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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Beamter der englisch-ostindischen Compagnie gewesen; nach dem Tode desselben kehrte seine Mutter, welche, jetzt eine mehr als achtzigjährige Matrone, in des Sohnes Haus den Sohn überlebt hat, mit demselben in die europäische Heimath der Thackeray’s zurück. Auf dieser Reise war’s, wo der Schwarze den damals siebenjährigen Knaben auf den Arm nahm, als das Schiff bei St. Helena ankerte. Er kroch mit ihm über Felsen und Hügel, bis sie einen Garten erreicht hatten, in welchem sie einen Mann auf- und abgehen sahen. „Das ist er!“ schrie der Neger; „das ist Bonaparte. Er ißt drei Schafe jeden Tag und alle Kinder, die er in seine Gewalt bekommen kann.“ – Derselbe Diener zeigte ihm später, als sie nach London gekommen waren, die Colonnaden von Carlton-House, damals die Residenz des Prinz-Regenten, der Schauplatz seiner Orgien, das Thema von mehr als einer von Thackeray’s bittersten Satiren. „Ich sehe noch die Garden,“ heißt es in einer derselben, „wie sie auf- und abschreiten vor den Gittern des Palastes. Der Palast! Welcher Palast? Der Palast steht so wenig, als der Palast von Nebukadnezar noch steht. Er ist nur noch ein Name.“ – Wo er gestanden, über dem Parke von St. James, er, der stumme Zeuge von so viel Festen des Geistes, der Schönheit und des Leichtsinns, da steht ein viel tugendhafteres Gebäude heute, eines, in dem ich selber des Oeftern gewesen: das Hotel der preußischen Gesandtschaft. Vanitas vanitatum … Eitelkeit der Eitelkeiten!

Sollen wir den Dichter, der diesen Satz des weisen Königs so glänzend illustrirt hat, mit einer solchen Beimischung von Mitleid und Wehmuth, sollen wir ihn noch einmal aufsuchen in seinem Arbeitszimmer, das er verlassen hat, um nicht wiederzukehren, an seinem Schreibtisch, auf welchem das halbbeschriebene Blatt noch liegt, dieses traurige Fragment einer Arbeit, die nicht mehr zu Ende geführt werden soll, unter seinen Büchern, die er liebte? Ach! – wie er selber einst sagte: „der Prediger von gestern ist der Gegenstand der Predigt von heute geworden.“

Thackeray’s Arbeitszimmer war gegen den Park gekehrt. Wenn er an das große Fenster trat, vor welchem die altmodige Commode und der altmodige Lehnstuhl standen, so sah er den Palast der guten Königin, deren Hof und Gesellschaft er in seinem Roman „Henry Esmond“ beschrieben, und seitwärts, über einer hohen dunkeln Mauer und zwischen uralten Bäumen konnte er das ehrwürdige Dach von Holland-House unterscheiden, einst der Wohnsitz Addison’s, dieses guten Mannes, welcher, als er den Tod nahe fühlte, seinen liederlichen Stiefsohn an’s Bett rufen ließ, damit er sehe, „wie ein Christ sterbe“, – dieses feinsten und gelehrtesten von allen Humoristen des achtzehnten Jahrhunderts, denen Thackeray in seinen Vorlesungen über dieselben ein so schönes Denkmal der Pietät errichtet. Der reichste Schmuck von Thackeray’s Arbeitszimmer war der Bücherschrank, welcher, die eine Seite desselben ganz einnehmend, fast bis an das Getäfel der Decke reichte und mit dem Gold und Grün, dem Violett und Roth der kostbaren Bände eine vorzügliche Farbenwirkung in dem sonst sehr vornehmen, sehr originellen, aber durchaus nicht prunkenden Zimmer machte. Es war jeder Comfort darin, aber kein Luxus; es war reich, aber nicht überladen. Ein dunkler Teppich bedeckte den Boden. Ein Rococospiegel hing über dem Kamin; ein paar chinesische Vasen, wie sie der Geschmack des vorigen Jahrhunderts liebte, zierten das Gesimse. Ein paar Portraits aus der Zeit von Sir Joshua Reynolds, eine oder zwei französische Landschaften hingen an seidenen Schnüren und in schweren Rahmen an den Wänden. An einer von diesen erblickte man auch einen alten Galadegen, auf welchen Thackeray ganz besonders hielt. Es war der Degen Schiller’s, den der Dichter trug, wenn er in Uniform bei Hof erscheinen mußte. Thackeray hatte ihn in Weimar gekauft und er sagte, daß er denselben nie ohne Rührung ansehen könne. Er erinnere ihn an die schönsten und freundlichsten Tage seiner Jugend. Ein Paar Stühle von jener Form, wie wir sie in den Staatsgemächern unserer alten Schlösser sehen, ein ähnlicher Tisch mit Etagère, eine Causeuse, eine Büchertreppe, standen hier und da. Es war keine Symmetrie, aber es war Geist in dem Zimmer. Eines paßte zum Andern, und Alles zusammen machte den Eindruck, daß man hier zu einem durch Rang und Reichthum ausgezeichneten Manne gekommen sei. Von der Mitte des hohen und mit Stuck garnirten Deckengetäfels hing ein sehr schöner Kronleuchter. Thackeray’s Schreibtisch stand in der Nähe des Fensters. Die alten Bäume warfen ihre Schatten herein, und er hörte ihr Flüstern, wenn er schrieb. Eine tiefe Ruhe herrschte, eine den Augen wohlthätige Dämmerung von Grün. Es war, als ob die Sonne eines andern Jahrhunderts durch die Gardinen blinzle.

