Seite:Die Gartenlaube (1864) 233.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

begann. Sie reiste, wie heißhungrig nach der Luft der Freiheit, nach der Schweiz. „Zum ersten Mal seit langer Zeit,“ schrieb sie über ihre Gefühle, als sie den Boden Helvetiens betrat, „fand ich mich angesichts meiner selbst, ohne mich von den Gewichten der Langeweile und Erschlaffung bedrückt zu fühlen. Die Luft ist hier so rein! Die Stimme der Natur; die uns in ihrem Schooße wiegt wie eine Mutter in ihren schützenden Armen, ist hier so tröstend! Alles was mich umgiebt ist so friedlich wie mein Gemüth. Ich fühle, daß mein wohlthätiger Genius mich in diese gewaltigen Berge geführt hat. Werde ich hier andere Leiden oder einen gesegneten Boden finden? Was thut’s – diese Sonne, welche in goldenen Nebeln untergeht, kann nicht der Verkünder eines traurigen Morgens sein. Das Glück muß hier sein, wo es so schön strahlt.“

Die Frucht ihrer Reise nach der Schweiz und ihres Aufenthalts daselbst war das später erschienene Werk: „Die deutsche Schweiz und die Besteigung des Mönches“. Sie hatte diesen selten erklommenen Berg, einen der Trabanten der Jungfrau, mit einer ihre Führer in Erstaunen setzenden Energie erstiegen und auf dem Gipfel desselben die Fahne der Walachei wie ein Siegeszeichen ihres Volkes aufgepflanzt. Ihr Werk über die Schweiz machte den Namen Dora d’Istria, welchen sie als Schriftstellerin angenommen hatte, sogleich berühmt; es war überraschend, ein Weib mit solcher Gründlichkeit und mit so philosophischem Geist gelehrte und historische Stoffe behandeln zu sehen, wie es von Dora d’Istria geschah. Besonders reich an Gedanken ist das Capitel über das Concil zu Constanz und die Märtyrer der Freiheit im 15. Jahrhundert, eine Apotheose von Huß, „dessen Scheiterhaufenflamme über den Häuptern der Generationen gestrahlt hat, gleich einem heiligen Lichte, glänzender als die Sonne. Seine Asche, in alle Winde verstreut, hat den Boden des alten Europa befruchtet und Lefèvre, Zwingli und Luther darauf hervorgebracht.“ Auch die Geschichte des Sonderbundes athmet diesen Geist der Freiheit und des Fortschritts, als deren Apostel sie seitdem sich bei Gelehrten wie bei Völkern einen Ruhm seltener Art erworben hat.

Ein paar Jahre Aufenthalt in der Schweiz gaben ihr Muße zu großen Studien und zur Sammlung ihrer eigenen Erfahrungen über die Sitten und Einrichtungen des Orients. Die Resultate derselben liegen in starken Bänden vor, Zeugnissen eines erstaunlichen Fleißes und eines überreichen Geistes. Im Jahre 1858 erschien ihr gediegenes und Aufsehen erregendes Werk über das Klosterleben in der orientalischen Kirche, in dem sie als eine energische Widersacherin der Klöster auftrat und durch zahllose Beispiele diese längst überlebte Einrichtung in ihrer Schädlichkeit und Nutzlosigkeit darstellte. Nach einem geschichtlichen Abriß der Entstehung des orientalischen Mönchthums, seiner Fortschritte, Leistungen und seines Verfalls, werden die Klosterregeln und Gebräuche der einzelnen Länder aufgeführt. Am interessantesten ist das Capitel über Griechenland. Dies an sich arme Land wird durch zahllose Klöster ausgesogen; ein einziges besitzt 2 Mill. Franken Revenüen und hat in seinem Keller 50.000 Flaschen Wein. Auf dem Berge Athos in Macedonien befinden sich 23 Klöster mit 6000 Mönchen, die Nichts thun als ihr Leben in Essen, Trinken und Beten, man weiß nicht weßhalb und wofür, verbringen.

