Seite:Die Gartenlaube (1864) 234.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

in Deutschland und die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer engeren Vereinigung des deutschen und italienischen Volkes darlegen.

Wer von Genua nach Caprera geht, spart Kosten, wenn er in ersterer Stadt ein Billet direct nach Maddalena nimmt, mit welcher nur eine Stunde von Caprera entfernten kleinen Insel die italienische Dampfschifffahrtsgesellschaft Robattini eine Verbindung unterhält. So that auch ich, als ich mich am 10. October Morgens 8 Uhr auf das Dampfschiff l’Italia begab, das um 101/2 Uhr die Anker zur Weiterfahrt lichtete.

Das Wetter war prachtvoll. Tiefe Windstille und ein blauer italienischer Himmel über uns. Nach Osten zu das italienische Ufer mit den Wellenlinien seiner bläulichen Berge. Bald erhob die Insel Gorgona ihre steilen Klippen aus dem grünen Meere. Dann kam die Insel Capraja mit ihren gewaltigen Felsenmassen, an denen wir dicht vorbei schifften. Weiter erschien Corsica.

Nach einem einstündigen Aufenthalt auf der Rhede von Bastia, von wo wir die weißen Häuser der Stadt und auf dem Marktplatze die kolossale Statue Napoleon’s I. erblicken konnten, welche in neuerer Zeit die Bewohner von Bastia ihrem ehrgeizigen Mitbürger gesetzt haben, fuhren wir weiter nach Süden und sahen noch in der Ferne die durch Alexander Dumas berühmt gewordene Insel Monte Christo. Dann aber ward’s dunkel. Die Luft blieb warm wie am Tage, und die vom Schiffe durchschnittenen Wellen sprühten elektrische Funken. Bis gegen Mitternacht weilte ich noch auf dem Deck im einfachen Oberrock.

Es waren noch drei andere Personen, die mit mir nach Maddalena und Caprera sich einschiffen wollten. Zwei Brüder, Alpinolo und Teodoro Sgaralino aus Livorno, Söhne des Major Sgaralino, welcher unter Garibaldi als Officier der freiwilligen Cavallerie alle Feldzüge desselben mitgemacht hatte. Ich sah ihn, als er seine Söhne nach dem Dampfschiffe begleitet hatte. Er trug noch die Uniform der freiwilligen Reiterei mit dem kurzen dunklen Halbrock. Er hinkte: ein Schuß war ihm durch die Hüfte gegangen. Nach der Lebhaftigkeit seiner Bewegung zu schließen, war dies indeß kein Hinderniß für ihn, noch einmal der Fahne Garibaldi’s als Freiwilliger sich anzuschließen. Sein ausdrucksvolles und kühnes Gesicht schien diesen Augenblick herbeizusehnen. Die Söhne waren ein Paar liebenswürdige junge Leute. Der Eine derselben, welcher erst kürzlich aus Californien zurückgekehrt war, wo er mehrere Jahre in einem kaufmännischen Geschäfte gearbeitet hatte, sagte mir: „Ich werde auch noch einmal Soldat. Aber ich diene nur unter Garibaldi,“ setzte er, sich stolz aufrichtend und augenfunkelnd, hinzu. Der Dritte, welcher nach Caprera wollte, hieß Edoardo Magherini. Er diente mit dem Grade eines Lieutenants auf der königlich italienischen Kriegscorvette Magenta als erster Maschinist und war ein aufgeweckter munterer Mann von dreißig Jahren, begabt mit gesundem Verstande, der mit großer Gewandtheit und Energie die „natürlichen Menschenrechte“ zu vertheidigen wußte. Er stammte aus Livorno und hatte jetzt einen kurzen Urlaub erhalten. In vier Wochen wollte er mit seinem Schiffe nach Amerika gehen. Sein Vater war früh gestorben, und er nun die männliche Stütze seiner Mutter und seiner Geschwister.

Bereits in der Nacht waren wir in der Nähe der Insel Maddalena, welche sich dicht am nördlichsten Theile der Insel Sardinien aus dem Meere erhebt. Die Einfahrt nach dem auf derselben belegenen Städtchen gleichen Namens windet sich zwischen Klippen durch eine enge Straße und ist bei Nacht nicht zu passiren. Deshalb kreuzten wir bis Tagesanbruch auf hoher See, und dann erst fuhren wir in die von felsigen Inseln umgebene Meerenge. Die Insel Caprera ist von der Insel Maddalena durch einen schmalen Meeresarm getrennt, welcher einen vortrefflichen Hafen bildet. In demselben hat einst die ganze Nelson’sche Flotte Zuflucht gefunden. Nicht weit von dem Städtchen Maddalena eröffnet sich die Aussicht auf Caprera, welches ganz aus Felsen und Klippen besteht und zu einer Höhe von vielleicht 2000 Fuß emporsteigt. Im Vordergrunde auf einem Hügel von einigen 100 Fuß erhebt sich ein kleines Häuschen mitten in unwirthbarer Gegend, wo alles vegetabile Leben erstorben zu sein scheint, umgeben von gigantischen Felstrümmern und Felsmassen. Es ist die Wohnung Garibaldi’s.

