Seite:Die Gartenlaube (1864) 195.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

das war ja nur eine natürliche Lebensweise, zu welcher die Verhältnisse auf dem Lande zwingen, und eine größere Natürlichkeit der Menschen, die daraus entspringt.

Der Sommer ist ihr so recht angenehm verflossen. Meistens ist sie im Freien herumgegangen, da und dort auf ein Berglein, und wer ihr eine rechte Freud machen wollt’, hat ihr Jochblumen bracht. Es war den Leuten kein Schade, zwar schaute ihr auch Niemand auf die Hände, wie’s dort ist, wo viel Fremde durchziehen. Bei uns im Achenthal werden die Leute schon verdorben, und nach und nach wird es wohl dahin kommen, daß man, wenn man niest und einer „Helfgott!“ sagt, einen Sechser zahlen soll. Sie hat, was ihr die Großen Freundlichkeit erwiesen, an den Kindern vergolten; gar manches Bübel und Madele hält noch das Stücklein Gewand in Ehren, womit es beschenkt worden. Deßwegen haben sie alle Leute gern gesehen und jedes zu ihr ordentlich „Grüß Gott!“ und „B’hüt Gott!“ gsagt. Sie ist eigentlich zwar lutherisch gewesen, aber Jemand verkehren zu wollen, wär’ ihr gar nicht eingefallen. Die Predigt ist auf dem Land, wie Sie wohl selbst erfahren haben, wenn Sie dieselbe schwänzen wollten, zwischen Evangelium und Sanctus eingeschaltet, da kam sie regelmäßig und ging nicht fort, bis alles vorbei war. Ja sogar eine seidene Stola hat sie dem Pfarrer gestickt, ohne daß er es verlangte, weil sie sah, daß die, welche er am Maria Himmelfahrtstag trug, ziemlich abgeschabt war. Kein Mensch ahnte, daß sie eine Ketzerin sei. Wenn aber der Teufel Unkraut säen will, so braucht er die Hand eines bösen Weibes oder, verzeih mir’s Gott! – eines unfriedlichen Geistlichen. So auch hier. Im Herbste traf ein junger Cooperator ein, dieser hatte an der guten Dame allerlei auszusetzen, vorzüglich mißfiel ihm ihre feine Aussprache. Er redete freilich wie eine Stalldirne. Nu, das wäre übrigens gleich gewesen, sprech’ jeder wie ihm der Schnabel gewachsen; abscheulich scheint es mir aber, daß er anfing, der Baronesse auf Schritt und Tritt nachzuspüren, ja einmal ließ er sich, als die Eltern fort waren, von der Tochter das Zimmer des Gastes öffnen und durchsuchte haarklein ihre Schriften und Bücher. Da waren sauber gebunden Goethe und Schiller, auf die sie draußen so viel halten; er schüttelte unwillig den Kopf und spürte nicht übel Lust, einige Bände mitzunehmen, stellte sie jedoch wieder säuberlich auf den alten Platz. Nun fragte er, ob sie einen Rosenkranz oder ein Gebetbuch etwa von Weninger oder Patis besitze? Auf die Erwiderung, das sei ihr unbekannt, verlangte er gar noch, sie möge ihm die Kästen aufsperren. Das war sogar dem einfältigen Mädchen, dem jedes Wort des Priesters für ein Evangelium galt, zu viel, es weigerte sich die Schlüssel, welche der Hochwürdige aus dem Sack zog, zu versuchen. Die Baronin hatte die ihrigen bei sich.

„Du mußt,“ begann er wieder, „scharf darauf achten, ob sie etwa Morgens und Abends singt und was sie für Lieder singt.“

„O, das kann ich schon sagen,“ rief das Mädchen, „herrliche Gsatzele sind’s, die sie mit lauter Stimme losläßt.“ –

„Zum Beispiel?“

Sie dachte eine Weile nach und summte dann:

„Wer nur den lieben Gott läßt walten
 Und hoffet auf ihn alle Zeit,
Den wird er wunderbar erhalten
 In aller Noth und Traurigkeit.“

„Kind!“ rief der Hochwürdige entsetzt, „die Verse hat der Teufel eingegeben, die sind lutherisch.“

„Lutherisch? Sind denn die Lutherischen wirklich so fromm, daß sie solche christliche Lieder singen?“

„Das verstehst Du nicht!“ war die barsche Antwort.

Er stürzte fort und ging von Haus zu Haus die Kinder zu verhören, welche von der Baronin beschenkt worden. Da stellte sich heraus, daß sie mit ihnen oft von Gott gesprochen und gesagt: „Wir haben alle nur einen Gott und Vater!“ die heilige Jungfrau aber so wenig je erwähnt habe, als Luther und Calvin.

