegenheit, die – die Angelo mir an’s Herz legte, um kurzes Gehör!“

Fanny entfernte sich auf einen Wink ihrer Herrin. Sobald sie allein waren, schwand der ruhige Ausdruck, den Heinrich in Haltung und Gesicht mühsam bewahrt hatte. Stephaniens Wort, daß er sie auch im Tode nicht kränken könne, hatte ihn tief erschüttert. In leidenschaftlicher Art sprang er auf und that einen Schritt gegen seine Gattin hin. Stephanie, von Staunen, von Furcht ergriffen, legte unwillkürlich die Hand an die Klingelschnur. Diese Bewegung gab dem Manne die Selbstbeherrschung wieder. „Ich will Sie weder kränken noch schrecken,“ sagte er bitter.

Stephanie zog langsam den ausgestreckten Arm zurück, aber ihre Augen betrachteten Heinrich mit Angst und Sorge.

„Ich werde mich kurz fassen,“ begann er. „Gott hat es gefügt, daß sich die Wege Ihres Schicksals mir klar enthüllten. Ich stehe hier als Warner, als Ihr einziger Freund. Vorher jedoch empfangen Sie mein Bekenntniß, das mich in diesem Fall nicht erröthen macht: Ich belauschte ein Gespräch zwischen Ihrem Cousin und Baron Aßperg.“

„Ich hoffe, unfreiwillig?“ erwiderte die Gräfin, deren Schrecken sich in Ungeduld und üble Laune verwandelte.

„Nein, denn es handelte sich um Ihr Wohl und Wehe, um das Glück Ihrer Zukunft … Gräfin, denken Sie wirklich Ihre Hand diesem Montigny zu reichen?“

„Mein Herr,“ fuhr Stephanie empor, „wenn Sie diese Vermuthung hegen – die ich nur gleich bestätigen will – bitte ich, mit geziemenderem Wort und Ausdruck von meinem künftigen Gatten zu sprechen.“

„Sie reichen ihm Ihre Hand?!“ rief Heinrich außer sich.

„Und warum nicht? Ist es denn unerhört, daß Wittwen sich zum zweiten Male verheirathen? O, ich weiß, Sie sind ein heiliger Mann; Sie werden mir zum Kloster rathen. Aber ich sehne mich nicht nach der Märtyrerkrone, nach dem Heiligenschein; ich will kein Engel, will ein Weib sein, das liebt und geliebt wird!“

„Verzeihung, aber ich glaubte an Treue, die über Gräber währt … durch Angelo kenne ich Sie von Ihrer Kindheit an. Unfreundlich und stürmisch war Ihr Lebensmorgen, trüb der Blick

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_258.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)