Berühmter noch als dieses Werk machte den Namen Dora d’Istria das 1860 veröffentlichte: „Die Frauen im Orient“. „Der Westen,“ schreibt sie darin, „erinnert sich heut nicht Alles dessen mehr, was der Orient für ihn gethan hat; er vergißt gern die Erinnerungen alter Zeiten und die Wunder der Renaissance. Es existirt sogar eine Schule, welche sich systematisch auf die Erniedrigung der Orientalen und ihrer religiösen Einrichtungen, ihrer Traditionen, Ideen und Gesetze legt. Die Frauen sind dabei nicht geschont. Ich versuche in meinem Werke diesen übelwollenden Stimmen zu antworten, wie ich anderwärts versucht habe, die Freiheiten unserer (griechischen) Kirche zu vertheidigen.“ Nation um Nation wird nun in den Verhältnissen, in denen sich ihre Frauen befinden, mit geistreichen Parallelen auf abendländische Verhältnisse beschrieben, die Griechen, die Albanesen, die Russen, Armenier, Polen, Slaven, Kosaken, Samojeden, Mandschuren, fast alle Völker Ost-Europas und Asiens. Das Werk mit ungemeinem Reichthum an Wissen ist aber nichts weniger als eine Apotheose des Orients und der dortigen Frauenwelt. Aus seinen Endfolgerungen kann man erkennen, in welcher Idee Dora d’Istria ihr Buch geschrieben hat. Sie resumirt, daß in den Gesellschaften, in denen die Religion die Rechte des Herzens, die Bedürfnisse des Geistes und das heilsame Princip der bürgerlichen Gleichheit von Mann und Frau nicht heiligt, weder Achtung noch Liebe für das schwache Geschlecht existiren kann. Die Frau wird dort Sclavin und sinkt zum Thier herab; sie bleibt ein Werkzeug der Lust, ein Gegenstand des Handels, nichts weiter. Die Frau ihrerseits entschädigt sich dadurch, daß sie nur ihre Eitelkeit befriedigt. Bei den Völkern, wo die Frau dem Manne gleichsteht, aber die Sklaverei noch existirt, bringt dieselbe ähnliche Wirkungen hervor wie die Polygamie der Asiaten. Religion und politische Einrichtungen tragen also die Schuld am Loose der Frauen. Der Islam behandelt die Frau als Dirne, das Christenthum hat sie auf eine höhere Stufe gestellt. Aber der Katholicismus seinerseits behandelt sie mit Mißtrauen und sucht sie niedrig zu halten; die Concilien hielten das Weib mit der Bezeichnung der Griechen stets für etwas Schwaches, für nichts Ehrenvolles. Erst die moderne Philosophie hat die Frau dem Manne völlig gleichgestellt, ihr Rede, Freiheit, Würde und Vertrauen gegeben; der Protestantismus ist vom Geist dieser Philosophie am meisten erfüllt. In die uncultivirten Völkerstämme des Ostens eine aufgeklärtere Religion zu tragen, das sieht Dora d’Istria deshalb als eine dem Westen zustehende Mission an. –

Nach Erscheinen dieses Werkes reiste sie nach Griechenland, wo sie einen enthusiastischen Empfang fand und sogar zum Mitglied der Akademie von Athen, ernannt wurde. Ihre Studienreise dehnte sich dann über ganz Rumelien aus, dessen Sitten und Verhältnisse sie erst neuerdings in zwei starken Bänden beschrieben hat. Ihr ständiges Domicil nahm sie seitdem im nördlichen Italien.

Dora d’Istria ist, wie aus dem kurzen Abriß der Gedanken in ihren Hauptwerken wohl ersichtlich geworden sein wird, eine Frau, wie es zu allen Zeiten nur wenige gegeben hat. Sie hat für das gelehrte, und gebildete Europa die Welt des Orients wie nie zuvor offengelegt; sie hat den lebensfähigen Orient auf die reformatorischen Ideen Europas hingewiesen, damit jener sich aufraffe; ja sie weiß, wo diese Ideen ihre Wurzeln haben: in der Revolution von 1789, die das feudale Gebäude des Mittelalters zusammenriß, auf dessen Ruinen die Freiheit der Nationen und die Freiheit des Einzelnen trotz Unkrauts und trotz aller Stürme und Angriffe immer kräftiger emporstreben. Noch hat die Idee der Freiheit, welche die Revolution entfesselte, in Europa mit ihren Feinden zu kämpfen, und fußbreit muß sie sich ihr Terrain und, was mehr werth ist, ihr Verständniß erobern; noch langsam und schwer richtet sich die europäische Gesellschaft in die neue Ordnung ein, welche die Folge der Ideen von 1789 sein wird. Aber sie schreitet fort; ihren Marsch hält der Egoismus einzelner Menschen nicht auf … Schon sehen wir, wie sie in dem weiten Rußland die Schläfer erweckt und die Ketten der Leibeigenschaft löst, und ein Weib ist es, welches ihr die Thüren zu der bisher geistig abgesperrten Welt des europäischen Morgenlandes einschlägt.




Ein Besuch bei Garibaldi auf Caprera.
Von Moritz Wiggers.[1]

Schon in Frankfurt a. M. hatte ich gewichtige Empfehlungen an Garibaldi erhalten. Andere empfing ich in Turin durch die Güte der Marchesa Pallavicino Trivulzio, der Gemahlin des Marchese Pallavicino, des alten Patrioten und Leidensgefährten Silvio Pellico’s, der unter Garibaldi Prodictator von Neapel und später Präfect von Sicilien war, und so konnte ich hoffen, mir den Zutritt zu dem Helden von Italien zu bahnen. Es war nicht die Neugierde, die mich zu ihm zog. Ich wollte ihm die Zustände


  1. Die vorstehende Schilderung ward uns schon im Laufe des verflossenen Herbstes zur Veröffentlichung mitgetheilt. Da aber damals bereits alle Blicke sich ausschließlich der Entwickelung der Dinge auf dem Kriegsschauplatze in Schleswig zuzuwenden begannen, fanden wir immer keinen Raum, den Artikel zum Abdruck zu bringen. Jetzt hingegen, wo Garibaldi’s plötzliche Abreise nach England darauf hindeutet, daß derselbe vielleicht schon in der nächsten Zukunft wieder eine bedeutende Rolle in der Zeitgeschichte spielen werde, glaubten wir unsern Lesern den interessanten Einblick in die Häuslichkeit des großen Parteigängers nicht länger vorenthalten zu dürfen.
    D. Red. 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_233.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)