Der Cooperator hetzte und hetzte im Stillen, bis es ihm endlich gelang, die Leute aufzurütteln. Bald bemerkte die Baronin, daß man ihr scheu auswich, die Kinder, welche sie sonst lächelnd erwartet hatten, liefen vor ihr davon, und eines Tages traf sie die Tochter ihres Bauern mit verweinten Augen. Theilnehmend erkundigte sie sich um die Ursache ihres Schmerzes. Nach langem Zögern platzte das Mädchen heraus: „Weil Du zum Teufel fahren mußt, und ich hab’ Dich doch so gern!“ Sie erstaunte ob diesen Worten und brachte endlich auch die Ursache heraus, zugleich vernahm sie, daß ihr der alte Bauer schon längst gern die Wohnung gekündigt hätte, um mit dem Cooperator, der fortwährend trieb und hetzte, in Frieden zu leben, wenn er sich getraut hätte. So aber hemmte ihn das Gefühl des Dankes, den er für so manche Wohlthat und Gefälligkeit der Baronin schuldete. Diese schüttelte schmerzlich lächelnd den Kopf, – sie kannte ja die Menschen! setzte sich an den Tisch und schrieb einige Zeilen, welche sie einem Bauernburschen nach Schwaz zu bestellen gab. Am nächsten Morgen hielt ein Wagen vor der Thüre. Sie dankte noch ihrem Wirthe für den Unterstand, den sie freilich bereits zehnfach bezahlt hatte, und fuhr davon, ohne sonst von jemand Abschied zu nehmen. Die Armen und Kranken haben freilich geklagt, das hat aber den Cooperator nichts angefochten. Er war roh genug, der Fremden sogar übel nachzureden, das wurde ihm aber bald von den Bauern gelegt, und er fiel nach und nach in solche Mißachtung, daß man ihn versetzen mußte.

Vorläufig ist sie nach Jenbach gefahren. Man rieth ihr die Geschichte in die Zeitung zu geben, sie meinte jedoch, es sei ihretwegen nicht der Mühe werth, Scandal zu machen. Dort lernte sie auch Hans kennen; sie wollte nämlich eine Höhe besteigen, konnte jedoch den Weg nicht finden und war schon im Begriffe umzukehren, als er sich freiwillig erbot, sie zu begleiten. Nun unterhielt sie sie sehr gut, er schüttelte tausend Geschichten und Schnurren aus dem Aermel und lachte, wenn sie lachte, selbst recht herzlich mit. Auf dem Rückwege redete sie mit ihm auch von ernsthaften Sachen. Seine Offenheit gefiel ihr eben so wie die verständige Klarheit, mit der er sich über alles äußerte. Auch er fragte sie hier und da, jedoch ohne zudringlich zu werden, und sie gab ihm gern Bescheid. Auf einem Vorsprung, wo’s eine stattliche Birke giebt, blieb sie stehen und blickte Thal auf Thal ab, über all die Fülle des Segens, wie ihn nur das schöne Unterland spendet. „Ach,“ seufzte Hans, „wie prächtig wär’ es, wenn man da ein Stücklein Boden sein nennen könnte und eigener Herr wäre! Wahrlicht, ich wünsch’ es nicht aus Hochmuth oder Faulheit, arbeiten wollt’ ich ebenso wie jetzt als Knechtlein früh bis spat; heut’ bin ich aber gerad dreißig Jahr alt und all’ diese dreißig Jahr mußte ich fremdes Brod beißen. Ich hab’ nie ein Heimathl gehabt und meine Eltern auch nie. Das sind Dörcher gewesen; im Winter und Frühling führten sie auf einem Karren Geschirr herum, im Sommer und Herbste Obst. Ich weiß es noch recht gut, wie wir in den Stadeln auf dem Heu schliefen und ich dabei jämmerlich fror. Sie starben bald nach einander, als ich kaum das achte Jahr überschritten hatte. Gott hab’ sie selig! Mein Vater liegt in Baiern, die Mutter im Pinzgau begraben. Meiner erbarmte sich ein Bäuerlein im Zillerthal. Es war ein rechter Nothleider und besaß wenig genug, oft kriegte ich mehr Prügel als Nudeln, vergelt ihm’s Gott, und ’s ging kein Streich verloren, und die Dörcherei, die mir schon im Blut steckte, wurde durch den Ochsenziemer gründlich ausgetrieben. So lernte ich alle Arbeit, daß ich einem Gütchen mit Ehren vorstehen könnt’; – ja, wenn man ein Heimathl hätt’!“

Er schwieg traurig, die Baronin blickte ihn ernst an.

Da erhob er plötzlich das Haupt, heiteres Lächeln spielte um seinen Mund, er rief: „Wahr ist’s, es ging nichts über ein Heimathl, der Herrgott hat aber meine Armuth auch nicht schlecht ausgestattet und mir einen lustigen Sinn verliehen, daß ich mit manchem reichen Bauern, der fünfzig Küh’ auf die Alm treibt und voll Grant wirthschaftet, nicht tauschen möcht.“

Sie gingen wieder bergab. Die Baronin war stumm und nachdenklich geworden.

Endlich wandte sie sich an Hans: „Wenn Du willst, kannst Du einem Gütchen als Schaffner vorstehen. In drei Wochen erfährst Du, wo.“

„Beim Bauern hab’ ich jährlich dreißig Gulden, ist ein kleines Löhnlein, was willst aber von einem armen Häuter verlangen? Uebrigens könnt’ ich auch gehen, sein Bub wird immer größer, und er braucht mich nicht mehr.“

„Sag’ bis Lichtmessen auf.“

„Wo erfrag’ ich Dich nachher und weiß, ob Du’s nicht umstehst?“

Sie zog ihre Börse, nahm zwei Kronenthaler heraus und gab sie ihm als Drangeld.

Hans gelobte ihr auf die Hand, sobald sie es fordere, zu kommen.

In Tyrol mochte sich die Baronin nach der Erfahrung in

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_195.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)