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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

vorher gelegen hatte. Er versicherte hoch und theuer, Cuxhaven habe gestern ihm zur Linken gelegen, wenn er, auf dem Hinterdeck stehend, das Gesicht dem Großmast zugewendet; heute lag es ihm, obgleich er ebenso stand, zur Rechten. Es wurde ihm nun eingeredet, er habe gestern wohl zu Ehren des glücklich überstandenen Gefechtes im ungewohnten Grog des Guten zu viel geleistet. Das wollte er aber durchaus nicht Wort haben und stritt auf Tod und Leben in der ihm eigenen lebhaften und lauten Weise und in seiner rheinischen, an Bord wenig bekannten Mundart über die besagte Erscheinung, die er sich schlechterdings nicht erklären konnte. Daß die anwesenden Officiere, der Commandant nicht ausgenommen, so herzlich lachten, wie es nur irgend die Etiquette auf dem Quarterdeck erlaubt, kann sich Jeder leicht denken, welcher die bezüglichen Verhältnisse kennt. Dem guten Doctor war es nämlich entgangen, daß das Schiff geswait hatte und, während es am Abend unserer Ankunft vor Fluth gelegen, am nächsten Morgen zufällig vor Ebbe, sonach am Abend mit der Backbordseite, am Morgen dagegen mit der Steuerbordseite Cuxhaven gegenüberlag.

Am selben Morgen war es ferner meine Wenigkeit, die den Stoff zum Tagesgespräch auf allen drei Schiffen des Geschwaders lieferte. Kurz vor Mittag wurde am Besanmaste des Barbarossa, auf welchem sich Commodore Brommy als Befehlshaber des Geschwaders befand, das Signal aufgehißt: „Der Seejunker Nr. 4“ – das war ich – „soll an Bord kommen!“ Da ich speciell genannt war, so konnte es sich nicht um einen abzuholenden Befehl handeln, sonst wäre ein beliebiger Seejunker oder der Schiffssecretair gerufen worden. In weniger als fünf Minuten war ein Seitenboot bemannt, ich saß darin und fuhr dem Commodoreschiff zu. Es war erbärmliches Wetter, ein steifer Südwest mit starkem Regen und hohem Seegang; dies focht mich aber wenig an, und ich merkte nicht einmal, daß ich bis auf die Haut durchnäßt wurde, da ich in der Eile ohne Regenmantel und Südwester (Kopfbedeckung) abgefahren war. All mein Denken concentrirte sich im Nachgrübeln über die Ursache meiner Berufung auf das Commodoreschiff. Wie Mancherlei durchkreuzte mein armes Gehirn! Vor Allem aber quälte mich die an Bord noch im letzten Augenblick von meinen Cameraden ausgesprochene Vermuthung, ich sei gerufen worden, um vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden, weil ich während des Gefechts, mit dem Beobachten der Signale betraut, das Signal „Umkehren“, welches den Rückzug der Schiffe befahl, nicht – wie es auch wirklich der Fall war – augenblicklich gesehen und dem Commandanten der Lübeck gemeldet hätte.

Das Boot ging auf und nieder und die hohen Wellen verbargen mitunter den Barbarossa, auf welchen mein Blick gerichtet war. Ich glaube, ich wünschte damals, wir möchten ihn nie erreichen! Kriegsgericht, strenge Strafe oder gar Entlassung aus dem Flottendienst, das waren die Popanze, die mich bis unter Bord des Commodoreschiffes geleiteten. Nur mit Mühe konnte angelegt werden, nachdem man uns von Bord aus ein Tau zugeworfen hatte. Mit einem kühnen Sprung schwang ich mich, als das Boot durch eine Welle hoch genug emporgeworfen worden war, auf die Fallreepstreppe, im nächsten Augenblicke stand ich auf Deck. Zum Glück blieb ich ruhig stehen und wartete auf einen weiteren Befehl; denn ich wäre sicherlich, statt nach dem Quarterdeck, nach vorn gegangen, was übrigens auch einem weniger befangenen Anfänger begegnen kann, aber stets Spötteleien und Witze der Anwesenden nach sich zieht. Man führte mich schweigend hinunter zur Kajüte des Commodore; die Thüre öffnete sich, ich trat ein. Um einen schwarzbehangenen Tisch, o schrecklicher Anblick! saßen fünf oder sechs Officiere; am untern Ende Commodore Brommy, ihm zur Rechten der Commandant des Barbarossa, Capitain King, zur Linken ein Herr in mir fremder Uniform; die übrigen Officiere kannte ich nicht. Es herrschte eine feierliche Stille. Der Commodore winkte mir, heranzutreten. Ich glaube, ich habe damals gezittert; jedenfalls hätte ich mich viel behaglicher an Bord eines brennenden Schiffes, als in besagter Gesellschaft befunden. Doch ich faßte Muth und ging in militärischer Haltung auf den Commodore zu. Eine strenge Bewegung seiner Hand gebot mir Halt; ich war noch drei Schritte von ihm entfernt. „Herr Seejunker,“ begann er hierauf, „vermissen Sie keine Papiere, Briefschaften und dergleichen?“

„Daß ich nicht wüßte, Herr Commodore,“ war meine Antwort.

