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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

sind kleine Einfriedigungen, in welchen sich zahlreiches Federvieh befand. Ein mit Laub bedeckter Gang führt zum mittleren Theile des Hauses. Dieses besteht aus zwei Etagen mit kleinen Fenstern und sieht in seiner hellen Farbe recht freundlich und einladend aus. Dicht an den hintern Theil des Hauses lehnt sich ein Hügel, der eine kleine Mühle trägt. Von dem Hügel hatten wir eine imponirende Aussicht rechts über’s Meer, geradeaus auf Maddalena, und links auf die Bucht, welche man dort den See nennt. Rundum Klippen, Felsmassen und Wasser. Wir stiegen eben den Hügel wieder herab, als ich plötzlich einen Mann auf Krücken und in der Garibaldiuniform in der Entfernung von etwa zwanzig Schritt von uns gewahrte. „Garibaldi!“ flüsterte ich zu meinem hinter mir gehenden Begleiter. Wer anders konnte das sein, als Garibaldi selbst? Wir blieben stehen, nahmen ehrfurchtsvoll unsere Hüte ab und verbeugten uns. Mit großer Leichtigkeit bewegte er sich auf seinen Krücken und ging noch einige Schritte auf uns zu. Dann blieb er stehen. „De l’autre côté, Messieurs, s’il vous plaît; après je vous attends,“ rief er uns mit kräftiger und volltönender Stimme und mit dem feinsten französischen Accent freundlich zu, indem er auf den ersten Eingang zum Hofe zeigte.

Bald darauf kam der Major Basso, der treue Freund des Generals, den er schon nach Amerika begleitet hat. Das erwähnte Zimmer im Quergebäude war sein Studirzimmer. Er führte uns in’s Haus, wo wir über die Diele, durch die Küche und einen Gang in ein kleines Gemach gelangten. Es war Sitte, daß man im ganzen Hause die Kopfbedeckung aufbehielt, der Major erinnerte mich wiederholt daran. Er öffnete den an ihn gerichteten Brief, fand darin einen zweiten Brief an Garibaldi und ging mit diesem und dem andern Empfehlungsschreiben, das mir die Marchesa Pallavicino eingehändigt hatte, in das nebenan befindliche Zimmer des Generals. In der Stube, in der wir uns befanden, stand das Bett Garibaldi’s, das, in Heidelberg angefertigt, ihm zum Geschenk gemacht wurde. Er hat sich desselben so lange bedient, als seine Wunde noch nicht geheilt war. Ich erkannte es sofort nach der Abbildung, welche davon in der „Gartenlaube“ gegeben worden ist. Nachdem wir eine kurze Zeit gewartet hatten, erschien Garibaldi. Er wandte sich an mich und fragte: „Parlez-vous français ou italien?

Italiano, un poco, signor Generale.

Ah, è meglio“ (das ist besser), erwiderte der General mit dem ihm eigenthümlichen, gewinnenden Lächeln und nöthigte uns zum Sitzen. Basso blieb hinter uns stehen. Zuerst erkundigte sich Garibaldi angelegentlich nach dem Marchese Pallavicino und der Marchesa. Ich überbrachte ihm die mir mündlich aufgetragenen Grüße. Dann händigte ich ihm die noch in meinem Besitz befindlichen Empfehlungsbriefe ein, auch ein Gedicht und ein Briefchen der Enkel des verstorbenen Patrioten Wirth, zweier Kinder, von denen der Knabe Corporal bei der Bürgerwehrjugend in Frankfurt ist. Er zog sein Augenglas hervor und las die ihm von mir übergebenen Schreiben aufmerksam durch, dann und wann beifällig lächelnd. Besonders schien er sich über einen mir in Frankfurt eingehändigten Brief des Generals Haug zu freuen, der im Jahre 1849 in Rom unter ihm gefochten hatte. Als er an eine Stelle kam, worin dieser ihm von meiner fünfjährigen Gefangenschaft geschrieben, drückte er mir lebhaft die Hand und sagte herzlich: „Tenetemi per un vostro amico!“ („zählt mich zu Euren Freunden!“) Ich konnte ihn inzwischen aufmerksam betrachten. Ohne die Krücken hätte man ihn für einen völlig Hergestellten gehalten. Sein Aussehen war kräftig, frisch und gesund und entsprach den Bildern, die vor seiner Gefangenschaft aufgenommen sind.

