Seite:Die Gartenlaube (1864) 163.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

meinerseits eine völlig harmlos hingeworfene Bemerkung!“ erwiderte der Principal und sah nach der Uhr; „es wird übrigens Zeit, sich fertig zu machen.“

Trotz des leichten Tones aber lag etwas Trockenes in der letzten Entgegnung, das auffällig von seiner bisherigen Sprachweise abstach, und als er sich jetzt wandte, um die bereit stehende Wachskerze anzuzünden und sodann die Lampe zu löschen, sah Gruber einen Zug von steifer Kälte sich um Hellmuth’s Mund legen, welcher in den Mienen des jungen Mannes, als dieser dem wortlos vorausgehenden Principal folgte, einen Ausdruck von herber Bitterkeit, wie als Antwort, hervorrief. –

Eine Stunde darauf standen die beiden Schwestern, die elegante Balltracht unter einer leichten Hülle geborgen, innerhalb der geöffneten Hausthür, vor welcher bereits die Equipage hielt, des nachkommenden Vaters wartend.

„Aber wo ist Gruber?“ wandte sich plötzlich Eugenie nach dem zur Seite stehenden Willmann.

„Herr Gruber scheint zu Hause bleiben zu wollen, er hat sich den Thee nach seinem Zimmer bestellt!“ antwortete der Kleine ernst und schien nur mit Mühe einige Gesichtsverzerrungen unterdrücken zu können.

„Zu Hause?“ wiederholte Jene; „wollen Sie ihm wohl sagen, Willmann, ich würde ihn für diese Unart gar nicht mehr ansehen!“

„Ich glaube, Fräulein,“ sagte der Comptoirdiener, näher tretend, halblaut, „Sie haben diese Strafe schon abgenutzt, ehe er sie noch verdient gehabt, und nun weiß er es kaum anders!“

Das Mädchen schob hastig den Schleier, welcher die Frisur verhüllte, zurück, während sich das Gesicht höher färbte, und schien eine rasche Antwort auf der Zunge zu haben; aber die Tritte des herabeilenden Hausherrn ließen es zu keiner Aussprache gelangen, und zwei Minuten später führte die Equipage den Kaufherrn mit seinen Töchtern dem Ballorte zu.

Es war eine jener Festlichkeiten, bei denen die Mitglieder der Handels-Aristokratie, wenn auch der Einzelne nur jährlich einmal, den vollen Glanz ihres Reichthums entfalteten, und Hellmuth schien beim Eintritt in den großen geschmückten Saal in einer kritischen Betrachtung der gesammten Anordnungen fast die eigenen Sorgen zu vergessen. Er hatte nach langsamem Durchschreiten der bereits versammelten zahlreichen geputzten Menge seine Töchter endlich der Dame vom Hause zugeführt, sie dann in einem Kreise ihrer Altersgenossinnen zurückgelassen und sich aufgemacht, den Festgeber selbst zu finden. Als er sich langsam, hier und dort grüßend, wo ein bekanntes Gesicht vor ihm auftauchte, ohne daß er sich doch verleugnen durfte, wie ihm oft nur unsicher und mit einer gewissen Verlegenheit gedankt wurde, nach einem freieren Theile des Saales durchgearbeitet hatte, vergebens sich nach dem Hausherrn umsehend, trat ihm plötzlich die elegante Gestalt Maçon’s, das Gesicht mit einem freundlichen Ernst fest auf das seine gerichtet, entgegen.

Hellmuth wußte es wohl kaum selbst recht, daß er vor dieser Erscheinung plötzlich seinen Schritt angehalten und den Kopf mit dem Ausdrucke kalter Undurchdringlichkeit in seinen Zügen gehoben hatte; der Herankommende schien indessen kaum von dem ihm bevorstehenden Empfange Notiz zu nehmen.

„Herr Hellmuth,“ sagte er, auf den vor ihm Stehenden zutretend, mit leichter Dämpfung seiner Stimme, „ich möchte Sie bitten, mir Ihre Hand zu reichen, und Sie dabei versichern, daß, bei allen meinen Ansprüchen, die ich vollkommen festhalte, die ich sogar noch weiter ausdehnen werde, als Sie jetzt eine Ahnung davon haben, Sie diese Hand doch keinem Feinde reichen. Denken Sie daran, Herr Hellmuth, daß wir in diesem Augenblicke wohl mehr beobachtet sind, als wir es Beide wissen, daß es nichts als einer Bewegung Ihrerseits bedarf, um den verschiedensten Redereien innerhalb der Kreise dieser Gesellschaft, von denen ich selbst erst vor Kurzem, als der letzte und Unschuldigste, Mittheilung erhielt, die Spitze abzubrechen, und scheint Ihnen meine jetzige Weise, Angesichts Ihrer letzten Zeilen, räthselhaft, so kann ich Ihnen nur sagen, daß ich Ihren Standpunkt darin zwar völlig würdigen kann, daß sie mich aber kaum anders berührt haben, als wenn Sie ein neugeborenes Kind eines Mordes beschuldigten.“ Er streckte mit einem wunderbar klaren, siegenden Ausdrucke seines Auges die Hand dem Kaufherrn entgegen, und dieser, wenn auch langsam und bedächtig und nur überwältigt von der vorgeführten Bedeutsamkeit dieser „einen Bewegung seinerseits“, legte gehalten seine Hand in die gebotene. Maçon aber hielt nicht allein die Finger seines Gegners fest, sondern schob auch mit den Worten: „Und nun, Herr Hellmuth, führen Sie mich zu Ihren Fräulein Töchtern!“ seinen Arm unter den des Alten und setzte dann hinzu: „Wenn es Ihnen jetzt auch einen Zwang verursachen sollte, mich freundlich zu behandeln, Herr Hellmuth, so bitte ich doch darum. Denken Sie nur daran, daß wir damit den Menschen hier ein Räthsel aufgeben, das morgen in allen Comptoirs die Wogen der Vermuthungen gegen einander treiben wird; außerdem aber verspreche ich Ihnen, daß Sie morgen schon, unbeschadet aller meiner Ansprüche, mich in einer andern Weise als bisher beurtheilen sollen – jetzt ist eben keine Zeit, sich über dergleichen Dinge abzusprechen.“

