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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

waren Kapellen und Schreine, welche von kostbaren Steinen und Gold und Silber schimmerten; die Glasmalereien der Fenster warfen ein vielfarbiges Licht auf das prachtvolle Silbergeräth des Hochaltars und den Schrein des heiligen Erkenwald, an welchem ein großer Sapphir funkelte, von dem man glaubte, daß er die Krankheiten der Augen heilte. – So oft Königin Elisabeth mit ihrem noblen Gefolge nach St. Paul kam, um dem Gottesdienste beizuwohnen, wurde sie fast unveränderlich begleitet von „zwei weißen Bären“. Aber dieses war nicht das Aergste. Schon seit der Reformationszeit war das Schiff des Domes ein ganz allgemeiner Durchgang geworden für die Lastknechte mit Bierfässern, Brodkörben, Fisch, Fleisch und Früchten; beladene Maulesel, Pferde und andere Thiere zogen unaufhörlich von der einen Thür zur andern, die Marmormosaiken mit Stroh, Abfall und Schmutz jeder Art bestreuend. Durch die hohen Flügel des Domes klang Rossegewieher und auf den Bänken im Chöre schnarchten die Trunkenbolde. An die Säulen wurden Zettel geschlagen und an der sogenannten „Si quis“-Thür drängten sich die Dienstboten, welche eine Herrschaft suchten. Die Advocaten hatten ihre Stände, an denen sie ihre Clienten empfingen. In den Seitengängen standen die Wucherer, und das Taufbecken ward als Comptoir bei den Zahlungen benutzt. Der Lärm war sehr groß, und während in einem Theil des Domes die Orgel ging und die Predigt gehalten ward, wurde in dem andern geflucht, geschworen und betrogen. Das Mittelschiff aber war für die fashionable Promenade reservirt; es war der Platz für die Neuigkeiten und das tägliche Rendezvous für die geistreichen und galanten Herren der Stadt.

Dieser mittlere Theil der Kirche hieß im Jargon jener Tage „das mittelländische Meer“, oder „Herzog Humphrey’s Promenade“, nach dem Grabmonument des Herzogs Humphrey genannt, welches sich darin befand. „Mit Herzog Humphrey zu Mittag speisen“, hieß in der damaligen Redeweise so viel, als kein Geld haben, um ein Mittagsessen zu bezahlen. Ein Diarist jener Zeit, Francis Osborn, giebt uns folgende Beschreibung: „Es war damals die Mode für die bessern Classen, für Lords und Hofleute und Männer von allen Berufsarten, sich in St. Paul gegen eilf Uhr Morgens zu treffen und in dem Mittelflügel bis zwölf zu promeniren, nach dem Mittagsessen aber von drei bis sechs, während welcher Zeit Einige von Geschäften, Andere von Neuigkeiten sprachen. Nun, in Rücksicht auf den Weltverkehr ereignete sich wenig, was nicht zuerst oder zuletzt hierher gekommen wäre. Und ich, als ich jung war, mischte mich um diese Stunden unter die auserlesenste Gesellschaft, die ich auftreiben konnte.“ Hierher, in diese seltsame Versammlung der Laster, Thorheiten, Moden und Launen des damaligen Londons, ist auch Shakespeare oft genug gekommen. Hier fand er die Modelle für seine Komödien und die Zielscheiben für seinen Witz. Hier fand er Pistol und Bardolph, Junker Tobias von Bleichenwang und Junker Schmächtig. „Hier (in St. Paul) habe ich ihn mir gekauft,“ wie Falstaff von Bardolph sagt. –

Wo aber fand er ihn selber, ihn „den alten, fetten Ritter“, diese Blume aller Kneipgenies? Nun, ich denke der Ort ist nicht zu verfehlen, wo der sich aufhält, dessen Wort ist: „Soll ich meine Bequemlichkeit nicht haben in einem Wirthshaus?“ Die Tavernen „zur Meermaid“, „zur Mitra“, „zum Horn“ oder „zum Eberkopf“ sind nicht weit, und in einer davon werden wir ihn finden, denn, wie es in dem Codex der Modeherren von damals hieß: „sein Essen muß in einer von den berühmten Tavernen sein.“

Aber ehe wir noch diese Stätten fröhlicher Geselligkeit, gefüllter Krüge und sprudelnder Witze erreichen, haben wir noch, grad beim Austritt aus St. Paul, einen merkwürdigen Anblick. Hier, auf dem Kirchhof von St. Paul, um eines jener Straßenkreuze, an welchen das alte London reich war, sitzt eine Versammlung von Andächtigen in freier Luft, und unter dem Kreuz steht ein Mann in Schwarz, welcher predigt. Es ist ein Puritaner, welcher gegen die Sittenlosigkeit der Zeit, gegen ihre Vergnügungen und ihre Theater nicht am wenigsten donnert. Dieser Mann und seine Partei werden auch ihren Tag haben, um die Kirchen zu säubern und die Theater zu schließen!

