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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Aus den Tagen des gemüthlichen Absolutismus. Zwar hat sich mit den Veränderungen, welche das gesammte Staatswesen Europa’s im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts erfahren hat, auch die Polizeigewalt allmählich den modernen constitutionellen Bedingungen des Staatslebenn einigermaßen angepaßt, aber im Principe hat bei ihr doch das alte absolutistische Wesen bis auf unsere Tage ohne Weiteres fortgedauert. Namentlich aber hat Oesterreich seiner Zeit die polizeiliche Aufsicht über seine Bevölkerung mit unbedingter Folgerichtigkeit durchgeführt. Es gehörte zu den besonderen persönlichen Liebhabereien des Fürsten Metternich, unmittelbar mit Hülfe des Polizeichefs, Sedlnitzky, die Polizeiaufsicht über seine liebe Stadt Wien zu führen. Jeden Morgen erhielt er deshalb zum Kaffee einen genauen Bericht von allen am vorigen Tage der Polizei gemeldeten Vorfällen. Er konnte auf solche Weise z. B. auch die geheimen Liebesgänge der auswärtigen Diplomaten genau controliren, denn die Wiener Polizei scheute sich nicht, sogar die sogenannten „wilden Gräfinnen“ als ihre geheimen Agenten zu benutzen, um auch noch bei den wüstesten Orgien der Cavaliere etwaige mißliebige politische Aeußerungen zu erlauschen. Jeder Reisende, welcher in der Metternichschcn Zeit zu Wien verweilte, hatte daher alle Ursache, sich wohl zu hüten, daß er nicht dem Netze der „Spitzeln“, die selber sich die „Vertrauten“ nannten, verfiel.

Diese polizeiliche Ueberwachung der Residenz kostete dem österreichischen Staate jährlich über neun Millionen Gulden, und dessenungeachtet hat sie es nicht vermocht, die naturgemäße liberale Entwickelung des Landes hintanzuhalten. In naher Verbindung mit der Polizei wurde dann die Postverwaltung in Wien gehalten. Es genügte den ängstlich besorgten Gemüthern des herrschenden Systems nicht, blos die äußeren Handlungen zu beobachten, sie wollten ebenfalls ihre geheimsten Gedanken aus ihren Briefen erfahren. Uebrigens befolgte man in Preußen lange Jahre hindurch ganz das nämliche System, bis einst der alte Kurfürst von Hessen dieses Spiel vor der deutschen Welt offen aufdeckte. Er hatte nämlich seit längerer Zeit in Erfahrung gebracht, daß seine an den Gesandten in Berlin gerichteten Briefe jedesmal unterwegs geöffnet würden. Um nun diesen Betrieb den preußischen Ministern offen darzulegen, schickte er seinem Vertreter an der Spree insgeheim ein neues Siegelwappen, aus welchem die Löwen statt hängender stehende Schweife hatten. Ferner aber kamen seine Briefe noch mit Löwen von hängenden Schweifen bei dem Gesandten an, bis dann endlich dieser die Thatsachen den Ministern offen darlegte, die sie auch nicht weiter ableugnen konnten.

Wie man sich denken kann, machte die Geschichte in Berlin ein ungeheures Aufsehen und wurde an höchster Stelle nicht eben sehr gnädig verspürt, so daß man sich darüber manche piquante Anekdoten erzählte, die sich indeß hier nicht wiedergeben lassen.

Mögen diese Zustände für immer der Vergangenheit angehören!