Auf diesem Stuhl mit der hohen Lehne und vor diesem Eichentische saß Thackeray. Wenn Besuch angemeldet worden war, so erhob er sich und führte seinen Gast zu dem altmodigen gelbseidnen Divan auf der andern Seite des Tisches.

Thackeray war der liebenswürdigste Gesellschafter; er plauderte zum Entzücken. Seine Persönlichkeit wirkte anziehend und flößte Zutrauen ein. Es war Nichts darin vom Cyniker, den man ihm so oft zum Vorwurf gemacht. Er war von großer Natur – „sechs Fuß, zwei Zoll“ – er hatte ein breites Gesicht und trug stets eine Brille auf der etwas eingedrückten Nase. Sein Haar war schon in der Mitte seiner vierziger Jahre silberweiß. Er hatte das Aussehen eines Weisen. Man liebte die Moralsprüche aus seinem Munde. Sein Vorrath von Anekdoten war unerschöpflich. Seine Erinnerungen umfaßten beinahe ein halbes Jahrhundert mit allen Celebritäten und Ereignissen desselben. Er hatte die deutschen Dichter sehr gründlich gelesen, citirte sie gern und sprach ziemlich gut deutsch. Von allen Orten des Continents, die er kannte, waren ihm Paris und Weimar die liebsten.

Thackeray war zweimal in Weimar. Als er das erste Mal da war, da lebte der alte Goethe noch. Es war im Jahre 1831. Thackeray kam dorthin, wie er sagte, „des Studiums, des Amüsements und der Gesellschaft halber“. Damals, als die Scheidestrahlen von Goethe’s Sonne noch das Leben in Weimar vergoldeten, übte die kleine Stadt eine große Anziehungskraft auf Fremde; namentlich waren die Engländer, die gegenwärtig Dresden und München bevorzugen, zahlreich dort anwesend. So fand Thackeray eine große Schaar junger Landsleute, als er nach Weimar kam. Er verbrachte dort einen sehr angenehmen Herbst und Winter und vergaß niemals die Freundlichkeit, mit welcher man ihn aufgenommen. Aber er selber ist auch in Weimar nicht vergessen worden. Es werden noch jetzt in Weimar einige Albums aufbewahrt, in denen sich Caricaturen von seiner Hand befinden, „Mein Vergnügen in jenen Tagen,“ sagte Thackeray, „war, Caricaturen für die Kinder zu zeichnen,“ eine Gewohnheit, beiläufig, durch die er bis an sein Lebensende sich viele enthusiastische Freunde in der Welt der Kleinen gemacht hat. Als er, viele Jahre später, in der Fülle seines Ruhmes, die „freundliche, kleine, sächsische Hauptstadt“ wieder besuchte, freute er sich, einige von diesen Andenken einer lange vergangenen Zeit wiederzufinden, und noch mehr, als man ihm sagte, daß der große Goethe selbst sich freundlich darüber geäußert habe.

Es ist keine Frage, daß Weimar ihm das Original gegeben zu jenen Scenen seines Romanes, welche in einer deutschen Residenz, einem deutschen Hoftheater und einem deutschen Gasthof spielen. Aber auch anderweitig hat er sich über seinen dortigen Aufenthalt ausgesprochen, und einige dieser Erinnerungen hat Thackeray’s Freund Lewes seinem bekannten Buche über „Goethe’s Leben und Schriften“ einverleibt. Damals hatte sich Goethe von der Welt zurückgezogen; dennoch war er sehr freundlich gegen Fremde und empfing sie mit Güte. Seine Schwiegertochter machte die Honneurs in seinem Hause. Wem es, wie dem Schreiber dieser Zeilen, vergönnt gewesen, die Dame, welche, jetzt selber alt geworden, meistentheils in Wien lebt, kennen zu lernen, ihr noch immer schönes Auge zu sehen, ihr noch immer lebhaftes Gespräch zu hören, der wird sich einen Begriff machen können, wie liebenswürdig sie gewesen sein muß im Jahre 1831, als Thackeray einer von den Gästen ihres Theetisches war. Da saßen sie Stunden um Stunden und Abend nach Abend und lachten und plauderten und musicirten. Sie lasen zahllose Romane und Gedichte, französische, englische und deutsche. Der alte Herr blieb in seinem Privatzimmer, zu welchem nur einige privilegirte Personen Zutritt hatten. Aber er wollte Alles wissen, was vorging, und nahm an allem Fremden Interesse.

Eines Tages erhielt Thackeray, damals ein junges Bürschchen von zwanzig Jahren, die Anzeige, daß der Herr Geheimerath ihn sehen wollte. Noch nach fünfundzwanzig Jahren erinnerte er sich der Aufregung, mit welcher er diese Nachricht aufnahm. „Dieser denkwürdige Empfang,“ sagte er, „fand in einem kleinen Vorzimmer seiner Privatgemächer statt, welche ringsum ganz mit antiken Abgüssen und Basreliefs bedeckt waren. Er war gekleidet in einen langen grauen oder braunen Oberrock, mit einem weißen Halstuch und einem rothen Bändchen in seinem Knopfloch. Er hielt seine

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