Demnächst ging er über auf die Politik und fragte mich nach meinen Ansichten und Hoffnungen in Bezug auf Deutschland. Ich setzte ihm die dortigen Verhältnisse in Kurzem auseinander, die Sympathien, welche in einem großen Theile von Deutschland für ihn und das italienische Volk vorhanden wären, und das gemeinsame Interesse, welches beide Völker mit einander verbände. Er erwiderte darauf mit großer Gewandtheit im Ausdruck, mit tiefem und heiligem Ernst und mit seinem stolzen, volltönenden und zum Herzen dringenden Organ. Ich füge hier die Antwort, welche ich bald darauf notirte, in wörtlicher Uebersetzung bei, weil sie, von Garibaldi kommend, für Deutschland nicht ohne Bedeutung ist. Natürlich kann ich nicht für jedes einzelne Wort einstehen, aber im Wesentlichen gebe ich seine Worte richtig wieder: „Wir Italiener,“ sprach er, „sind in derselben Lage, wie Ihr Deutschen Euch befindet, indem Ihr für Eure Unabhängigkeit kämpft. Wie Ihr ein einziges Deutschland gründen wollt, so wollen auch wir ein einziges Italien haben. Deshalb ist zwischen Deutschen und Italienern eine Verständigung nöthig, um sich als Brüder zu vereinigen, damit wir es moralisch verständlich machen, daß wir frei sein wollen, und um uns von dem Joche zu erheben, in welchem wir uns befinden. Sodann ist beiden Nationen gemeinsam der niedrigste Feind, Louis Napoleon, der Verräther aller Nationen, schädlich für die Welt, der nicht existiren sollte. Mir, der ich in Nizza geboren bin, mir hat er mein Vaterland geraubt! Wäre er nicht mehr auf dem Throne, so würden die Völker ruhig, zufrieden und frei sein und ihre Regierungen nach ihren, Willen wählen.“ Garibaldi sprach dies mit großer Ruhe und Würde. Als er aber auf Louis Napoleon und sein geraubtes Vaterland kam, da drängten sich ihm die Worte in der Hast des Eifers über die Lippen, und Feuer des Zornes sprühte aus seinen wunderbar schönen Augen. Hierauf fügte er noch hinzu: „Die deutsche Nation ist eine edle Nation, welche, freilich langsam und bedächtig, aber immer vorwärts geschritten ist. Die Franzosen dagegen haben viele Revolutionen gemacht, aber sie sind eher rückwärts als vorwärts gegangen.“

Große Freude machte es Garibaldi, als ich ihm erzählte, daß meine Vaterstadt die erste Stadt in Deutschland gewesen sei, in welcher eine Geldsammlung für seine denkwürdige Expedition in Sicilien und Neapel veranstaltet worden wäre. Ich zeigte ihm die Nummer des damaligen officiellen Blattes von Palermo, in welcher mir über den Empfang von 107 Thlr. Pr. Crt. als Geschenk für die Nationalcasse quittirt ward, um ihm zu beweisen, daß meine Sympathien für ihn und die italienische Sache nicht erst jetzt entstanden wären. Das Concept eines Briefes, den ich am 22. Juli 1860 an ihn gerichtet hatte, der aber nicht an seine Adresse gelangt war, las ich ihm vor, und er gab zu der folgenden Stelle seine lebhafte Zustimmung zu erkennen: „Auch im Norden Deutschlands ist die Zahl derer groß, welche Ihren Waffen den besten Erfolg und dem italienischen Volke die Freiheit und die Unabhängigkeit wünschen. Vergessen Sie niemals, daß die Völker sich immer lieben und daß nur die Regierungen aus egoistischen Absichten den Haß und die Zwietracht unter die verschiedenen Völker säen.“

Wir kamen auch auf die venetianische Frage zu sprechen. Der General fragte mich, wie man über dieselbe in Deutschland denke. Ich erwiderte ihm, daß allerdings eine Partei in Deutschland existire, welche Venedig nicht aufgeben wolle; daß aber die liberalen Fractionen im übrigen Deutschland zum bei weitem größten Theil sehr wohl einsehen, daß Venedig eine italienische Stadt sei und deshalb Italien gehöre, und daß sie mit sich in Widerspruch geriethen, wenn sie das ganze deutsche Volk als ein einheitliches Ganzes constituiren und Italien, nehme es das Gleiche für das italienische Volk in Anspruch, dies Recht bestreiten wollten. Ueberdies sei Venedig für Oesterreich nur eine Quelle von Verlegenheiten, deren Ende nicht abzusehen wäre, so lange es einen Theil des Kaiserstaates bilde. Wir hätten daher überall kein Interesse, Venedig den Italienern vorzuenthalten. Aber wir müßten auch die Garantie haben, daß Venedig den Italienern und nicht unserem gemeinschaftlichen Feinde, Louis Napoleon, zu Gute komme. Aus diesem Grunde glaubte ich versichern zu dürfen, daß unter den deutschen Patrioten Niemand wäre, der wünschte, daß Venedig im gegenwärtigen Augenblick, wo Louis Napoleon mit seiner bewaffneten Macht noch Rom im Schach halte und folglich das italienische Volk nicht Herr seiner selbst wäre, an Italien abgetreten würde. Erst wenn die Zeit gekommen, wo kein französischer Soldat mehr auf italienischem Grund und Boden stände und Rom die Hauptstadt Italiens sei, hätten wir die Garantie, daß Italien sich selbst gehöre, und dann würde ein Krieg Oesterreichs für die Erhaltung Venedigs den Kern der liberalen Partei in Deutschland zum Gegner haben. Deshalb aber erscheine es mir wichtig, daß Italien in erster Linie Rom zu gewinnen suche. Der General hörte meine Auseinandersetzung aufmerksam an und ließ der Folgerichtigkeit dieser Politik alle Gerechtigkeit widerfahren.

Nachdem Garibaldi noch einige Worte mit meinem Begleiter gewechselt, sagte er zu uns: „Passeremo al pranzo e poi parleremo di più“ („gehen wir zum Mittagsessen und dann sprechen wir weiter“).

(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_235.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)