Eine wahre Scene aus dem jetzigen polnischen Kriege. Eines Tages im Monat September vorigen Jahren, Morgens, als der Tag graute, hörte der mit der Patrouille an der polnischen Grenze sich bewegende Unterofficier Wilhelm Fischer vom 12. ostpreußischen Uhlanen-Regiment das Nothgeschrei weiblicher Stimmen auf jenseitigem Gebiet. Er ließ die Patrouille auf der Grenze halten und sprengte allein dem nahen Walde zu, in welchem er fünf Russen erblickte, die zwei junge Damen aufhängen wollten. Er gab ihnen, den Russen, zu verstehen, daß er den Befehl habe, Verbrechen an der Grenze zu verhindern, mithin sie auffordere, die beiden Damen in Freiheit zu lassen. Sie opponirten sich, Fischer rief sein Commando herbei, ließ die Pistolen aufnehmen und forderte die Russen nochmals auf, die beiden Damen freizugeben. Zehn Uhlanen mit fertig gemachter Schußwaffe wirkten, und Fischer nahm die Damen in Empfang, die er vom nächsten Dorfe ab zu Wagen nach der Garnisonsstadt Willenberg bringen ließ. Sie erholten sich unterwegs von ihrem Schrecken und theilten dann Fischer mit, daß ihre Eltern mehrere Güter in Polen besäßen, welche die Russen in Sequestration genommen, weil ihre beiden Brüder sich den Insurgenten angeschlossen hätten. Um ihr Leben auf preußisches Gebiet zu retten, hätten sie mit ihren Eltern am Abend vorher die Flucht ergriffen, wären aber von Russen verfolgt und von ihren Eltern getrennt worden. In der Nacht wäre es ihnen gelungen, sich im Dickicht des Waldes zu verbergen, des Morgens bei Tagesanbruch hätten jedoch die Russen, ihre Spur verfolgend, sie ergriffen und, da sie ihre Angriffe muthig abgeschlagen, die Absicht gehabt, sie aufzuhängen. Als sie die weiteren Vorbereitungen dazu gemacht, hätte ihr Nothgeschrei ihre Retter herbeigeführt. Fischer meldete den Vorfall seinem Rittmeister, der ihm auftrug, die Damen in der Stadt Willenberg unterzubringen.

Am andern Morgen traf Fischer auf seinem Patrouillegange ein bejahrten Ehepaar höheren Standes, die Frau die Hände ringend und das Unglück ihrer Kinder beweinend. Ohne Paß und sonstige Legitimation mußten sie Fischer bis nach seiner Garnison Willenberg folgen und sich dort dem Rittmeister vorstellen, der Fischer befahl, auch sie unterzubringen. Im Glauben, sie würden wie in Polen nach dem Gefängniß abgeführt, folgten sie ängstlich bis in die Dachstube eines Gasthofs, wo die früher sicher geborgenen beiden Damen mit Freudengeschrei auf ihre Eltern losstürzten, die Mutter sich aber erst später nach einer Ohnmacht erholte, die sie befallen hatte. Eine Scene der Freude und Rührung, wie sie nur selten vorkommen kann, wurde Fischer bei der gegenseitigen Erkennung sichtbar. Der Vater ergriff den Letzteren beim Arme, und indem er ihm für die Rettung seiner beiden 19 und 21 Jahre alten Töchter dankte, sagte er, da seine jüngere Tochter noch nicht Braut sei, so solle sie ihm gehören. Die Verlobung folgte nach, und die flüchtige Familie, Namens Reich, hält sich zur Zeit noch in Willenberg und dort so lange auf, bis die durch die Vermittelung des preußischen Gouvernements bei der russischen Regierung behufs Rückgabe der Güter gethanen Schritte Erfolg haben werden.

Schmid, Premier-Lieutenant. 




Ueber die Sclaverei der conföderirten Staaten giebt der große medicinische Statistiker Boudin folgenden Aufschluß, welcher keines Commentars bedarf. Die Negerrace gedeiht in Nordamerika nur in jenen Distrikten, wo man sie für die Ausfuhr zum Verkauf züchtet, und auch da nur, indem sie fortwährend durch weißes Blut regenerirt wird, d. h. deutlicher, indem die Sclavenzüchter und deren Gehülfen ihre eigenen mit Negerinnen erzeugten Kinder in die Sclaverei verkaufen. In den eigentlichen Zucker- und Baumwoll-Staaten aber lebt ein importirter Sclave im Durchschnitt nur fünf Jahre. Die jährliche Todtenzahl einer Sclavenplantage in den Südstaaten beträgt 21/2 Procent. – In der Stadt Charleston, wo 22.640 Neger lebten, starben jährlich 522, also 21/3 Procent.


Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das erste Quartal unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Wenn auch das Verbot unserer „Gartenlaube“ in Preußen die Auflage derselben etwas zu gefährden schien, so ist doch der Absatz unseres Blattes seit Neujahr wiederum auf das Erfreulichste, um nahezu 11.000 Exemplare, gestiegen, was uns von Neuem anfeuert, auf unserm bekannten Wege unverrückt weiter zu gehen.