In Hellmuth’s Zügen stritten die verschiedensten Empfindungen wunderlich gegeneinander, als er jetzt mit dem jungen Manne an seinem Arme wieder das Gewühl der Gäste durchbrach; allein der Ausdruck von Befremdung in einzelnen bekannten Gesichtern, auf welche sein Blick traf, regte ihn sichtlich an, auf den von dem Insulaner angeschlagenen Ton einzugehen. „Ich habe eigentlich noch nie an Ihrer Ehrenhaftigkeit gezweifelt, Herr Maçon,“ sagte er, „ich habe es schon geäußert, daß Sie viel zu viel von Ihrem großherzigen Vater haben, als daß Sie in dem wirklichen Cardinalpunkt jedes Charakters von ihm abweichen sollten, und nur die auf mich einstürmenden Erfahrungen der letzten Tage, deren Urheberschaft ich Ihnen jetzt gar nicht einmal zuschreiben möchte, konnten mich bewegen –“

„Wir sind schon in Ordnung, Herr Hellmuth, und ich hoffe, Sie sollen Ihre jetzige Freundlichkeit nicht bereuen. Dort sind aber die Damen –!“ unterbrach ihn der junge Mann, und der Kaufherr führte mit einem vollkommen klaren Gesichte und mit den Worten: „Kinder, hier ist unser Freund Maçon!“ seinen Begleiter dem Kreise junger Mädchen zu, in dem sich seine Töchter befanden. Als sich Jener aber von seinem Arme löste, wandte er sich ruhig nach dem Gewühl der Gäste zurück, aus welchem ihm jetzt, ungesucht, die stattliche Gestalt des Festgebers mit freundlichster Miene und ausgestreckter Hand entgegentrat.

Von den beiden Schwestern schien indessen nur Eugenie die Bemerkung ihres Vaters gehört zu haben und wandte sich mit leichtem Lächeln nach dem Herantretenden. Anna stand seitwärts völlig vertieft in ein Gespräch mit ihrer nächsten Nachbarin und schien es selbst nicht einmal zu bemerken, daß sie dem großen Theile des Saals den Rücken zukehrte.

„Kommen Sie, um nachträglich Abschied zu nehmen, Herr Maçon, oder unsere Gespräche da weiter fortzusetzen, wo sie neulich durch Ihr spurloses Verschwinden abgerissen wurden?“ fragte neckend Eugenie, so daß der junge Mann ihr einen forschenden Blick zuwarf. Das plötzliche rauschende Beginnen des ersten Orchestersatzes verhinderte seine Antwort; zugleich sah er sich auch von verschiedenen jungen Elegants umgeben, welche nur auf das Ende seines Gesprächs mit dem schönen Mädchen zu warten schienen, und wie von einem Zwange erlöst, trat er mit einer Verbeugung einen Schritt zurück, den wartenden jungen Tanzlustigen Raum gebend. Seine nächste Bewegung aber galt der jüngern Schwester, welche von seiner Anwesenheit kaum eine Ahnung zu haben schien. „Fräulein Anna, darf ich zu Ihnen sprechen?“ fragte er über ihre Schulter hinweg; er hatte des Musikgeräusches halber sich ihr jedoch so nahe zu biegen, daß sein Athem fast ihre Wange berühren mußte.

Sie wandte den Kopf um, ohne eine Ueberraschung zu verrathen, während ihre Gesellschafterin davon schlüpfte; ein helles Roth aber stand auf ihren sonst so bleichen Wangen, und ihr dunkelblaues großes Auge bebte leicht unter seinem Blicke.

„Haben Sie denn schon jemals meine Erlaubniß abgewartet, ehe Sie gesprochen haben?“ fragte sie; es hätte sich aber kaum bestimmen lassen, ob in ihrem Tone, wie in dem Ausdrucke ihrer Züge ein tiefer Ernst oder nur das mächtige Zurückhalten einer innern Bewegung lag. – Er faßte leicht nach ihrer Hand.

„Sie möchten doch jetzt ebenso wenig tanzen, als ich selbst,“ sagte er mit einer Art ruhiger Bestimmtheit; „lassen Sie uns einen kurzen Gang mit einander machen, der jetzt am wenigsten beachtet werden wird – ich muß heute Abend noch zwei Worte von Ihnen hören. Morgen schon sollen Sie eine volle Erklärung für meine nothgedrungene, Ihnen wohl ungewohnte Weise haben!“ Als er aber ihren Arm leicht unter den seinigen ziehen wollte, ging ein Zittern durch ihren ganzen Körper; ihre Hand zuckte in der

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_163.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)