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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 11.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Unsichere Fundamente.
Erzählung von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


„Wir haben, Herr Meier,“ begann der junge Kaufmann, nachdem er den Eingang des Zimmers hinter sich geschlossen und ein Blick durch den Raum ihm das völlige Alleinsein mit seinem augenblicklichen Gesellschafter verbürgt hatte, „die vollen Beweise in der Hand, daß Sie sich in Besitz des Hauptbuches der alten Firma August Hellmuth gesetzt haben. Welchen andern Namen das Gesetz einer solchen unrechtmäßigen Besitzergreifung beilegt, darf ich Ihnen ja wohl nicht erst sagen –“

„Hauptbuch – Hauptbuch?“ unterbrach ihn der Andere, nachdenklich sein glattrasirtes Kinn streichend, „Hauptbuch der alten Firma? Es kann möglich sein, daß sich noch aus meinen frühern nächtlichen Arbeiten in meiner Wohnung etwas dem Geschäfte Gehöriges befindet – indessen weiß ich nichts Bestimmtes darüber.“ Er schlug bei den letzten Worten die grauen Augen groß und fast herausfordernd zu dem jungen Manne auf.

„Ja, mit einer solchen Auskunft werden wir jetzt keinesfalls durchkommen,“ erwiderte dieser ernst, „und es könnte der Fall eintreten, daß, wenn Sie das derzeitige milde und rücksichtsvolle Verfahren gegen Sie nicht würdigen sollten, Sie unter polizeilicher Obhut wieder nach der Stadt zurückgebracht würden. Ich kann Ihnen nur sagen, daß wir über Alles, was die Entwendung des Contobuches sowie die Motive derselben betrifft, völlig im Klaren sind, und wenn ich jetzt Vollmacht habe, Sie gegen sofortige Auslieferung des alten Volumens freizulassen, im andern Falle aber Sie einfach der Polizei zu übergeben, so mögen Sie das Erstere lediglich Herrn Hellmuth’s Rücksicht auf Ihre langjährige Dienstzeit in seinem Geschäfte danken!“

„Ah, ah, Herrn Hellmuth’s Rücksicht!“ versetzte Meier; „ich muß Ihnen aber sagen, lieber Herr, daß ich ebensowenig eine Rücksicht beanspruche, als Herr Hellmuth sie von mir zu erwarten hat. Haben Sie die Macht, so lassen Sie mich in Gottes Namen zu einer beliebigen Untersuchung nach der Stadt zurückbringen; Herr Hellmuth mag sich dann aber darauf verlassen, daß die Welt schnell genug erfahren soll, was sein böses Gewissen zu meiner Verfolgung treibt – ich habe schon eine ungefähre Ahnung, was jenes vermißte Hauptbuch enthält.“

Ein leichtes Roth stieg in Gruber’s Gesicht; demungeachtet erwiderte er in völlig kaltem Tone: „Die Welt würde gar nichts erfahren, Herr Meier, als daß Sie wegen Diebstahls an Ihrem frühern Principale eingezogen sind, und Ihr eigener Verstand mag Ihnen sagen, daß eine polizeiliche Verfolgung, wie die jetzige, nicht ohne die bestimmtesten Belastungsgründe eintreten würde. Um Ihnen indeß noch mehr zu sagen, so kann ich Sie versichern, daß sich Herr Maçon ebensowenig auf die Benutzung eines durch Entwendung erlangten Beweisstückes einlassen, als überhaupt einen Finger in die ganze unsaubere Angelegenheit tauchen wird. Er war noch Gast an Herrn Hellmuth’s Tische, als ich das Haus verließ, um Ihnen nachzueilen.“

Wieder verfärbte sich Meier’s Gesicht; dann aber zuckte er mir einem fast krampfhaften Lächeln die Achseln. „Ich höre Ihre Worte, aber verstehe kaum etwas Anderes davon, als Beleidigungen, die ich eben nur durch Ihren unzeitigen Eifer entschuldige. Ich habe mit Herrn Hellmuth in keiner Weise etwas zu thun; will er mit mir zu thun haben, so mag er die Folgen sich und seinem jetzigen Bevollmächtigten zuschreiben – und damit, Herr Gruber, bin ich ein für allemal fertig!“

Der junge Mann schien einen Augenblick zu überlegen. „Wollen Sie,“ sagte er dann, „nur in Ihrem Interesse alles Aufsehen zu vermeiden, Ihren Koffer Stück für Stück hier vor meinen Augen auspacken – mir auch ferner erlauben, selbst eine Revision desselben zu übernehmen?“

Der Buchhalter zuckte von Neuem die Achseln. „In meinem Interesse?“ erwiderte er geringschätzig.

„Allerdings in Ihrem Interesse!“ versetzte Gruber mit einem Anfluge von Gereiztheit. „Es handelt sich um ein gestohlenes Object, und ich würde ohne Ihre sofortige Genehmigung meines Vorschlags von meiner Vollmacht, die hiesige Polizeibehörde zur Durchsuchung Ihres Gepäckes zu requiriren, Gebrauch machen müssen. Einmal in dieses Stadium getreten, würden Sie uns, auch wenn sich jetzt nichts auffinden ließe, doch nach der Stadt folgen müssen, um bei der weitern Nachsuchung in Ihrer Wohnung gegenwärtig zu sein.“

Meier nickte mit einem ausgeprägt höhnischen Zuge. „Sie sind ein vorzüglicher Kaufmann, Herr Gruber,“ sagte er, „ich habe das immer anerkannt; aber zu Diensten, wozu Sie sich jetzt brauchen lassen, sind Sie nicht gemacht. Meinen Sie denn wirklich, wenn ich ein so wichtiges Beweisstück, wie Sie andeuten, im Besitz hätte – verstehen Sie mich wohl: ich sage nicht, daß ich es habe – ich würde es in Form eines massiven Hauptbuches immer mit mir schleppen, oder es irgend einem Zufalle in meiner Wohnung preisgeben? Indessen will ich zur Erkenntniß Ihrer eigenen Thorheit Ihnen die vollständige Untersuchung meines Gepäckes überlassen. Handeln Sie nach Belieben; Sie haben ja meinen Koffer schon unter die nöthige Aufsicht gestellt!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_161.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)