Außer den trefflichen Beiträgen eines Bock, Schulze-Delitzsch, Carl Vogt, Berlepsch, Beta, Max Ring, L. Storch, Guido Hammer, Franz Wallner, Levin Schücking, Alfred Meißner, Temme, Fr. Bodenstedt etc. etc. werden im nächsten Vierteljahre unter Andern nachstehende interessante Artikel Aufnahme finden:

Der Schatten. Novelle von C. A. Heigel – Zweierlei Recht für die Reichen und für die Armen in England, von A. Härlin – Dorfanlage und Hausbau in Deutschland, von Wilhelm Jungermann, Verfasser der Artikel „der Fürstentag“ und „Charakterköpfe aus dem deutschen Abgeordnetentage“. Mit Illustrationen – Ein Tag in Shakespeare’s London. Zur nahenden Shakespearefeier, von Julius Rodenberg. Mit Illustrationen nach Originalzeichnungen von Paul Thumann – Der Decemberschrecken. Ein Stück Zeitgeschichte, von Johannes Scherr – Ein kleines Nürnberg. Culturstudie – Aus Firn und Eis. Ein Besuch des Pavillon Dollfuß-Ausset auf dem Unteraaregletscher. Mit Illustration nach einer Originalskizze von A. Mosengel – Ein Tag in Paris; zur Schreckenszeit von 1794, von Johannes Scherr – Eine Gletscherfahrt, von G. Studer. Mit Illustration – Bilder aus dem Londoner Verkehrsleben: Vor Postschluß am Freitag Abend. Die Schuhputzer und die Lumpensammlerbrigade; in der Unterwelt. Ein Stück der Untergrund-Eisenbahn. Sämmtlich mit Illustrationen nach an Ort und Stelle aufgenommenen Originalzeichnungen – Ein Besuch beim Altmeister Goethe in Weimar, von Ernst Förster – Alpenglühen und Meeresleuchten, von Ferd. Stolle – Die grüne Insel, die Zufluchtsstätte des deutschen Humors, von Franz Wallner. Mit Illustration – Eine vornehme Gaunerin – Aerztliche Winke für Badegäste – Aus einem deutschen Schriftstellerleben, von Fr. Hofmann. Mit Portrait – Unterofficier Jahn – Das Zellengefängniß der jugendlichen Verbrecher in Paris – Der tolle Platen, von Ferd. Pflug – Der Fang des Buchtenwalfisches, von O. Lübbert in Bergen in Norwegen. Mit Illustrationen – Im Omnibus, von Rud. Löwenstein. Mit Illustration nach einer Originalzeichnung von Th. Hosemann – Die Kindererziehung in Beispielen, von einem Schulmanne – Das Café de la Régence in Paris und seine Schachspieler. Mit Illustration – Die Geheimmittelwirthschaft – Eine Carrière in Rußland und eine in Deutschland – Der Componist des Freischütz, von Lobe – Eine Perle deutscher Baukunst. Mit Illustration nach einer Originalzeichnung von Sprosse – Bilder aus dem Thiergarten, von Brehm: Die Bisamochsen. Mit Illustration nach Originalzeichnung von Leutemann – Der letzte Sickingen. Mit Abbildung – Der deutsche Eisenbahnkönig, von M. M. von Weber – Die St. Maximuskapelle in Salzburg, von Ernst Förster. Mit Illustration – Eine andere Stätte, von wo Licht ausging, von Prof. Dr. Richter. Mit Illustration – Bilder aus dem kanfniännischcn Leben – Aerztliche Strafpredigt, von Bock – Ein Besuch bei Garibaldi auf Caprera, von Moritz Wiggers (schon in nächster Nummer) – Der Mensch denkt und Gott lenkt. Erzählung von Fr. Gerstäcker.

Daß wir den Ereignissen in Schleswig-Holstein nach wie vor die eingehendste Berücksichtigung angedeihen lassen werden, ist selbstverständlich. Bereits liegt uns eine Reihe der interessantesten Illustrationen von einem unserer Specialartisten auf dem Kriegsschauplatze vor, der durch ein Zusammentreffen besonders günstiger Umstände im unmittelbaren Gefolge der operirenden Armeen dem Feldzug beiwohnen darf und schon Oertlichkeiten und Scenen zu Gesicht bekam, wie dies während des jetzigen Kampfes noch keinem anderen Künstler und Berichterstatter vergönnt war.

Alle Postämter und Buchhandlungen nehmen Bestellungen an.

 Leipzig, im März 1864.

Ernst Keil. 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_208.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)