„Keinerlei Zeichnungen, Bleistiftskizzen und dergleichen?“

„Nein, Herr Commodore.“

„Treten Sie näher,“ sprach er nun und deutete nach einem Haufen Papiere, die, vorher in ein Paket zusammengebunden, auf dem Tische ausgebreitet waren. Sofort erkannte ich diese Papiere. Ein jäher Schreck fuhr mir durch die Glieder. Mit bebender Stimme antwortete ich auf die Frage des Commodore: „Kennen Sie diese Papiere?“: „Ja, Herr Commodore, sie gehörten mir zu, ich warf sie gestern Abend über Bord, um sie zu vernichten.“

Mit diesen Papieren hatte es aber folgende Bewandtniß. Nachdem ich mich eingeschifft hatte, war ich zu meinem Leidwesen gewahr geworden, daß es in der engen Seejunker-Kajüte keinen verschließbaren Raum für jeden Einzelnen gab, daß vielmehr daselbst Gütergemeinschaft in des Worts verwegenster Bedeutung herrschte. Ich besaß aber einige Briefe, Scripturen und Zeichnungen, die ich ungern den Augen meiner nichts weniger als discreten Cameraden ausgesetzt hätte und daher zu vernichten beschloß. Ich erhaschte hierzu, es war gerade vor dem Einlaufen in die Elbe, einen freien Augenblick, band die der Vernichtung geweihten Papiere zusammen, und übergab sie der hochgehenden See, fest überzeugt, diese werde meine kleinen Geheimnisse in ihrem dunklen Schooße am besten und auf ewig verbergen. Dem war aber nicht so: die See hatte vielmehr, wie ich sah, den schmählichsten Verrath an mir geübt. Unter den erwähnten Papieren befand sich nämlich nicht nur eine Anzahl rosarother Briefchen mit getrockneten Blümchen und Blättchen darin, sondern auch nebst andern ganz harmlosen Skizzen und das war das Schrecklichste! – ein Blatt, auf welchem ich den Commodore in nicht zu verkennender Aehnlichkeit skizzirt hatte. Eine Caricatur konnte man zwar die Skizze nicht nennen, nur hatte ich Schnurrbart und Leib des Mannes nicht unbedeutend vergrößert, seiner Körperlänge aber unverhältnißmäßig Abbruch gethan.

Commodore Brommy war nämlich von mittlerer Statur, hatte einen etwas starken Leib und trug einen über die Lippen fallenden, ziemlich langen Schnurrbart. Die faltenreiche Stirn und das finsterblickende Augenpaar schienen auf meiner Skizze ein nahes Donnerwetter zu verkünden. Außerdem hatte ich dem Hute eine der napoleonischen ähnliche Form und dem Säbel eine etwas mehr als türkische Krümmung beigelegt. Mit einem Worte, ich hatte meiner Phantasie freien Spielraum gelassen, um der Figur etwas recht Tyrannisches zu geben. Der Commodore konnte mitunter sehr heftig sein und fürchterlich poltern, zumal wenn er Verweise gab. Davon war mir schon einmal eine Probe geworden, als ich in Bremerhaven eines Tages versäumt hatte, einen höheren Officier zu salutiren.

Ueber den Grund meines Verfahrens hinsichtlich der Vernichtung jener Papiere befragt, machte ich dem Commodore eine kurze, aber genügende Mittheilung. Seine Stirn, die vorher in ernste Amtsfalten gelegt war, glättete sich plötzlich, und indem seine Züge jenen freundlichen Ausdruck annahmen, der ihm stets so gut stand, sprach er lächelnd zu mir, der ich wie neu belebt nun wieder aufathmete: „Sehen Sie, junger Herr, diese Papiere hat soeben der Herr Amtmann hier“ – er deutete auf den Herrn in der mir fremden Uniform – „an Bord gebracht. Ihm hat sie ein Fischer, der sie am Elbestrande, anderthalb Meilen stromaufwärts, gefunden hat, heute Morgen übergeben. Für die Zukunft rathe ich Ihnen, um die Leute nicht wieder unnöthigerweise zu beunruhigen und zu bemühen, Ihre entbehrlichen Papiere lieber zu verbrennen, als über Bord zu werfen. Auch lassen Sie sich über die Verhältnisse von Ebbe und Fluth an den Flußmündungen belehren, denn es scheint Ihnen merkwürdig vorzukommen, daß Ihre Papiere, die Sie vor der Elbemündung über Bord warfen, anderthalb Meilen stromaufwärts am Elbeufer gefunden wurden. Nicht wahr, so ist es?“

Ich verzog den Mund zu einem verschämten Lächeln. Der Commodore machte eine kleine Pause, dann fuhr er fort:

„An der Adresse der Briefe hat man den muthmaßlichen Besitzer des Pakets erkannt; aber wer ist denn, wenn man fragen darf, der Künstler, der diese vortrefflichen, leider ein wenig durchnäßten Bleistiftskizzen verfertigt hat?“

Vertrauend auf die freundliche Sprache des Commodores erwiderte ich offenherzig: „Ich, Herr Commodore!“

„Nun,“ sagte dieser, „ich gebe Ihnen hiermit Ihre Papiere bis auf eines zurück; eine Ihrer Skizzen werde ich nämlich so frei sein, für mich zu behalten, das heißt dem Fischer abzukaufen, dem das Paket doch eigentlich jetzt zugehört, da er es am Strande gefunden hat. Denn, nichtwahr, Herr Amtmann, hier gilt ja noch

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