Man sagt, daß Shakespeare die Bekanntschaft von Sir John Oldcastle (denn so hieß das Original unseres bewunderten Freundes Sir John Falstaff) in einer Taverne von Eastcheap, im „Eberkopf“ gemacht habe. Diese Taverne erfreute sich noch sehr lange eines großen Ruhms in der Nachbarschaft des Fischmarktes von Billingsgate, bis zu Anfang des vorigen Jahrhunderts der damalige Besitzer, vielleicht aus Reue über die Sünden seiner Vorgänger und Vorgängerinnen, diesen Aufenthalt der „Dame Hurtig“ der Kirche vom heiligen Michael vermachte, um einen Kaplan aus dem Einkommen zu unterhalten. Aber der Eber wollte unter dem Kirchenregiment nicht recht mehr floriren; zu Anfang unseres Jahrhunderts wurde das alte Nest zwischen einem Barbier und einem Flintenschmied getheilt, über deren aneinanderstoßenden Läden bis zum Jahre 1831 noch der in Stein gehauene Eberkopf zu sehen war. Da aber wurden auch diese letzten Insassen des Eberkopfs expropriirt, das Haus wurde niedergerissen, um Raum für die neue London Bridge zu machen, und genau auf der Stelle, wo der „alte Jack“ gezecht und, als er seine Schulden nicht bezahlen konnte, mit einem Schwur auf seinen vergoldeten Becher der Wirthin die Ehe versprochen, steht nun die Bildsäule eines Mannes, der seiner Zeit nicht weniger corpulent, aber viel weniger witzig war: die Reiterstatue Wilhelm’s IV.

Die Taverne, welche Shakespeare meistens frequentirte und wo er mit seinen Freunden die längsten und berühmtesten Sitzungen hielt, war die Taverne „zur Meermaid“, deren heitere Zechstube unsere Abbildung zeigt. Sie stand in Breadstreet, einer Nebengasse von Cheapside, zwischen der heutigen Southwark-Bridge und London-Bridge. Das Haus, wie fast das ganze Shakespeare’sche London, wurde von dem großen Feuer hinweggenommen; indessen zeigt man noch heute den Platz, wo es gestanden, und eine gute Reihe von Traditionen hat sich erhalten. Der Name des Wirthes war Dun. Seine Gäste versammelten sich entweder zum Mittagsessen, welches gleich nach zwölf eingenommen wurde, oder zum Abendbecher, gegen sechs, wenn das Theater aus war. Speisezettel gab es damals allerdings nicht. Aber doch haben sich einige Kochbücher aus jener Zeit erhalten. Vielleicht interessirt es die Leserinnen, zu erfahren, was Mr. Dun’s Küche für Shakespeare und seine Freunde thun konnte. Hier sind einige Delicatessen: gekochte Tulpenstengel; marinirter Puter, in Weißwein und Essig gesotten und mit Fenchelsauce servirt; gepökelte Gans mit Nelken und Ingwer; Gelée von Kleeblumen und Omeletten von Malvenstengeln mit Rosenwasser.

Aber wir glauben, daß der feiste Herr am obern Ende der Tafel, der, welcher von sich zu sagen scheint: „Du siehst, ich habe mehr Fleisch als andere Menschen und also auch mehr Schwachheit,“ – wir glauben, daß der es mit dem „Roast-beef von Alt-England“ gehalten, und daß er mehr Sect als Rosenwasser zu sich genommen. „Ich wollte den fetten Jack nicht für die Hälfte der großen Männer in den Chroniken aufgeben!“ ruft Washington Irving aus. „Was haben sie für mich oder meinesgleichen gethan? Sie haben Länder erobert, von denen ich keine Hand breit besitze; oder sie haben Lorbeeren errungen, von denen ich kein Blatt geerbt; oder sie haben Thaten verrichtet, welche ich ihnen nachzumachen weder die Kühnheit noch die Gelegenheit habe. Aber der alte Jack Falstaff! – der freundliche Jack Falstaff! – der süße Jack Falstaff! – hat die Grenzen des menschlichen Vergnügens erweitert; er hat große Gebiete des Witzes und der Laune hinzugefügt, in welchen der ärmste Mann sich ergötzen mag, und er hat eine unfehlbare Erbschaft von fröhlichem Gelächter hinterlassen, um die Menschheit lustiger und besser zu machen bis in das späteste Geschlecht.“ – Darum Heil dem edlen Sir John Falstaff! Und Heil dem edlen Sir John Oldcastle, der des vortrefflichen Bildes vortreffliches Original gewesen!

Zwischen dem Essen und Trinken wurde scharf gedampft, denn seit Sir Walter Raleigh den ersten Beutel voll Tabak aus Westindien mitgebracht, war das Rauchen in den exclusiven Kreisen jener Tage Mode geworden. Shakespeare’s Collegen vom Globe- und Blackfriars-Theater, Lawrence Fletcher und John Taylor und Richard Burbage, die Originaldarsteller von Hamlet, Lear und Othello, rauchten. Shakespeare selber scheint der neuen Mode nicht gehuldigt zu haben, da er derselben in keinem seiner Stücke Erwähnung thut; aber Ben Jonson muß ein Freund von dem „ Schnepfenkopf“ gewesen sein, wie man die Pfeife damals nannte. In seinen Komödien ist sehr oft die Rede davon. Richard Burbage war der erste Schauspieler seiner Zeit. „Der wird für keinen Gentleman gerechnet, der Dick Burbage nicht kennt; es giebt kein Landmädchen, das nicht von Dick Burbage sprechen könnte,“ heißt es in „Rückkehr vom Parnaß“, einem Schauspiel aus dem Jahre 1602. Richard Burbage muß auch ein sehr schöner Mann gewesen sein. Einmal, als er Richard III. gespielt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_247.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)