Um 7 Uhr ankerten wir in Maddalena. Es giebt dort nur ein Wirthshaus, und in diesem ist nur ein geräumiges Fremdenschlafzimmer mit zwei Betten, welches von mir und Signor Edoardo, dem Maschinisten, occupirt ward. Dem Wirth, Raffo Lorenzo, steht aber noch ein anderes ihm gehöriges, von seinem verheiratheten Sohne bewohntes Haus zu Gebote, in welches die überzähligen Fremden placirt werden konnten. Es lebte sich übrigens bei der Raffo’schen Familie sehr angenehm. Das Essen war nicht schlecht, der Wein von Maddalena und Sardinien nicht übel, die Seefische waren gut und die sardinischen Trauben ganz vortrefflich.

Jedesmal nicht lange nach der Ankunft des Dampfschiffes kommt Menotti Garibaldi mit seinem Boot von Caprera herüber, um die angemeldeten Freunde, die Post und die angekommenen Sachen in Empfang zu nehmen. Natürlich ist für die einsamen Bewohner von Caprera die Ankunft des Dampfschiffes ein Gegenstand von hoher Bedeutung. Auch diesmal war der junge Mann nicht ausgeblieben. Er stand nicht weit von der Thür meines Wirthshauses zusammen mit seinem jüngeren Bruder Ricciotto, als ich mich ihm vorstellte und meine Empfehlungen an seinen Vater vorzeigte. Er hat eine hohe, markige und breitschulterige Gestalt, die zusammen mit dem stolzen und trotzigen Gesicht seinen Muth und seine Riesenkraft verräth. „Er ist ein wahrer battiferro (wörtlich: Eisenschlager), wie wir Italiener sprechen,“ sagte mir mein Freund, der Maschinist. Dem Ansehen nach hat er die Mitte der Zwanziger nicht überschritten. Ricciotto, der kaum zwanzig Jahre alt sein mag, sieht nicht weniger kräftig aus, aber er macht nicht den Eindruck eines kühnen Soldaten, wie sein Bruder. Er hat sich bisher nur mit den Wissenschaften, namentlich mit der Mathematik, beschäftigt, und den größten Theil seiner Jugend in England, wo er erzogen ward, zugebracht, weshalb er noch jetzt das Italienische mit englischem Accent spricht. Dort hat er einen unglücklichen Sturz vom Pferde gethan und hinkt daher ein wenig. Er sah mir aber nicht so aus, als würde dies ihn zurückhalten, seinem Vater zu folgen, wenn dieser wieder zum Schwerte greift. Menotti blickte mich erst etwas barsch und forschend an, als ich ihn anredete. Als ich aber mit meinen Empfehlungen hervorrückte, wurde seine Miene freundlicher und er sagte mir, daß sein Vater mich gewiß jederzeit gern annehmen würde. Die Empfehlungsbriefe rieth er mir persönlich zu übergeben.

Ich miethete mir nun mit Signor Edoardo ein Boot, welches von Giuseppe Raffo und einem rothhaarigen Vetter desselben geführt ward. Der Wind war ziemlich stark und conträr. Wir mußten daher kreuzen und brauchten anderthalb Stunden, um nach Caprera zu gelangen. Vornan liegt das Haus einer amerikanischen Lady, Namens Hull, welche dort schon länger als dreißig Jahre gewohnt und ihrem Manne, der auf der Insel verstorben ist, in der Nachbarschaft ihrer Wohnung ein Denkmal gesetzt hat. Von ihr hat, nach Giuseppe’s Erzählung, Garibaldi sein Besitzthum auf Caprera im Jahre 1848 gekauft. In der Nähe unseres Landungsplatzes fuhr sie in einem kleinen, von einem Schiffer geruderten Boote an uns vorüber.

Es war halb zwölf Uhr, als wir über die am Landungsplatze verstreuten Felsblöcke mühsam hinwegkletterten. Menotti war dicht hinter uns mit seinem Boot, aber er schlug einen weiteren Weg ein, der zu einer bequemeren und für den Transport von Sachen benutzten Landungsstelle führte. Ein steiniger Fußweg schlängelte sich zu dem hinteren Theile der Wohnung Garibaldi’s hinauf. Wir hatten verschiedene Einfriedigungen zu passiren, welche zur Absperrung des Viehes dienten. Die Kühe und Kälber, denen wir begegneten, hatten mit Schweizer Kühen nur eine sehr entfernte Aehnlichkeit; ihr Ansehen entsprach vielmehr den dürftigen Futterkräutern, welche innerhalb dieser Einfriedigungen wuchsen. Durch ein Thor traten wir in den Hof und schritten über denselben zu einem kleinen hölzernen Quergebäude, worin sich ein kleines Zimmer mit einem Schreibtisch befand, zu welchem die Thür offen stand. Es war aber Niemand darin. Wir gingen darauf in die Seitenthür des Hauses, wo wir endlich einen Bedienten im rothen Garibaldihemd trafen. Die Marchesa Pallavicino hatte die Güte gehabt, mir, außer an Garibaldi, auch an dessen Secretair, den Major Basso, durch den alle Anmeldungen gemacht werden und der daher auf die Zulassung zu Ersterem einen großen Einfluß hat, einen Empfehlungsbrief mitzugeben. Ich erkundigte mich bei dem Diener nach dem Major Basso. Zuvorkommend erwiderte der Mann, der Major sei auf den Fischfang gegangen, werde aber bald zurückkehren, und dann solle ich sofort gemeldet werden.

Wir hatten nun Zeit, uns etwas umzusehen. Der Hof ist geräumig und von einer hohen Mauer umgrenzt. Zu denselben führen an den Ecken vier Eingänge. In der Mitte des Hofes

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_234.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)